95 Journalisten sind akkreditiert, doch der zweite Prozesstag im Fall Josef Fritzl findet heute erneut unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Dem Inzest-Täter drohen bis zu 20 Jahre Haft. Sehen Sie Bilder zum Fall Amstetten. Bilder zum Prozess.

St. Pölten. Alle Menschen im Saal haben auf sein Gesicht gewartet. Sie kennen es von jenem Bild, das die Polizei nach seiner Verhaftung machte. Es zeigt einen alten Mann mit wirren Haaren, hochgezogener Braue und spöttischem Blick. Die Leute wollten sehen, wie ihn die Gefangenschaft verändert hat, ob ihn inzwischen Scham zeichnet oder Reue. Doch Josef Fritzl (73) hat ihnen den Gefallen nicht getan. Selbst an dem Tag, an dem er vor seine Richter trat, wollte er noch bestimmen, was die Welt von ihm sieht, und so hielt er sich einen blauen Aktenordner vor den Kopf, als ihn die Justizwachbeamten in den Großen Schwurgerichtssaal des St. Pöltener Landesgerichts führten. Viel mehr ist ihm offenbar nicht geblieben, um sein Gesicht zu wahren.

Gestern hat in der kleinen niederösterreichischen Landeshauptstadt das Verfahren begonnen, das sie in Österreich "Jahrhundertprozess" nennen, die Strafsache gegen Josef Fritzl, einst Techniker, Immobilienmakler und respektierter Bürger von Amstetten. 24 Jahre lang soll der Mann seine Tochter in einem Verlies unter seinem Haus eingekerkert haben, sie Tausende Male vergewaltigt und sieben Kinder mit ihr gezeugt haben. Eines von ihnen starb zwei Tage nach der Geburt. Die Anklage wirft Fritzl vor, der Junge hätte überleben können, wenn sein Vater und gleichzeitig Großvater ihm nicht die Hilfe verweigert hätte. Deshalb muss sich Fritzl nicht nur wegen Sklaverei, Vergewaltigung, schwerer Nötigung und Blutschande verantworten, sondern auch wegen Mordes durch Unterlassung.

Fritzls heller Anzug ist ihm in den elf Monaten Haft ein wenig zu groß geworden. Den Ordner legt er erst vor sich auf den Tisch, als die Richterin die Fotografen bittet, den Saal zu verlassen. Während sie dann die Geschworenen vereidigt und Fritzls Personalien aufnimmt, rutscht der Angeklagte ein paarmal auf seinem Stuhl hin und her, aber er rührt sich nicht mehr, als die Staatsanwältin mit ihrem Vortrag beginnt.

Christiane Burkheiser ist entschlossen, das Verbrechen, das alle "unfassbar" nennen, für die Geschworenen nachvollziehbar zu machen. Sie hat Striche an die Türen des Gerichtssaals malen lassen. Einen in 1,77 Meter Höhe - so hoch war das Verlies. Einen in 1,22 Meter Höhe - so hoch war die Dusche. Sie sagt, dass Josef Fritzls Tochter die ersten neun Jahre auf elf Quadratmetern lebte, zeitweise mit drei Kindern.

Die Staatsanwältin braucht ungefähr eine dreiviertel Stunde, um das Martyrium von Fritzls Tochter zusammenzufassen. Sie beschreibt, wie er sie ankettete, wie er sie wie sein Eigentum behandelte, wie sie ohne Hilfe ihre Kinder zur Welt brachte. Manchmal springt sie von einer Grausamkeit Jahre weiter zur nächsten, und dann sagt sie: "Und wissen Sie, was in den zwei Jahren dazwischen war? Licht aus, Vergewaltigung, Licht ein, Schimmel, Licht aus, Vergewaltigung, Licht ein, Geburt, Licht aus, Vergewaltigung, Licht ein, Kindsweglegung, Licht aus, Ungewissheit." Die Geschworenen haben sich fast alle in ihren Klappstühlen zurückgelehnt und die Arme verschränkt, als der Verteidiger von Fritzl zu seiner Replik ansetzt. Sein Mandant sei kein "Monster", sagt er. Außergewöhnlich an diesem Fall sei nicht die Einkerkerung oder der Inzest, sondern dass sich da jemand eine Zweitfamilie aufgebaut habe. Ganz am Ende, nachdem er die strittigen Anklagepunkte genannt hat, Mord und Sklaverei, lehnt Mayer sich vor und sagt: "Bitte fragen Sie sich: Was hat er zweifelsfrei gemacht? Und erst daraus ergibt sich dann das Strafmaß." Während er sich wieder hinsetzt, richtet sich Josef Fritzl auf in seinem Stuhl. Als nächstes ist er dran. Seine Hände zittern. Die Richterin verliest noch einmal die Anklagepunkte. Blutschande? "Schuldig." Nötigung? "Schuldig."

Freiheitsentziehung? "Schuldig." Vergewaltigung? "Teilschuldig." Sklavenhandel? "Nicht schuldig." Mord durch Unterlassen? "Nicht schuldig." Fritzl redet nicht laut, aber so, als wäre er es gewöhnt, dass man ihm zuhört. Er korrigiert die Richterin oft, als sie mit ihm seine Lebensgeschichte durchgeht. Aber er setzt nur ein einziges Mal zu so etwas wie einer Verteidigung an. Als es um das erste Inzestkind geht, das er vor seinem Haus ablegte, sagt er: "Sie ist ja dann ins Spital gekommen, deswegen hab ich sie ja raufgeholt."

Was die psychiatrische Gutachterin über Fritzl zu sagen hat, soll die Öffentlichkeit nicht hören, genauso wenig wie seine weiteren Aussagen. Das beschließt das Gericht eineinhalb Stunden nach Beginn der Verhandlungen. Auch heute soll der Prozess ohne Öffentlichkeit fortgesetzt werden.