Tianjin. Nach den Explosionen in Tianjin müssen rund 700 Tonnen der giftigen Chemikalie Natriumcyanid weggeschafft werden. 70 Menschen vermisst.

Die Behälter seien bei den Explosionen, bei denen mindestens 114 Menschen ums Leben gekommen sind, bis an den Rand des Unglückgebietes geschleudert worden. Die Fläche mit Trümmern sei 100 000 Quadratmeter groß. Die Aufräumarbeiten in dem Labyrinth von Containern des Hafengeländes wurden als „sehr kompliziert und schwierig“ beschrieben. 70 Menschen werden noch vermisst.

Neue Gefahr droht durch Regen, der für Montagabend und Dienstag angekündigt ist, da die Chemikalien zum Teil heftig auf Wasser reagieren und giftige Stoffe in einen nahe gelegenen Fluss gelangen könnten. Direkt an der Unglücksstelle wurden Dämme aus Sand und Erde errichtet, um im Falle von Regen einen Abfluss vergifteten Wassers zu verhindern, sagte der Vizebürgermeister.

An 3 von 27 Messstationen im Wasser wurden bereits übermäßige Cyanid-Werte gemessen, die zum Teil das 24-fache des erlaubten Wertes überschritten, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua.

Befürchtungen von Experten bewahrheitet

Experten befürchteten bereits, dass am Hafen in Tianjin in China Hunderte Tonnen der hochgiftigen Substanz Zyanid gelagert wurden. Die Bevölkerung ist in Sorge, während nach den gewaltigen Explosionen immer noch Menschen vermisst werden. Und es sind offenbar deutlich mehr Feuerwehrleute ums Leben gekommen als bisher zugegeben wurde.

Die Zahl der Toten nach dem schweren Explosionsunglück auf dem Hafengelände der 15-Millionen-Einwohner-Stadt ist bis Sonntag auf 112 gestiegen. Vier Tage nach der Katastrophe wurden noch 95 Menschen vermisst, darunter 85 Feuerwehrleute, wie die Behörden nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua berichteten.

Die Retter waren am späten Mittwochabend zu einem Feuer in dem Gefahrgutlager geeilt und waren gerade bei ersten Löscharbeiten, als sich die massiven Explosionen von Chemikalien ereigneten. Ihnen war nicht bekannt, welche Gefahrgüter dort lagerten. Auch setzten sie Wasser ein, was bei Chemikalien wie dem unter anderem dort gelagerten hochgiftigen Natriumcyanid explosive Reaktionen auslösen kann.

So gefährlich ist Natriumcyanid

Natriumcyanid ist ein Salz der Blausäure, die ebenfalls äußerst giftig und zudem hochentzündlich ist. Das farblose, kristalline Pulver riecht nach Bittermandeln und kann über die Haut aufgenommen werden. Wer Staub oder Dämpfe einatmet, kann bewusstlos werden, Luftnot bekommen und an Atemlähmung sterben, denn der Sauerstofftransport wird blockiert. In geringer Konzentration reizt Natriumcyanid Haut, Augen und Atemwege. Es kann auch eine große Belastung für Gewässer sein.

Natriumcyanid wird in der Metallherstellung verwendet: Es dient etwa zur Gold- und Silbergewinnung, aber auch dazu, Stahl härter zu machen oder ein Metall mit einem anderen zu überziehen. Zudem werden Schädlingsbekämpfungsmittel daraus produziert.

Video zeigt neue Explosionen in Tianjin

Der Tod von mehr als 20 Feuerwehrleuten ist bereits bestätigt. Nie zuvor in der Geschichte der Volksrepublik sind bei einem Unglück so viele Feuerwehrleute ums Leben gekommen wie in Tianjin. Die höhere Zahl von vermissten Helfern folgte auf Proteste von aufgebrachten Angehörigen, die beklagten, dass nicht alle in den Explosionen verschwundenen Helfer mitgezählt würden, weil sie nur angeheuert waren und nicht den offiziellen Status als Feuerwehrmann besaßen.

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Das wahre Ausmaß der Katastrophe und die Gefahren durch Schadstoffe in Luft und Wasser kommen nur langsam zutage, während die Behörden den Informationsfluss stark unter Kontrolle halten. Zeitungen dürfen eigentlich nur Berichte der amtlichen Nachrichtenagentur Xinhua übernehmen und nicht selbst recherchieren. Die starke Zensur verstärkte den Eindruck in der besorgten Bevölkerung von Tianjin, dass die Behörden ihnen nicht die ganze Wahrheit sagen.

China bestraft Webseiten für Berichte über Unglück

50 Webseiten wurden bestraft, weil sie angeblich „Gerüchte“ oder „unbestätigte Informationen“ veröffentlicht und damit Panik ausgelöst hätten. Auch wurden Webseiten bestraft, weil sie Nutzern ermöglicht hätten, „unbegründete Gerüchte“ zu verbreiten. Die Internetaufsicht (CAC) warnte nach Angaben der Staatsagentur Xinhua, dass sie „Null-Toleranz“ für solches Verhalten habe.

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Verwirrung herrschte bei Evakuierungen der Wohngebiete nahe dem Unglücksort, wo aus der Luft nur noch ein Riesenkrater zu sehen ist. Obwohl Polizeiwagen am Sonnabend über Lautsprecher zur Räumung in einem Umkreis von drei Kilometer aufgerufen hatten, bestritt ein Behördenvertreter, dass eine Evakuierung angeordnet worden sei.

Aus Angst vor giftigen Gasen in der Luft und einem Wechsel der Windrichtung wurden allerdings unter anderem die Menschen in einer Notunterkunft in einer nahe gelegenen Grundschule in Sicherheit gebracht. Auch wurden Straßensperren eingerichtet. Konvois mit Soldaten rollten zur Verstärkung in die Stadt.

Peking gibt Fehler zu

Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping rief dazu auf, „äußerst tiefgreifende Lehren“ aus der Tragödie zu ziehen. Die Katastrophe in Tianjin und eine jüngste Serie schwerer Unglücke enthüllten „ernste Probleme beim Arbeitsschutz“. Er forderte bessere Notfallmechanismen, eine verstärkte Umsetzung von Sicherheitsvorschriften und Inspektionen potenzieller Gefahren. Ein Verantwortlichkeitssystem müsse gewissenhaft umgesetzt werden, um eine Vernachlässigung von Pflichten zu verhindern.

Die Regierung hat zuvor landesweit Inspektionen in den Umgang mit gefährlichen Chemikalien und Explosivstoffen angeordnet. Das Unglück „enthüllt einen Mangel an Sicherheitsbewusstsein bei Unternehmen und eine lockere Umsetzung von Sicherheitsvorschriften“, zitierte Xinhua aus einer Anweisung der Kommission für Sicherheit am Arbeitsplatz.