Konservative sind irritiert: Sie sehen die Gesellschaft untergehen. Aber die Trendforscher beruhigen: Die Frauen sind nicht ehemüde, sie können nur zwischen mehr Lebensstilen wählen.

Der "New York Times" und anderen US-Zeitungen war die Nachricht jeweils eine ganze Seite wert: Mehr als die Hälfte aller Amerikanerinnen leben heute ohne Partner. Zum ersten Mal in der Geschichte, enthüllte der jüngste American Community Survey, haben alleinerziehende und ledige Frauen ihre verheirateten Geschlechtsgenossinnen zahlenmäßig überrundet. Während 1950 nur 35 Prozent der Amerikanerinnen ohne Mann lebten, waren es im Jahr 2000 schon 49 Prozent. Und jetzt sind es mehr als 51 Prozent.

Selten hat das Ergebnis einer regulären Volkszählung die USA so irritiert. Denn gleichzeitig geriet erstmals auch eine amerikanische Institution in die Minderzahl: die Ehe. Nur noch in 49,7 Prozent der 111,1 Millionen amerikanischen Haushalte leben verheiratete Paare mit und ohne Kinder, vor fünf Jahren waren es noch 52 Prozent gewesen. Stattdessen wird die Haushaltsmehrheit jetzt von Alleinerziehenden und anderen "non-married families" (etwas über 17 Prozent), Alleinlebenden (27 Prozent) und "sonstigen Nichtfamilien" (6 Prozent) gestellt, wobei sich hinter Letzteren auch Homo-Partnerschaften verbergen.

In Deutschland würde darüber heute kaum jemand die Stirn runzeln. In den USA aber hat eine heftige Deutungsdebatte eingesetzt. Konservative Christen sehen den Untergang der Gesellschaft bestätigt. Soziologen dagegen beruhigen: Die meisten Amerikanerinnen wollten nach wie vor heiraten oder waren bereits verheiratet, "aber im Schnitt verbringt die Hälfte von ihnen nun ihr Leben außerhalb einer Ehe", sagte Prof. Stephanie Coontz, Leiterin einer namhaften unabhängigen Familien-Forschungsgruppe in Chicago und Autorin des Buchs "How Love Conquered Marriage" (Wie die Liebe die Ehe besiegte). Die Zahlen seien "untrügliche Anzeichen dafür, dass es keinen Weg zurück gibt in eine Welt, in der die Ehe die Hauptinstitution im Leben war".

"Ein klarer Wendepunkt" sei erreicht, befand auch der Demografie-Experte William H. Frey an der Brookings Institution, einem renommierten Forschungs-Thinktank in Washington: Die neue Statistik spiegele die Umschwünge seit den 60er-Jahren, die immer größere Unabhängigkeit und die flexibleren Lebensstile der Frauen.

Nach den Kriterien des US-Zensus zählen zu den 51 Prozent partnerlosen Frauen ledige, verwitwete, geschiedene oder getrennt lebende, die zum Teil bereits erwachsene Kinder haben; außerdem Frauen, deren Lebenspartner oder Ehemann längere Zeit im Ausland arbeitet. Einige Besonderheiten der US-Gesellschaft haben sich trotz der neuen Trends kaum verändert: Der Anteil verheirateter Afroamerikanerinnen blieb niedrig; die meisten schwarzen Frauen leben mit ihren Kindern zusammen, aber nur etwa 30 Prozent von ihnen mit einem Ehemann. Unverändert hoch blieb der Ehestatus bei den Hispanoamerikanerinnen (49 Prozent) und den asiatischstämmigen Frauen (mehr als 60 Prozent). Dass es durch die im Irakkrieg getöteten US-Soldaten mehr Witwen gibt, fällt statistisch nicht ins Gewicht.

Den neuen Trend setzen also hauptsächlich weiße Amerikanerinnen. Warum steigt die Zahl partnerloser Frauen? US-Experten machen in verschiedenen Altersgruppen eine Reihe von Faktoren aus, die auch deutschen Demografen bestens bekannt sind:

  • Junge Frauen heiraten auch in den USA später, bevorzugen öfter und über längere Phasen das Zusammenleben mit einem Freund.
  • Sie heiraten oft erst, wenn ernsthaft ein Kind geplant oder schon unterwegs ist - und zunehmend nicht einmal dann.
  • Mit der höheren Lebenserwartung verlängert sich auch die Witwenzeit im Alter.
  • Immer mehr Frauen mittleren Alters haben es nach einer Scheidung/Trennung nicht mehr eilig mit einer Wiederheirat oder lehnen sie sogar ab.

"Ich kann tun, was ich will", sagt zum Beispiel eine 57-Jährige aus Georgia, die nach 33 Jahren Ehe geschieden wurde und zwei Söhne großgezogen hat. "Ich war Ehefrau und Mutter, jetzt kann ich meine eigenen Wünsche verwirklichen." Eine 45 Jahre alte New Yorker Angestellte sagte den Interviewern der New York Times, sie habe "so viele Ehen von Freundinnen böse enden sehen, dass ich mir lieber einen Mann suche, mit dem ich im Alter reisen und Backgammon spielen kann."

Sätze, die auch viele deutsche Frauen unterschreiben würden. Ein Grundtrend zumindest ist in Deutschland ähnlich wie in den USA: Die "Heiratsneigung" der Frauen geht zurück, hob das Bundesfamilienministerium schon 1996 in einem Bericht hervor. Ein Kind ist kein Heiratsgrund mehr, Scheidungen werden mehrheitlich von Frauen eingereicht, und die Wiederverheiratungsquote danach, bei beiden Geschlechtern rund 50 Prozent, ist seit zehn Jahren nicht mehr gestiegen. Stattdessen leben auch bei uns "immer mehr Menschen als Cohabs" (engl. cohabiting = zusammenwohnen), schreibt das Magazin "Psychologie heute": "Sie richten sich mit einem Partner wohnlich ein, ohne Eheversprechen."

Ganz so stark wie bei den Amerikanerinnen wirkt sich der Single-Trend bei uns aber nicht aus. Nach dem Mikrozensus 2005 des Statistischen Bundesamtes leben nur 26 Prozent aller deutschen Frauen ohne Partner (im Vergleich zu 18 Prozent der Männer): 8,651 Millionen alleinstehende und 2,236 Millionen alleinerziehende Frauen.

Allerdings ist die Institution Ehe auch bei uns auf einem leisen Rückzug. Von den 21,4 Millionen Paaren in Deutschland sind 88 Prozent verheiratet, ihr Anteil ging seit 1996 um vier Prozent zurück. Auch bei den Familien ist der Anteil der verheirateten Eltern seit 1996 von 95 auf 92 Prozent gesunken, ergab der Mikrozensus 2005. Fast jedes zehnte Paar zieht Kinder heute ohne Trauschein groß.

Die Frauen sind nicht ehemüde, sie können nur zwischen mehr Lebensstilen wählen, sagen Trendforscher. Dabei gibt es aber neue Tücken, die Bindungen erschweren: Die gut ausgebildeten Frauen stellen höhere Ansprüche an den möglichen Partner. Er soll romantisch und häuslich, aber in Bildung und beruflichem Status mindestens "auf Augenhöhe sein", sagt die Psychologin Lisa Fischbach von der Hamburger Internet-Börse ElitePartner.de. Das engt den Kreis ein. Hinzu kommt: Die heute unter 40-Jährigen haben eine besonders trennungsfreudige Elterngeneration erlebt; bei eigenen festen Bindungen sind sie vorsichtig, viele sogar "bindungsvermeidend", hat die Psychologin Beate Küpper in einer Studie festgestellt.

Ältere Frauen, die keine oder schon erwachsene Kinder haben, sind nach einer Scheidung heute keine "Opfer" mehr. Sie können vielfältige Freizeitangebote und Partner-Börsen für Singles in Ruhe nutzen und müssen sich nicht binden. Dass viele von ihnen die Vorteile der Freiheit neu entdecken, ist auch in den USA eine noch junge Entwicklung, sagt der Demografie-Experte Frey. Für viele Amerikanerinnen der Baby-Boomer-Generation, die mit dem rosigen Ehe-Idealbild populärer TV-Familienserien aufgewachsen seien, habe "die Institution Ehe oft nicht das gehalten, was sie sich erhofft hatten". Das zuvor gefürchtete Alleinleben fänden sie "überraschend angenehm".