„Ich bin für mein Leben geächtet“, sagt die 21-Jährige zu Beginn einer Dokumentation und meint damit vor allem österreichische Medien.

Hamburg. Es war ein tristes, ein trostloses, ein armseliges Leben: Achteinhalb Jahre lang war Natascha Kampusch ohne Liebe, ohne Zuneigung, wurde unterdrückt, gepeinigt, gedemütigt, misshandelt. Sie existierte mehr, als dass sie lebte. Dann gelang ihr vor dreieinhalb Jahren die Flucht. Doch der Weg zurück ins Leben ist schwer - immer noch. „Ich lebe ganz zurückgezogen und zeige mich kaum in der Öffentlichkeit“, sagt sie auf der ersten Pressekonferenz nach ihrer „Selbstbefreiung“. Sie gibt diese Pressekonferenz am Montag in Hamburg zusammen mit den Filmemachern Peter Reichard (Drehbuch) und Alina Teodorescu (Regie), die Kampuschs Martyrium in einer 45-minütigen Dokumentation für die ARD aufgearbeitet haben.

„Ich bin für mein Leben geächtet“, sagt die heute 21-Jährige zu Beginn des Films „Natascha Kampusch - 3096 Tage Gefangenschaft“ (25.1., 21.00 Uhr). Damit macht sie klar, dass sie noch lange nicht ihren Frieden gemacht hat - nicht mit den (österreichischen) Medien, die sie „schamlos“ und „beleidigend“ nennt, nicht mit der Wiener Gesellschaft, die sie als „aggressiv“ und „unfreundlich“ bezeichnet und nicht mit dem Entführer Wolfgang Priklopil, der sich wenige Stunden nach ihrer Flucht am 23. August 2006 das Leben nahm - obwohl sie ihm öffentlich so etwas wie Absolution erteilt: Auch wenn er sie gedemütigt und gequält habe, habe sie ihm „in der Sekunde alles schon verziehen“. Sie habe „so eine Art Mitleid“ mit ihm gehabt.

Mitleid? Mit einem Mann, der sie als zehnjähriges Mädchen von der Straße wegschnappte, sie in ein „kaltes, feuchtes, ekelhaftes, stinkendes“ (Kampusch) Kellerverlies steckte und achteinhalb Jahre als seinen persönlichen Haussklaven hielt? Man ahnt, dass diese Aussagen eher ein Selbstschutz sind, denn sie ergänzt: Sie habe verzeihen müssen, „sonst wäre ich wohl auch physisch zugrunde gegangen (...) Sonst wäre ich so voller Hass gewesen.“

Wie schon in ihrem ersten Interview nur zwei Wochen nach der Flucht ist Kampusch im Film wie auf der Pressekonferenz sehr gefasst, spricht bedacht, mit nachdenklichen Pausen. Ihre Sätze lassen zuweilen erahnen, wie sehr sie sich auch mit juristischen Fragen beschäftigt hat. Selten hört man Spontanes, Emotionen lässt sie kaum zu. Auch so schafft man Distanz zu einem Ereignis, deren traumatisches Ausmaß wohl niemand außer Kampusch selbst ermessen mag.

Diese Distanziertheit hat ihr auch Kritik eingebracht, sie kam nie als das arme, schutzbedürftige Opfer rüber - und das war durchaus so von ihr gewollt: „Wenn ich Opfer wäre, würden die mich nie als normalen Menschen akzeptieren“, sagt sie im Film.

Doch hier und da bricht sie durch, wenn auch nur leicht, die Emotion, das Erschaudern vor dem Unvorstellbaren. Mit erstickter Stimme berichtet sie vom Tag der Entführung, wie Priklopil sie packte, in sein Auto zerrte und sie schreien wollte, aber nicht konnte: „Die Stimmbänder haben nicht mitgemacht bei dem Schrei.“ Später dann berichtet sie über ihr „Unbehagen, so ein mulmiges Gefühl“, immer wenn Priklopil das Verlies aufschloss. Dann legt sie sie offen, die Gefühle eines zutiefst verängstigten, einsamen Kindes.

Doch gleichzeitig musste sie sich arrangieren mit dem Leben in dem nicht einmal fünf Quadratmetern großen Verlies. Irgendwie war das nun ihre Heimat, sogar ihre Zuflucht. Nach einer gewissen Zeit habe sie sich dort drinnen, allein mit sich selbst, wohler gefühlt, als etwas tun zu müssen, „was ich nicht wollte“.

Ihre Gefühle, als sie zum ersten Mal wieder in das Verlies zurückkehrte? „Das ist so, als würden Sie in ihr Jugendzimmer zurückkommen. Das ist so behaftet mit Erinnerungen. Das war ja mein Zuhause, mein persönlicher Bereich, das ist ein Teil meiner Vergangenheit.“ Doch mittlerweile sehe sie das mit mehr Abstand, wie eine Außenstehende - und das sei „schockierend (...) macht mir ein ganz mulmiges Gefühl“, sagt sie in Hamburg.

Am Ende des Films äußert sie ihren wohl größten Wunsch: „Ich wünschte mir, dass die Menschen einen normaleren Umgang mit mir hätten. Ich habe mir das verdient.“ Und voller Unverständnis, fast trotzig, fordert sie das Selbstverständliche ein, das für sie doch so weit weg zu sein scheint: „Die Menschen sollten sich freuen, dass ich das halbwegs gesund überstanden habe.“