In einem heruntergekommenen Haus in München entdeckten Fahnder 1500 verschollen geglaubte Kunstwerke. Nach dem unfassbaren Fund folgt die Frage, wem sie eigentlich gehören.

Düsseldorf/Köln/München. Schier unfassbar ist der Fund, den Zollfahnder in der Münchner Wohnung des betagten Cornelius Gurlitt machten: 1500 Werke der Speerspitze der Avantgarde von Picasso und Chagall bis Beckmann und Nolde, lagerten dort. Der Vater Gurlitts, Hildebrand, war einer der vier Kunsthändler Hitlers, die den Auftrag hatten, von den Nazis als „entartet“ diffamierte Kunst im Ausland zu verkaufen oder eintauschen. Von 1930 bis 1933 war Hildebrand Gurlitt nach einem Engagement in Zwickau Direktor des Kunstvereins in Hamburg. Nach seiner Entlassung machte er sich als Kunsthändler in der Hansestadt selbstständig.

Wenn die Herkunft der 1500 Bilder geklärt ist, dürfte ein Streit ausbrechen, wem sie gehören. Doch noch ist gar nicht klar, ob Cornelius Gurlitt die Bilder illegal hortete, auf die Fahnder bereits 2011 stießen. Die Suche nach Raubkunst landet mit dem Finden fast immer in einem Dilemma.

„So moralisch unhaltbar die Verfolgung „entarteter Kunst“ auch gewesen ist, aus juristischer Sicht kann keine Restitution verlangt werden“, schreibt der Rechtsexperte Carl-Heinz Heuer. Beschlagnahmungen aus Museen und der Verkauf der Werke waren demnach trotz aller Verwerflichkeit „Rechtsakte“. Denn das „Dritte Reich“ war Eigentümer der Kunstschätze deutscher Museen und konnte laut Heuer frei darüber entscheiden, was damit geschehen sollte.

Juristisch legitimiert wurde die Beschlagnahme auch aus privaten Sammlungen zudem durch das Einziehungsgesetz von 1938. Nach Kriegsende hatten sich die Alliierten gegen die Aufhebung dieses Gesetze entschieden, um Erwerbern auf dem Kunstmarkt Rechtssicherheit zu geben.

Erbitterte Rechtsstreitereien

Schwieriger ist die Lage beim einstigen Besitz verfolgter jüdischer Sammler und Galeristen. Um Werke aus den Sammlungen etwa von Alfred Flechtheim oder Max Stern werden heute erbitterte Rechtsstreitereien geführt. Immer öfter wird die NS-Raubkunstkommission der Bundesregierung zur Schlichtung angerufen. Denn sind die Restitutionsfragen rechtlich nicht mehr eindeutig zu klären, rückt die moralische Dimension in den Vordergrund. Zu „fairen und gerechten“ Lösungen beim Umgang mit NS-Raubkunst hatten sich viele Staaten, auch die Bundesrepublik, 1998 verpflichtet.

Zu einigen beschlagnahmten Gemälden aus dem Schwabinger Gurlitt-Fund gibt es Herkunftshinweise. So soll laut „Focus“ ein Frauenbildnis von Matisse dem jüdischen Sammler Paul Rosenberg gehört haben, Großvater der französischen Journalistin Anne Sinclair. Dutzende Werke sollen aus dem Besitz eines jüdischen Sammlers aus Dresden stammen. Eine Spitzweg-Zeichnung habe dem in Auschwitz ermordeten Leipziger Verleger Henri Hinrichsen gehört. Und weit über 300 Werke seien als verschollen geglaubte Werke der Aktion „Entartete Kunst“ identifiziert, schreibt „Focus“.

Gurlitt-Quelle war Händlern nicht neu

Während die Bundesregierung bereits seit längerem über den vom Nachrichtenmagazin „Focus“ publik gemachten Sensationsfund informiert ist, war man in Kreisen der Provenienzforscher weitgehend ahnungslos. Offenbar aber wusste der diskrete Kunsthandel mehr. Der Fall zeige deutlich, dass „mehr als ein Händler“ gewusst habe, dass Cornelius Gurlitt Bilder habe, heißt es in Wissenschaftler-Kreisen. Für den Kunsthandel sei die Gurlitt-Quelle nicht neu.

Denn Cornelius Gurlitt hatte in Auktionshäusern in der Schweiz und Deutschland nach Informationen des „Focus“ bereits seit Jahren Avantgarde-Bilder eingeliefert. Noch nach der Beschlagnahmung der 1500 Bilder habe er die Gouache-Arbeit „Löwenbändiger“ von Max Beckmann in das Auktionshaus Lempertz gegeben. Es war nach Angaben des Hauses das einzige Mal, dass der Gurlitt-Sohn ein Werk bei Lempertz angeboten habe. Die Experten waren aufmerksam und fanden heraus, dass es aus dem Nachlass des legendären jüdischen Kunstsammlers Alfred Flechtheim stammte. Nach einer Einigung mit den Erben Flechtheims wurde der „Löwenbändiger“ versteigert.

Es stellt sich jedoch die Frage, warum die meisten Händler trotz des bekannten Namens von Gurlitt nicht nachhakten. „Je höher der Wert, umso höher muss die Erwartungshaltung an die Recherche sein“, sagt Markus Eisenbeis vom Kölner Auktionshaus Van Ham. „Da müssen die Alarmglocken schrillen.“ Jedes Bild aber habe auch eine individuelle Geschichte. Man könne den in München beschlagnahmten Bestand „nicht über einen Kamm scheren“.

Offen ist nach der Versteigerung des „Löwenbändigers“ aber auch, ob den Fahndern noch etwas entgangen sein könnte, ob noch an anderen Orten Werke aus dem Gurlitt-Bestand lagern. Im Fall Gurlitt will die Staatsanwaltschaft an diesem Dienstag erstmals öffentlich Stellung nehmen. Noch ist es offen, ob der alte Mann die Bilder, sofern sie aus Museen stammen, vielleicht sogar behalten darf.