Einzelgänger, aus der Mittelschicht und männlich - so lautet Studien zufolge das durchschnittliche Profil eines Amokläufers vergangener Bluttaten an deutschen Schulen.

Bonn. Mit der 16-jährigen Gymnasiastin Tanja O. aus Sankt Augustin bei Bonn steht erstmals in Deutschland ein Mädchen im Verdacht, einen Amoklauf an seiner Schule geplant zu haben. "Das ist weltweit sehr selten, aber es kommt immer mal wieder vor", sagt Rebecca Bondü, Psychologin von der FU Berlin. Eine Studie der TU Darmstadt ergab, dass vier von 100 Amokläufen an Schulen weltweit von Mädchen verübt werden.

Die Auslöser für Gewaltausbrüche, so die Expertin, seien geschlechterunabhängig: Viele der Täter hätten Kränkungen, soziale Brüche oder Verlust-Erfahrungen erlitten. Oft stecke eine tiefe Verzweiflung dahinter. In der Regel gingen Mädchen mit solchen Problemen jedoch anders um als Jungen. "Sie machen ihre Schwierigkeiten mit sich selbst aus oder kompensieren sie - zum Beispiel über andere Krankheiten wie Bulimie oder Essstörungen", sagt Bondü. Männer hätten dagegen seit Urzeiten als "Jäger oder Krieger" eine aggressivere Art und Weise, sich mit ihren Problemen auseinanderzusetzen - daher seien sie auch insgesamt öfter an schweren Gewaltdelikten beteiligt als Frauen.

Der Kölner Kriminologe Michael Walter: "Der Effekt eines Amoklaufs - ein riesiges Polizeiaufgebot, eine große Medienpräsenz - kann aber auch für Frauen eine hohe Attraktivität besitzen." Was Tanja O. zu ihrer Tat trieb, stellt die Polizei bislang vor ein Rätsel. Derzeit befindet sich die Schülerin in den Rheinischen Landeskliniken in Bonn, wo sie psychologisch betreut wird. Sie gilt als akut selbstmordgefährdet. Gestern erging gegen die Schülerin Haftbefehl wegen versuchten Mordes, Vorbereitung einer Sprengstoffexplosion und gefährlicher Körperverletzung.

Die 16-Jährige hatte sich am Montagabend gegen 23 Uhr bei der Bundespolizei am Kölner Hauptbahnhof gestellt. 14 Stunden zuvor war sie, mit einer Maske getarnt, zehn Molotowcocktails, einer Gaspistole und Messern im Rucksack, in das Albert-Einstein-Gymnasium in Sankt Augustin gestürmt. Als sie von einer 17-jährigen Mitschülerin auf der Schultoilette überrascht wurde, griff Tanja O. diese mit einem Messer an, schnitt ihr einen Daumen ab. Oberstaatsanwalt Jan van Rossum: "Er wurde mittlerweile wieder angenäht." Durch ihren Mut habe die 17-Jährige in letzter Sekunde einen Brandanschlag auf die Schule vereitelt.

Tanja O. galt als still, zurückhaltend und sehr gute Schülerin. Nachbarn erzählen, das Mädchen leide unter der Trennung seiner Eltern. Tanja hatte deshalb schon in der Grundschule einen Selbstmordversuch unternommen. "Focus Online" berichtet unter Berufung auf Ermittler, dass sie "von einem unbändigen Hass auf ihre Umwelt" getrieben wurde. In ihrem Jugendzimmer fand die Polizei einen zur Bombe umgebauten Feuerlöscher.

Gestern kam heraus, dass es nach der Messerattacke eine Panne gab. Die Schule löste Feuer- statt Amokalarm aus. Die 800 Schüler seien auf die Flure gerannt, statt sich in den Klassen zu verbarrikadieren, sagte Schülervertreter Christian von den Driesch (18). Erst später kam die Ansage, dass die Klassen abgeschlossen werden sollen.