Ungereimtheiten und peinliche Ermittlungspannen hatten eine neue Untersuchung des Entführungsfalls Kampusch erst notwendig gemacht.

Wien. Für Verschwörungstheoretiker ist der Fall eine Fundgrube: Ein Mädchen wächst in einem Verlies fernab der Gesellschaft auf, schafft die Flucht, der irre Täter bringt sich um. Österreich hat die Entführung von Natascha Kampusch erneut untersucht und will die Geschichte endlich zu den Akten legen. Die Ermittlungsergebnisse von Polizei und Oberstaatsanwaltschaft brachten am Freitag kaum neue Erkenntnisse, zerstreuten aber Spekulationen vom Kinderporno-Ring bis hin zu mehreren Mittätern. Doch das Alpenland hat die immer wilder werdenden Gerüchte um die Tat selbst gezüchtet: Ungereimtheiten und peinliche Ermittlungspannen der Justiz machten die neue Untersuchung erst notwendig.

Zerknirscht stellte sich der Leiter der zuständigen Abteilung des Bundeskriminalamtes, Ernst Geiger, den Medien. Die Polizei habe Fehler gemacht, gab er zu. Am maßgeblichsten sei gewesen, dass nach der Entführung des Mädchens Hinweisen, die zu Priklopil führten, nicht nachgegangen worden sei. Das habe in seiner Verantwortung gelegen. Persönliche Konsequenzen schloss Geiger aber aus. Bei der neuen Untersuchung seien Polizei und Staatsanwaltschaft nun den skurrilsten Vermutungen und anonymen Hinweisen nachgegangen.

Davon gab es reichlich: Besondere Wellen schlug die Hausdurchsuchung bei dem Deutschen Thomas V. aus Tengen in Baden-Württemberg. Der Grafiker hatte behauptet, Videos von der Gefangenschaft Kampuschs im Internet gesehen zu haben und wichtige Beweise zu besitzen. Die Beschlagnahmung der Festplatte seines Computers ergab nichts. Inzwischen, so die Behörden, laufe gegen ihn ein Vormundschaftsverfahren; dabei habe er gesagt, dass Stimmen ihm den wahren Tathergang eingeflüstert hätten. Ein Mann, der sich in einem Internet-Chat als Kampusch ausgab, entpuppte sich als Urheber der in den Medien berichteten Behauptung, die junge Frau sei mehrfach geflohen und freiwillig zu ihrem Peiniger zurückgekehrt.

Nach der nun von der Untersuchung bestätigten Tatversion entführte Priklopil Kampusch 1998 aus Zufall und aus einer Lebenskrise heraus. Der verschrobene Einzelgänger wollte sich damals mehr auf sein Privatleben konzentrieren wollen und erkannte, dass er wohl nie eine Frau finden würde. Da sei ihm die Idee gekommen, sich seine Wunschpartnerin von einem Kind ausgehend selbst zu erziehen. Je älter Kampusch in ihrem Verlies wurde, umso mehr habe er daran geglaubt, dass sie ihre Entführung vergessen werde und beide eine „normale“ Beziehung führen könnten, so die Behörden.

Sein Freund Ernst H., der zwischenzeitlich als Mittäter galt, entpuppte sich nun doch nur als ein Geschäftspartner. Der Mann hatte erst vor kurzem gestanden, dass Priklopil ihm vor seinem Selbstmord am Tag von Kampuschs Flucht 2006 die Tat gestanden hatte. Als Grund für das lange Schweigen des Mannes führten die Behörden unter anderem an, dass er Angst vor der Entdeckung von krummen Geldgeschäften mit Priklopil hatte. Er könnte noch wegen Steuerhinterziehung, Beihilfe zum Selbstmord und der Begünstigung von Priklopils Flucht belangt werden.

Um das Opfer selbst soll nun endlich Ruhe einkehren. Die neue Untersuchung habe auch dem Interesse Kampuschs gedient, so die Behörden. „Dem Opfer wurde sehr viel Schaden zugefügt“, sagte Geiger. Das treffe auch für die Zeit nach der Entführung zu. Unter anderem war Kampusch mehrfach öffentlich bezichtigt worden, nicht die volle Wahrheit zu sagen. „Wir haben keine Hinweise gefunden, dass die Angaben der Frau Kampusch in irgendeiner Weise nicht der Wahrheit entsprechen“, stellte der die Ermittlungen leitende Oberstaatsanwalt Thomas Mühlbacher klar.