Sie ist Sexsymbol und sechsfache Mutter, sie war von Skandalen umwittert, und sie engagiert sich für Flüchtlinge. Jetzt will die Schauspielerin anderen Frauen Mut machen. Sie erklärt öffentlich, dass sie sich aus Furcht vor Krebs die Brüste abnehmen ließ.

Sie hat die Öffentlichkeit nicht teilhaben lassen an dieser Tortur. An den stundenlangen Operationen. An dem Eingriff, der dafür sorgen sollte, dass die Brustwarzen erhalten bleiben, an den Amputationen – und an ihrer Angst. Angelina Jolie hat sich ihre Brüste entfernen lassen, weil sie befürchten musste, an Krebs zu erkranken. Die 37 Jahre alte Schauspielerin, deren Mutter Marcheline Bertrand mit nur 56 Jahren an den Folgen eines Tumors starb, trägt ein Gen in sich, das auch für sie eine Zeitbombe hätte sein können. Ein Defekt in dem Gen BRCA1 beschied ihr ein Risiko von 50 Prozent, an Eierstockkrebs zu erkranken. Die Wahrscheinlichkeit, Brustkrebs zu bekommen, lag sogar bei 87 Prozent.

Drei Monate zog sich die Behandlung hin. Ende April war sie abgeschlossen. Kein Journalist hatte etwas bemerkt. Jedenfalls ist nichts in die Öffentlichkeit gesickert. Und es war sicher gut so, dass es keine öffentliche Diskussion über eine Entscheidung gab, die so intim ist wie kaum eine andere. Jolie hat sie jetzt publik gemacht, ebenso wie die gute Nachricht, dass ihr Brustkrebsrisiko nach den Operationen bei unter fünf Prozent liege. Am Dienstag druckte die „New York Times“ den sehr persönlichen und in seiner Detailtreue mitunter schonungslosen Bericht der Schauspielerin, in dem sie ohne falsche Sentimentalität ihren Schritt erklärte. Angelina Jolie will ein Zeichen setzen: „Ich hoffe, dass andere Frauen von meinen Erfahrungen profitieren können.“ Sie will ihnen Mut machen, sich ebenfalls einem Gentest zu unterziehen und notfalls auch radikale medizinische Schritte zu gehen. Und sie will ihnen sagen, dass eine derartige Operation nicht bedeutet, seine Weiblichkeit zu verlieren: „Ich fühle mich kein bisschen weniger als Frau.“

Dass Angelina Jolie kein überzüchtetes Glamourgirl ist, dessen wichtigster Lebensinhalt im Shoppen besteht, das ist schon lange bekannt. Seit 2001 ist sie Botschafterin für das Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Sie reist in Krisengebiete, sie spricht nicht nur mit Menschen, die ihre Heimat verloren haben und seit Jahren in Notunterkünften leben müssen, sie spendet Millionen für Betroffene. Es ist, als hätte die einst skandalumwitterte Femme fatale mit ihrem Engagement für andere ihren Platz im Leben gefunden.

Früher Geständnisse der anderen Art

Während sie einst mit Geständnissen über wilde Liebesspiele und einem in Jugendjahren ausgeprägten Hang zu Selbstverletzungen Schlagzeilen machte, ist sie mittlerweile vor allem als sozial engagierter Hollywoodstar bekannt, der mit einem der beliebtesten männlichen Schauspieler ein Vorzeige-Familienleben mit drei eigenen und drei adoptierten Kindern führt. In den vergangenen drei Monaten war es nach ihren Aussagen die Beziehung, die ihr die entscheidende Stärke gegeben hat. Brad Pitt sei im Krankenhaus jede Minute bei ihr gewesen. „Manchmal gelang es uns sogar, Momente des Lachens zu finden“, schreibt sie und fordert alle Männer auf, deren Partnerinnen in einer ähnlichen Lage sind, es Pitt nachzutun. „Du weißt“, schreibt sie, „dass du ein wichtiger Part in dieser Veränderung bist.“

Angelina Jolies Geschichte führt auf ein Neues vor Augen, wie trügerisch der Glanz der Welt der Reichen und Schönen ist. Sie offenbart, dass sich hinter der luxuriösesten Fassade Dramen abspielen können, dass es auch hier Trauer gibt, Hoffnung, Ängste, die wirklich sind, weil es wirkliche Menschen sind, die uns auf der Leinwand und in Hochglanzmagazinen präsentiert werden. Angelina Jolies Geschichte zeigt das umso mehr. Auch wenn es längst nicht mehr die künstliche Figur der vollbusigen Lara-Croft-Figur sein mag, die wir unmittelbar mit ihrem Namen assoziieren, so ist Angelina Jolie doch eine Schauspielerin, bei der alles perfekt zu sein scheint. Sie ist wunderschön, sie ist mit einem der attraktivsten und sympathischsten Männer der Welt liiert, sie hat sechs Kinder und ist auch noch ungeheuer erfolgreich.

Doch was nicht in das Bild des Schönen passt, wird schnell vergessen. Angelina Jolie hat einige Schicksalsschläge durchlebt. Zu den schlimmsten gehört der zehn Jahre währende Leidensweg und der Tod ihrer Mutter. Noch zwei Jahre, nachdem Marcheline Bertrand gestorben ist, sagte die Tochter, wie schwer sie über den Verlust hinwegkomme. Und auch jetzt, so schreibt sie in ihrem Artikel in der „New York Times“, ist die Krankheit ihrer Mutter ein Gesprächsthema in der Familie. „Wir sprechen oft von Muttis Mammatumor“, schreibt sie. „Und dann versuche ich, den Kindern die Krankheit zu erklären, die sie uns genommen hat.“ Jolie berichtet auch, dass sie nicht ganz ehrlich zu ihren Kindern war, wenn sie sie fragten, ob sie auch an dieser Krankheit sterben könnte. Sie sollten sich keine Sorgen machen, sie wollte sie beruhigen. Erst jetzt könne sie ihnen sagen, dass sie keine Angst haben müssten, sie durch Brustkrebs zu verlieren.

Einer anderen prominenten Person dürfte die Schauspielerin mit ihrer Entscheidung besonderen Mut gemacht haben. „Ich bin stolz, dass Angelina Jolie proaktiv ist und Frauen mit vererbtem und genetischem Brustkrebs präventive Möglichkeiten aufzeigt“, twitterte Allyn Rose. Das blonde Model hatte unlängst für Schlagzeilen gesorgt, als es kurz vor der Miss-America-Wahl verkündete, dass es sich beide Brüste abnehmen lassen werde. Roses Mutter, Großmutter und Tante sind früh an Brustkrebs gestorben; wie sie trägt die 24 Jahre alte Schönheitskönigin ein hoch risikohaftes Gen in sich. „Ich will diese Angst nicht den Rest meines Lebens im Nacken haben“, sagte Rose dem Fernsehsender CBS.

Eine der schönsten Frauen der Filmwelt

Attraktiv macht es nicht, sich mit seiner Krankheit zu präsentieren. Um so bemerkenswerter ist es, dass Angelina Jolie an die Öffentlichkeit gegangen ist. Ausgerechnet sie hat sich dazu entschlossen, eine der schönsten Frauen der Filmwelt, eine Frau mit einem perfekten Körper, der ihr Markenzeichen ist. Die Operation ist ihr nicht anzusehen. Ihre Brüste wurden rekonstruiert und durch Implantate ersetzt. Aber taugt sie noch als Inbegriff erotischer Fantasien? Jetzt, nachdem sie mit erstaunlicher Detailliebe in der „New York Times“ die „Warzenverschiebung“ beschrieben hat?

Sexy ist das nicht. Aber von diesem Image will sich Jolie ohnehin seit Jahren lösen. Die Schauspielerin, deren Körper so oft öffentlich diskutiert wird, arbeitet entschieden daran, sexualisierte Filme wie „Tomb Raider“ oder „Original Sin“ vergessen zu machen. Seit Langem hat sie keine körperbetonten Rollen mehr angenommen, und spätestens mit ihrem Film über den Bosnienkrieg („Im Land, wo Blut und Honig fließen“) machte sie deutlich, was sie eigentlich will: Drehbücher schreiben, Regie führen, sich auch in ihrer Arbeit politisch engagieren. In einem Interview mit der „Main Post“ brachte sie auf den Punkt, wie sehr sie der Wunsch antreibt, die Welt ein bisschen besser zu machen: „Ich bete, dass ich Gutes leiste.“ Und dann sagte sie, dass man im Showgeschäft schnell vergisst, was wirklich wichtig ist.

Obgleich die medizinischen Meinungen auseinandergehen, ob es richtig ist, vorsorglich die Brüste abnehmen zu lassen oder besser eine engmaschige Vorsorgeuntersuchung zu machen – Angelina Jolie hat etwas Großes getan: Sie hat den Hunderttausenden Frauen, die unter Brustkrebs leiden, eine Stimme gegeben. Sie hat sich selbst auf sehr intime Weise offenbart, weil sie anderen helfen will. Sie will, dass alle Frauen die Möglichkeit haben, einen Gentest vornehmen zu lassen – „egal, wie reich oder arm sie sind“. Und sie will, dass sie eines nicht verlieren, von dem sie weiß, dass es das Wichtigste ist im Kampf gegen eine tödliche Krankheit: den Mut.