Europas zweithöchstes Haus öffnet seine Aussichtsplattform in 244 Meter Höhe. Der Blick über London kostet 29 Euro pro Besucher.

London. London von oben: Ob auf dem Riesenrad London Eye aus 135 Meter Höhe, auf dem Aussichtsturm ArcelorMittal Tower im Olympiapark aus 115 Metern oder in der neuen Seilbahn von Greenwich über die Themse - die britische Metropole bietet ihren Besuchern gern die Vogelperspektive.

Jetzt kommt eine weitere Attraktion dazu. Sie ist mit 244 Meter Höhe besonders spektakulär: Die Aussichtsplattform des neuen Hochhauses "The Shard" neben dem Bahnhof London Bridge lädt Besucher zum luftigen Sightseeing ein. An diesem Freitag eröffnet die Plattform. Die Karten für sündhaft teure 25 Pfund (29 Euro) - deutlich mehr als etwa für das Empire State Building in New York - sind für die ersten drei Öffnungstage bereits vergriffen.

Auch wenn der Ausblick wohl nicht mit dem auf Manhattan mithalten kann, ist The Shard (Scherbe) als Gebäude spektakulär: Mit 310 Metern (mit Antenne) ist der Turm aus Glas und Stahl am Südufer der Themse das zweitgrößte Hochhaus in Europa - nur der Moskauer Mercury Tower ist mit 339 Metern noch ein wenig höher. Oft ragt die Spitze der "Scherbe" von Stararchitekt Renzo Piano in die Wolken. Innenarchitekt Kevin Murphy versichert: "Nur an sehr wenigen Tagen" sei die Lage so, dass man von der Plattform lediglich eine berühmte Londoner Sehenswürdigkeit sehen kann: den Nebel.

Für Touristen ist der Blick von The Shard eine weitere teure Attraktion in der Themse-Metropole - nach Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett für 30 Pfund (35 Euro) oder der Geisterbahn London Dungeon für 24,60 Pfund (29 Euro). Unter den Einheimischen ist der "Stachel" in den Himmel über der Themse ein ständiges Gesprächsthema. Denn an dem Hochhaus wird auch ein Dilemma deutlich: London ist eine Stadt der Superlative, weltoffen und modern, vibrierend und lebenslustig. Die Silhouette der Stadt spiegelt das wirtschaftliche Wachstum wider. Aber auch hier hat die Finanzkrise ihre Spuren hinterlassen.

Hinter den 11.000 Glasscheiben der "vertikalen Stadt", wie der mit Geld aus dem Emirat Katar geschaffene Mikrokosmos The Shard auch von seinen Erbauern genannt wird, wird die Problematik sichtbar. Das Gebäude wird ein Luxushotel enthalten. Die wenigen Edelwohnungen wechseln für zweistellige Millionenbeträge in Pfund den Besitzer. In der 32. Etage zieht der deutsche Starkoch Rainer Becker mit seinem Edelgrill Oblix ein.

Die Hälfte der Büroflächen auf den mehr als 90 Etagen - und das ist die andere Seite der Medaille - ist aber noch immer nicht vermietet. Kaum verwunderlich, denn ein Quadratmeter in diesem Luxuspalast kann bis zu 93 Euro kosten. Auch The Shard bekommt die Flaute im Londoner Bankenviertel zu spüren, in dem in den vergangenen sechs Jahren 100.000 Arbeitsplätze abgebaut wurden. Die Bauträger hoffen, bis zum kommenden Jahr alle Verträge unter Dach und Fach zu haben. Um den großen Londoner Konkurrenten des Shard ist es schon ruhig geworden: Der Bau von The Pinnacle, ein Büroturm (288 Meter, ohne Antenne) in der Bankenmeile, der 2013 fertig werden sollte, liegt auf Eis - und beschäftigt mehr die Richter als die Bauarbeiter.

Die Skyline der britischen Hauptstadt hat sich seit den 1980er-Jahren drastisch verändert. Der NatWest Tower (auch Tower 42 genannt, 183 Meter) wurde 1980 eingeweiht. Es folgten der 235 Meter hohe One Canada Square, der HSBC Tower und das Citigroup Centre, die beide eine Höhe von 200 Metern (ohne Antenne) erreichen.

Früher gab es strenge Vorschriften für die Architekten, wie nah die Bauwerke dem Himmel kommen durften. Bis 1962 übertrumpfte die St.-Paul's-Kathedrale mit 111 Metern alles Umliegende. Denn eine gesetzliche Vorgabe besagte, dass Gebäude nicht höher als 30,5 Meter sein durften. Das hatte einen plausiblen Grund: Die Londoner Feuerwehr musste im Falle eines Brandes alle Stockwerke mit einer Leiter erreichen können. Das war im London Building Act festgelegt. 250 Jahre lang war die Kathedrale das höchste Gebäude in London - damit die Königsfamilie aus ihren verschiedenen Palästen immer freien Blick auf das Parlamentgebäude hatte.

Eher in die Tiefe der Metropole ging es dagegen in dieser Woche für zwei Mitglieder der königlichen Familie: Pendler der Londoner U-Bahn trauten ihren Augen kaum, als Prinz Charles, 64, und seine Ehefrau Camilla, 65, an der Haltestelle King's Cross ausstiegen. Zum ersten Mal seit einem Vierteljahrhundert hat sich der Thronfolger wieder bei einer Fahrt mit der berühmten Tube mehr oder weniger unters Volk gemischt. Anlass war der 150. Geburtstag dieses Transportmittels. Sie ging am 10. Januar 1863 als erste U-Bahn weltweit in Betrieb. Die Fahrt auf der Metropolitan Line dauerte allerdings nicht allzu lange - drei Minuten. Das Paar teilte sich zwischen Farringdon und King's Cross eine schmale Sitzbank, Camilla durfte am Fenster Platz nehmen - in Begleitung zahlreicher Fotografen und Reporter.

In Erinnerung ist noch vielen Briten der letzte Ausflug des ältesten Sohnes von Queen Elizabeth II., 86: Im Jahr 1986 fuhr der Prinz noch in Begleitung seiner damaligen Ehefrau Diana (1961-1997), zur Eröffnung des neuen Flughafen-Terminals in London-Heathrow.