Die chinesische Führung hat ein Bürgerranking eingeführt. Mit dem Citizen Score wird die Lebensweise aller Bürger bewertet.

Wer online gesunde Babynahrung bestellt, Bücher kommunistischer Staatsführer oder umweltfreundliches Papier, wird positiv bewertet und erhält dafür Pluspunkte. Wer hingegen vor dem Rechner gerne Ballerspiele zockt, sich unsittliche Bilder anschaut oder online zu viele modische Kleidung bestellt, wird negativ bewertet. Was wie ein orwellsches Schreckensszenario klingt, soll in China schon bald Realität werden.

Mit der Einführung des sogenannten Citizen Score will die chinesische Führung künftig das Nutzerverhalten ihrer Bürger im Internet ausspähen und begutachten lassen. Nach einem bestimmten Punktesystem soll nicht nur das Kaufverhalten und die Zahlungsmoral bewertet werden, wie es etwa bei Ebay schon lange üblich ist. China will auch das Verhalten seiner Bürger in den sozialen Netzwerken erfassen und dafür Punkte vergeben.

Die Bewertung reicht von 350 bis 950 Punkten. Wer eine besonders hohe Punktzahl erreicht und diesen Wert auch halten kann, erhält Vergünstigungen, etwa Erleichterungen bei der Beantragung von Auslandsreisen. Besonders hohe Werte erlauben es den Nutzern zum Beispiel, leichter nach Singapur reisen zu dürfen, für viele Chinesen derzeit ein angesagtes Einkaufsparadies. Wer hingegen niedrig bewertet wird, muss künftig sogar damit rechnen, seinen Job zu verlieren. Über eine bestimmte Smartphone-App kann sich jeder über den eigenen Punktestand informieren.

2020 soll Teilnahme am Citizen Score Pflicht sein

Den derzeitigen Plänen zufolge sollen jedoch nicht nur Behörden, Banken, Einkaufsplattformen auf Antrag Einsicht erhalten, sondern auch Unternehmen und sogar Reiseveranstalter und Fluggesellschaften.

Bislang ist die Teilnahme am Citizen Score noch freiwillig. Doch schon 2020 soll es zur Pflicht für jeden chinesischen Staatsbürger werden, sich mit seiner Personalausweisnummer für dieses Punktesystem registrieren zu lassen. Die beiden chinesischen Internetgiganten Alibaba und Tencent haben den Zuschlag erhalten, dieses System zu verwalten. Alibaba hat mit seiner Handelsplattformen Taobao bereits jede Menge Daten von Millionen seiner Nutzer gesammelt.

Tencent ist der Betreiber des in China sehr weit verbreiteten Kurznachrichtendienstes WeChat. Schon jetzt muss jeder Chinese seine wahre Identität angeben, wenn er sich in sozialen Netzwerken tummelt. Auf Geheiß der chinesischen Führung durchleuchtet Tencent bereits die meisten Einträge der Nutzer und lässt politisch heikle Einträge löschen. Wer etwa allzu regierungskritische Kommentare verfasst, erhält neben der ohnehin drohenden politischen Repression auf seinen Citizen Score zudem künftig Minuspunkte.

Seit Jahren bewertet die Regierung das Verhalten der Bürger

Die Idee ist in China keineswegs neu. Schon seit Jahren ist die chinesische Führung dabei, ein System zu entwickeln, das das Verhalten seiner Bürger bewertet und öffentlich macht. Ausgangspunkt waren Berichte über das rüpelhafte Verhalten vieler chinesischer Touristen im Ausland.

Seitdem sich immer mehr Chinesen Fernreisen leisten können, häufen sich auf der ganzen Welt die Klagen über das Benehmen der Chinesen. Sie drängeln, schnattern lautstark und brüllen in ihre Handys. Beim Trinkgeld knausern sie und lassen in Hotels Besteck und Handtücher mitgehen. Auch wenn sie als kaufkräftig gelten, haben in Frankreich bereits einige Pensionen die Aufnahme von Reisegruppen verweigert. Und auch in Asien häufen sich die Klagen: Als vor einigen Monaten etwa eine Stewardess einer thailändischen Fluggesellschaft nicht gleich so parierte, wie es der chinesische Fluggast wollte, begoss er sie mit heißem Wasser.

Die chinesische Führung versucht entgegenzusteuern. Sie hat bereits vor zwei Jahren ein Gesetz verabschiedet, das schlechtes Benehmen von chinesischen Touristen im Ausland unter Strafe stellt. Wer mehrfach unangenehm im Ausland auffällt, wird seitdem auf schwarze Listen gesetzt und bekommt Reiseverbote erteilt.

Citizen Score geht jedoch weit über die Erziehungsmaßnahmen höflicherer Bürger im Ausland hinaus. Wenn erst einmal das Nutzerverhalten von jedem Bürger im Internet erfasst ist, sei es zum gläsernen Menschen nicht mehr weit, kritisiert der chinesische Netzaktivist Wang Bo. „Es ist die totale Überwachung.“