Darmstadt. Der gewaltsame Tod von Tugce löste große Anteilnahme aus. Was genau geschah, versucht das Landgericht Darmstadt zu klären.

Nur eine Ohrfeige? Die Studentin Tugce stürzte nach dem Schlag nach hinten, schlug hart mit dem Kopf auf, wenig später starb sie. Seit fast sechs Wochen versucht das Landgericht Darmstadt, die Momente unmittelbar vor dem tödlichen Schlag im November 2014 vor einem Schnellrestaurant in Offenbach zu klären. Ein Urteil ist bald zu erwarten.

Die Zehnte Strafkammer hat am (morgigen) Mittwoch den achten von zehn geplanten Verhandlungstagen vor sich. Die Beweisaufnahme könnte beendet werden. Kaum jemand rechnet damit, dass der zuletzt gestellte Befangenheitsantrag der Verteidigung gegen den Vorsitzenden Richter Jens Aßling erfolgreich sein wird.

Der Angeklagte Sanel M. steht wegen Körperverletzung mit Todesfolge vor Gericht. Er gab zu, der 22-Jährigen eine Ohrfeige gegeben zu haben. Die Studentin ging dann zu Boden. „Es tut mir unendlich leid, was ich getan habe“, sagte der 18-Jährige am ersten Prozesstag mit tränenerstickter Stimme. „Ich habe niemals mit ihrem Tod gerechnet.“

Übelste Beleidigungen von beiden Seiten

Das Gericht hat eine Vielzahl von Zeugen vernommen: Freunde des Angeklagten, Freundinnen des Opfers, Gäste des Fast-Food-Restaurants, Mitarbeiter von dort, Ärzte und Polizisten. Die allermeisten berichteten von üblen Beleidigungen von beiden Seiten: „Hurensohn“, „Hurentochter“, „Verpiss Dich!“ - auch von Tugce selbst.

Gerade die beiden Freundeskreise fielen auf mit Erinnerungslücken und Widersprüchen zu ihren ersten Vernehmungen bei der Polizei. Richter Aßling, der den Prozess äußerlich ruhig leitet, redete mehr als einmal Befragten ins Gewissen: „Sie kommen hier gleich in Teufels Küche.“

Zeugen müssen nämlich vor Gericht die Wahrheit sagen, darauf werden sie vor ihrer Aussage ausdrücklich hingewiesen. Andernfalls könnten sie wegen Falschaussage belangt werden. „Die Staatsanwaltschaft prüft grundsätzlich, ob wegen Falschaussage ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden muss“, meinte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Offenbach, Axel Kreutz. „Bei einem Verfahren über Leben und Tod ist man da aber noch sensibler.“

Freunde sehen Tugce als „Heldin“

Sanel M. verfolgt den Prozess in sich gekehrt, abgeschirmt von seinen drei Verteidigern vor den Eltern und den Brüdern von Tugce. Sie sind Nebenkläger mit zwei Anwälten. Der 18-Jährige schaut meist mit leicht gesenktem Kopf vor sich hin, vermeidet Blickkontakt zu anderen. Ob er sich noch mal zu Wort melden wird, will Verteidiger Stephan Kuhn nicht verraten.

Freunde von Tugce verehren sie als „Heldin“ und „Engel“. Sie soll vor dem tödlichen Schlag zwei Mädchen auf der Toilette des Fast-Food-Restaurants zu Hilfe geeilt sein, als Sanel M. und Begleiter die beiden angemacht haben sollen. Der Angeklagte sei schon zu diesem Zeitpunkt aggressiv gewesen. Ein Türsteher, der mit Freunden im Schnellrestaurant war, soll ihn in den Schwitzkasten genommen haben, um ihn zur Vernunft zu bringen. Als Zeuge vor Gericht verneinte der 29-Jährige dies, und zwar „definitiv“.

Urteil soll am 16. Juni verkündet werden

Das ist nur einer der Punkte, bei dem die Meinungen auseinandergehen: „Ich habe keinen Zweifel daran, dass der Türsteher Sanel M. in den Schwitzkasten genommen hat“, sagt Nebenkläger Macit Karaahmetoglu. „Ein Schwitzkasten wäre allerdings auch Körperverletzung.“

Die Anklage sieht das anders: „Die Aussage entsprach dem, was er bei der Polizei ausgesagt hatte“, meinte Oberstaatsanwalt Alexander Homm. Ein Kriminalbeamter meinte als Zeuge: „Wenn von einem Schwitzkasten die Rede gewesen wäre, hätte ich das auch aufgenommen.“

Das Interesse der Besucher an dem Verfahren ist relativ groß geblieben. Es hat nach den ersten Tagen nicht so stark nachgelassen wie in anderen Fällen. Wenn plädiert wird und vor allem beim Urteil dürfte wieder jeder Platz im großen Saal des Landgerichts Darmstadt besetzt sein. Das Urteil soll voraussichtlich am 16. Juni verkündet werden.

(dpa)