Die in München entdeckten Bilder sind für die Kunstgeschichte von unschätzbarem Wert und werfen einige Fragen auf: Welche Stücke wurden von den Nazis geraubt, wem gehören sie – und wie gehen die Behörden mit dem sensiblen Thema um?

Augsburg. Diese Bilder sind für die Kunstgeschichte von unschätzbarem Wert: Das Selbstporträt von Otto Dix etwa, das den Avantgarde-Maler lässig mit Zigarre zeigt. Ein bislang unbekanntes Werk von 1919, wie die Kunstexpertin Meike Hoffmann am Dienstag in Augsburg erklärte. Solche überraschenden Schätze gibt es einige in der heimlichen Sammlung von Cornelius Gurlitt, deren Entdeckung die Gemüter weit über Deutschland hinaus bewegt. Denn es geht um mehr als um kunsthistorische Erkenntnisse. Es geht vor allem um die Frage, welche Stücke von den Nazis geraubt wurden und wem sie nun gehören. Und wie die Behörden mit dem äußerst sensiblen Thema der Restitution von Nazi-Raubkunst umgehen.

Bei einer Zugfahrt durch Schwaben waren Münchner Zollfahnder auf Gurlitt aufmerksam geworden. Der Verdacht: Ein Steuerdelikt. Ihre Ermittlungen mündeten in der Durchsuchung seiner Münchner Wohnung. Was die Fahnder dort im Frühjahr 2012 fanden, war eine Sensation: Gut 1400 Gemälde, Zeichnungen, Lithografien, Druckgrafiken, Zeichnungen und Aquarelle von Künstlern mit Weltrang, fein säuberlich in Regalen und Schubladen geordnet.

Viele Stücke aus den Beständen von Gurlitts Vater, dem Kunsthändler Hildebrand Gurlitt, stammten von Künstlern der Klassischen Moderne. Von den Nazis wurden viele Bilder als „entartet“ diffamiert und in der Folge beschlagnahmt. Ein Schatz für die Kunstgeschichte – aber auch für die Familien, denen die Werke vor dem Zweiten Weltkrieg geraubt worden waren. Doch die Augsburger Staatsanwälte entschieden sich für höchste Geheimhaltung.

Warum keine Offenheit? „Es ist für uns kontraproduktiv“, begründet Reinhard Nemetz, Leitender Oberstaatsanwalt in Augsburg. „Die Ermittlungen werden gefährdet, die Kunstwerke werden gefährdet.“ Seit Bekanntwerden der „wahnsinnigen Dimension“ hätten bereits die Sicherheitsvorkehrungen für die Bilder erhöht werden müssen.

So sieht es auch Siegfried Klöble vom Zollfahndungsamt in München: „Die Geheimhaltung ist die beste Sicherung.“ Wo der Kunstschatz lagert, bleibt deshalb auch weiter ein Geheimnis – „jedenfalls nicht in unserem Depot in Garching“, erklärt er.

Doch damit wollen sich viele Erben nicht zufriedengeben – sind sie doch immer noch auf der Suche nach den Kunstschätzen ihrer Vorfahren. Nachdem der „Focus“ den Sensationsfund groß herausgebracht hatte, liefen prompt erste Anfragen in Augsburg ein mit der Bitte um Prüfung. Ein Katalog oder ein Online-Verzeichnis wie in der „Lost Art-Datenbank“ würde die Recherche erleichtern.

Doch das soll es nicht geben, nicht zuletzt, um vor unseriösen Anfragen zu schützen. Außerdem wolle nicht jeder Berechtigte öffentlich machen, dass ihm ein Otto Dix oder ein anderes wertvolles Kunstwerk gehöre, erklärt Nemetz. Wer glaube, einen Anspruch zu haben, könne sich aber jederzeit an die Augsburger Ermittler wenden.

Eine Rückgabe steht für den Leitenden Oberstaatsanwalt ohnehin noch lange nicht im Raum. „Wir haben kein Interesse, ewig auf den Bildern zu sitzen, und wir werden die Bilder auch nicht behalten“, betont er. Aber bislang sei noch nicht mal sicher, welche Bilder überhaupt als Nazi-Raubkunst gelten und welche erst nach dem Zweiten Weltkrieg in die Sammlung der Familie Gurlitt aufgenommen wurden.

Meike Hoffmann von der Forschungsstelle „Entartete Kunst“ der Freien Universität Berlin ist mit der Prüfung der 1400 Objekte nach gut eineinhalb Jahren erst am Anfang. Sie habe stichprobenartig damit begonnen, die Werke zuzuordnen, sagt die Kunsthistorikerin. Wie lange die Recherche noch dauert, ist unklar. „Viele Werke werden eventuell auch nicht eindeutig identifizierbar sein.“

So geht es erst mal weiter mit den Geheimnissen. Weder der Wert der Sammlung, noch der Aufbewahrungsort werden verraten, ebensowenig, welche früheren Eigentümer bereits Ansprüche angemeldet haben – wenn sie es denn nicht selbst kundtun, wie nun die Erben des jüdischen Kunsthändlers Alfred Flechtheim. Unklar ist auch, wo sich Cornelius Gurlitt aufhält, gegen den wegen Unterschlagung und Steuerdelikten ermittelt wird.

Die größte Unsicherheit ist aber, was am Ende mit den Kunstwerken geschehen wird. Wandern sie in Museen, gelangen sie zu ihren ursprünglichen Eigentümern oder fällt gar die gesamte Sammlung an Gurlitt zurück? Darauf gibt es noch lange keine Antwort. Doch die Staatsanwaltschaft macht sich angesichts der komplizierten Rechtslage, die sich über einen Zeitraum von 70 Jahren erstreckt, ihre Gedanken. Etwa, ob es möglich ist, Gurlitt die Beweislast dafür aufzubrummen, dass er rechtmäßiger Eigentümer ist. Schließlich gibt es Werke in der Sammlung, die in Unterlagen als vernichtet oder veräußert angegeben wurden. „Aufgrund dieser Umstände ist diese ganze Sammlung erst mal mit einem Makel behaftet“, sagt Nemetz.

Eines lässt sich aber bereits jetzt mit Sicherheit sagen: Dass der Fund von unschätzbarem Wert ist. Bisher unbekannte Werke von Otto Dix, Marc Chagall oder Henri Matisse sind ebenso darunter wie ein Kupferstich von Albrecht Dürer, eine Radierung von Canaletto oder zwei Grafiken von Pablo Picasso. Viele galten als verschollen oder zerstört. Für die Kunsthistorikerin Hoffmann war ihr Anblick ein „Glücksgefühl“, zumal die Werke offenbar fachgerecht gelagert wurden und kaum beschädigt waren: „Es war sehr emotional für mich, alle diese Kunstwerke zu sehen und zu realisieren, dass es sie noch gibt.“