Erst wurde das Kampfgebiet östlich des Teutoburger Waldes vermutet, dann nördlich von Osnabrück in Kalkriese. Nun sagen Forscher, es habe im Lipperland gelegen.

Hamburg. Die schrecklichen Spuren der Schlacht sind im Detail überliefert: "Mitten auf dem Feld" liegen "bleichende Knochen, zerstreut oder in Haufen", schildert der römische Historiker Tacitus, daneben "zerbrochene Waffen und Pferdegerippe". Zugleich "sah man an den Baumstümpfen angenagelte Menschenschädel", und "in den benachbarten Hainen standen die Altäre der Barbaren, an denen sie die Tribunen und Zenturionen ersten Ranges geschlachtet hatten".

Weniger exakt wirkt die Ortsangabe: Ein "unübersichtliches Waldgebiet" mit "feuchten Sümpfen" und "trügerischen Moorwiesen". Diesen Mittwoch diskutieren Fachgelehrte aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen in Detmold darüber, welchem Bundesland die Ehre gebührt, das Schlachtfeld des größten Sieges zu hüten, den deutscher Freiheitswille je errang - in der Schlacht des Arminius gegen Roms Legionen unter Varus im Jahre 9 n. Chr.

Seit die Deutschen im frühen 19. Jahrhundert wieder Interesse an antiken Geschehnissen fanden, pflegten sie den Mythos von der "Schlacht im Teutoburger Wald". 1875 gossen sie ihren Nationalhelden in Erz, Kaiser Wilhelm I. weihte das Hermannsdenkmal bei Detmold der Würde deutscher Waffen. Das Schlachtfeld aber suchten Generationen von Forschern in dem weiten Waldgebirge vergeblich.

Erst in den 1980er-Jahren glauben sie, es endlich gefunden zu haben: Am Nordufer der 104 Kilometer langen Diemel, die vom Sauerland ostwärts in die Weser fließt, sichern sie Reste römischer Rüstungen und sogar eines Katapults.

Wenig später aber lenken vor allem Funde römischer Münzen den Blick der Fachwelt auf den kleinen Ort Kalkriese nördlich von Osnabrück: Dort, im Südwestzipfel Niedersachsens, und nicht etwa in Ostwestfalen, soll Hermann der Cherusker die Germanen zum Streite gerufen haben, als, wie Victor von Scheffel schon 1947 dichtete, "die Römer frech geworden, sim serim sim sim sim sim". Bald beginnen Ausgrabungen im großen Stil, die Unmengen von Zeugnissen römischer Herkunft zutage fördern. Seit 2002 zieht eine Ausstellung zur Varusschlacht Hunderttausende Besucher an.

Doch so sicher, wie sich die Anhänger der Kalkriese-These geben, ist die Sache keineswegs. Jetzt soll der Krisengipfel von Detmold neue Grabungsschätze erörtern und, wenn nicht eine Lösung, so vielleicht wenigstens einen Kompromiss finden.

Das wird schwer, denn es geht um viel Geld: Landkreis und Landschaftsverbände wollen Kalkriese mit rund 28 Millionen Euro zu einem Hauptzentrum deutscher Historie ausbauen. Kritiker melden schwerste Bedenken an. Ziemlich unversöhnlich stehen sich gegenüber:

  • Für Kalkriese die Leiterin der Ausgrabungen, die Archäologin Susanne Wilsberg-Rost, die Zweifel allenfalls hinter dem Komma zulässt: "Mit 99-prozentiger Sicherheit können wir davon ausgehen, dass die Römer hier waren und geschlagen wurden."
  • Für die Diemel-These der Historiker Peter Kehne von der Universität Hannover. Es gebe Erkenntnisse, dass die Varusschlacht im Lipperland getobt habe, sagt er, und fordert, die Archäologen der Grabungsstelle bei Osnabrück sollten "aufhören, die Tatsachen zu verdrehen".
  • Die Kompromissposition vertritt der emeritierte Akademische Oberrat Peter Glüsing aus Münster, der viele Jahre an der Diemel forschte und auch Kalkriese gut kennt. Nach seiner Meinung sind beide Orte wichtig für den gescheiterten Versuch des römischen Imperiums, das freie Germanien zu erobern.

Glüsings Szenario: Im Jahr 9 n. Chr. bricht Varus mit drei Legionen im Heerlager Haltern auf und zieht auf einer gut ausgebauten Straße nach Osten. Sein Weg führt über Anreppen, den Pass von Horn (in der Nähe von Bad Meinberg) und Blomberg nach Hameln. Seine Legionen haben zuvor Aufstände in Pannonien, dem heutigen Westungarn, niedergeschlagen. Zum Offizierskorps gehört Arminius, Sohn des Cheruskerfürsten Segimer. Er ist in Rom zum Offizier ausgebildet worden, war in Pannonien dabei, führt jetzt für Varus die germanischen Hilfstruppen, stellt dann aber den verhassten Eindringlingen eine tödliche Falle.

Für den Rückmarsch ins sichere Rheinland wählt Varus eine andere Route: Er zieht auf einer schon seit der Steinzeit benutzten, aber nicht ausgebauten Straße von Hameln über Schieder-Schwalenberg und Brakel nach Süden, um hinter Warburg den gut ausgebauten Hellweg nach Soest zu erreichen.

Am Südrand des heutigen "Naturparks Eggegebirge und Südlicher Teutoburger Wald" ziehen die 20 000 Römer mit ihren verräterischen Verbündeten auf einem schmalen Weg am Nordufer der Diemel entlang. Irgendwo zwischen Warburg und Marsberg brechen die Germanen aus dem Hinterhalt hervor und stürzen sich auf die weit auseinandergezogene Marschkolonne. "Es war gar keine Schlacht, sondern ein Massaker", sagt Glüsing. "Die Reitertruppe haute ab, und das Fußvolk war zu geordneter Gegenwehr kaum fähig."

Drei Tage dauert das Gemetzel, nur wenige Römer können sich in die Wälder retten. Ihr unglücklicher Feldherr stürzt sich in sein Schwert. "Varus, Varus, gib mir meine Legionen zurück!", jammert ihm von Rom aus Kaiser Augustus hinterher.

Nachfolger Tiberius will die Erschlagenen rächen und zieht das größte Heer zusammen, das jemals Germanien betritt. Im Jahr 15 stößt der römische General Caecina mit einer Kavallerieabteilung erst einmal zu dem verlassenen Schlachtfeld vor, um die Gefallenen zu bestatten. "So bestattete das Römerheer im sechsten Jahr der Niederlage die Gebeine der drei Legionen, ohne dass jemand erkennen konnte, ob er fremde Reste oder die seiner Angehörigen mit Erde bedeckte, mit wachsender Erbitterung gegen die Feinde, Trauer zugleich und Hass im Herzen", berichtet Tacitus.

Der neue Feldherr heißt Germanicus. Er zieht nicht mehr durch die gefährlichen Waldgebirge, sondern verlädt seine Legionen am Rhein auf tausend Schiffe, fährt über die Nordsee zur Ems, marschiert durch die Tiefebene zur Weser und trifft bei Idistaviso ("Wiese der Waldfee") im Dreieck Minden-Bückeburg-Porta Westfalica auf Arminius und seine Germanen.

Die nebligen Wiesen liegen im Mittelpunkt der vier Stämme, die dem Cherusker folgen: außer seinen Landsleuten noch Chatten, Marser und Brukterer. Und dort, nicht sieben Jahre zuvor im Teutoburger Wald, sondern im Dreieck Minden-Bückeburg-Porta Westfalica fällt die endgültige Entscheidung. Auf jeder Seite stehen 100 000 Mann. "Es war eine Riesenschlacht wie später etwa im Zweiten Weltkrieg im Kursker Bogen", so Glüsing. "Die Leichen bedeckten weithin das Land."

Zu Fuß sind die Römer siegreich, doch die Germanen haben die bessere Reiterei, und die Schlacht endet unentschieden. Jetzt erst kommt Kalkriese ins Spiel: Bei dem Ort gibt es ein römisches Basislager. Die vorher mit den Römern verbündeten Angrivarier, die zwischen Weser und Dammer Bergen beiderseits der Hunte siedeln, erschlagen die Wachen und plündern die Vorräte. Germanicus schickt den Reitergeneral Lucius Stertinius los, der das Lager zurückerobert, doch der Feldzug ist nicht mehr zu gewinnen: Die Römer, unbesiegt, aber sieglos, marschieren wieder zur Ems und kehren über die Nordsee, durch schwere Stürme weiter dezimiert, zurück zum Rhein. "So hat also auch Kalkriese mit der Schlacht im Teutoburger Wald zu tun", sagt Glüsing. "Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob das reicht, die Besucherzahlen in dem schönen Archäologiepark hochzuhalten."