Eine Woche nach dem Amoklauf von Winnenden hat die Familie des 17 Jahre alten Amokläufers Tim K. erstmals den Opfern ihres Sohnes in einem offenen Brief ihr Mitgefühl ausgesprochen. Innenminister Heribert Rech erklärte, der Amoklauf habe sich schon “angebahnt“, da der Todesschütze sich intensiv mit einschlägigen Computerspielen und Filmen beschäftigte. Unterdessen soll Tim K.s Vater keine Waffen mehr besitzen dürfen.

In diesem Brief, der vom Anwalt der Familie aus Leutenbach (Rems-Murr-Kreis) in Stuttgart an diie Medien gesandt wurde, hieß es im Wortlaut:

"Ihnen wurde das Wertvollste und Wichtigste, ein geliebter Mensch, durch die entsetzliche und unbegreifbare Tat unseres Sohnes und Bruders genommen. Immer und immer wieder fragen wir uns, wieso dies geschehen konnte. Warum wir seine Verzweiflung und seinen Hass nicht bemerkt haben. Bis zu dem furchtbaren Geschehen waren auch wir eine ganz normale Familie.

Wir hätten Tim so etwas nie zugetraut und kannten ihn anders. Wir sind bestürzt und stehen weinend und stumm vor der unfassbaren Tragödie. Unser tiefstes Mitgefühl möchten wir den Opfern, Angehörigen und Freunden aussprechen. Alle unsere Gedanken sind auch bei den körperlich und seelisch Verletzten. Leutenbach, den 17.03. 2009"

Bei seinem Amoklauf an einer Realschule in Winnenden und seiner anschließenden Flucht nach Wendlingen hatte Tim K. 15 Menschen getötet, darunter neun Schüler und drei Lehrerinnen an seiner ehemaligen Schule. Anschließend tötete er sich selbst mit einem Kopfschuss in die Stirn. Die Ermittler sehen einen deutlichen Zusammenhang zwischen den Killerspielen von Tim K. und dem Blutbad.

"Da hat schon was stattgefunden und sich was angebahnt", sagte Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU). Bei der Durchsuchung des Zimmers von Tim K. in der Wohnung der Eltern in Weiler zum Stein bei Winnenden wurden nach Rechs Angaben mehrere "Ego-Shooter-Spiele" und Gewaltfilme sowie einige handschriftliche Notizen wie etwa "Tod aus Spaß" gefunden. Als Konsequenz aus dem Amoklauf regte Justizminister Ulrich Goll (FDP) an, den Alarmplan in Schulen zu verbessern. Mit einem Lichtsignal könnten Lehrer vor einem Amoklauf gewarnt werden. Dann könnten schnell handeln und sich in Sicherheit bringen.

Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) sprach sich für ein hartes Vorgehen gegen Gewalt in elektronischen Medien aus: "Ich bin da persönlich zu sehr restriktiven Maßnahmen bereit." Der Bundestag will am Mittwoch über Konsequenzen aus dem Amoklauf beraten. Experten bestreiten seit Jahren, dass es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Gewaltspielen und Amokläufen gibt.

Der Vater von Tim K. soll keine Waffen mehr besitzen dürfen: Das Landratsamt Waiblingen will seine Waffenbesitzkarte einziehen, leitete dazu bereits ein Widerrufsverfahren ein. Die Behörde zweifele an der Zuverlässigkeit des Mannes. Der Vater des 17-Jährigen hatte die Waffe, die sein Sohn für den Amoklauf am vergangenen Mittwoch benutzte, im Schlafzimmer aufbewahrt. Seine Waffen und Munition wurden von der Polizei sichergestellt. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt zudem gegen den Vater wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung: Es lägen konkrete Anhaltspunkte vor, dass er Kenntnis von den gesundheitlichen Problemen seines Sohnes hatte. Tim K. soll unter Depressionen gelitten haben.

Unter großer Anteilnahme von Schülern, Kollegen, Freunden und Angehörigen wurden am Dienstag zwei Lehrerinnen beigesetzt, die von dem Amokläufer erschossen worden waren. Eine von ihnen wäre an diesem Tag 25 Jahre alt geworden. Die andere war 26 Jahre alt und mit einem Polizisten verheiratet, der beim Einsatz gegen den Amokläufer vom Tod seiner Frau erfahren hatte.

Nach dem vorläufigen Obduktionsergebnis hat sich Tim K. am Ende seiner Flucht mit einem Kopfschuss selbst gerichtet. Seine Leiche wurde bereits am vergangenen Freitag freigegeben. Wann Tim K. beigesetzt wird, ist nicht bekannt. Bei der zentralen Trauerfeier für die Opfer am Sonnabend werden nach ersten Schätzungen bis zu 100 000 Besucher in Winnenden erwartet - darunter Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Die Polizei prüft weiter, ob Tim K. die Tat im Internet angekündigt hat. Rech sagte, "vieles spricht dafür", dass die Ankündigung in einem Chatroom im Internet gefälscht wurde. Dennoch werde auch der beschlagnahmte Computer der Mutter überprüft. Es gebe auch Hinweise, dass der 17-Jährige Internet-Cafes aufsuchte. Die Ermittler warten weiter auf Informationen des in den USA sitzenden Betreibers des Chatrooms, um den Sachverhalt zu klären.

In Baden-Württemberg wird es an diesem Mittwoch um 10.00 Uhr eine landesweite Gedenkminute geben. Die Schüler der Albertville- Realschule müssen vom kommenden Montag an wieder zum Unterricht - aber an anderen Schulen. Ob in der Realschule jemals wieder unterrichtet wird, sei noch unklar, sagte Kultusminister Helmut Rau (CDU).

Nach Angaben Rechs gab es seit dem Amoklauf allein in Baden- Württemberg 52 Trittbrettfahrer, die die Polizei mit Drohungen in Atem hielten. Gegen fünf Nachahmungstäter wurde Haftbefehl erlassen. "Wir müssen davon ausgehen, dass mit weiteren Trittbrettfahrern zu rechnen ist", befürchtet Rech.