Sechs Jahre nach der Flucht der damals 18-Jährigen sollen letzte Widersprüche des Falls ausgeräumt werden - auch mit Hilfe von BKA und FBI.

Wien. Der spektakuläre Fall des österreichischen Entführungsopfers Natascha Kampusch (24) wird von Spezialisten neu unter die Lupe genommen. Eine Arbeitsgruppe mit 14 Mitgliedern und ein 7-köpfiger Lenkungsausschuss sollen in den nächsten Monaten die Ermittlungsakten von Polizei und Staatsanwaltschaft analysieren. Dem Ausschuss sollen auch jeweils ein Experte für Altfälle des deutschen Bundeskriminalamtes (BKA) und des amerikanischen FBI angehören.

Mit dem erneuten Aktenstudium wollen die österreichische Politik und Justiz klären, ob der Fall wegen der Ermittlungspannen nach der Flucht von Kampusch vor sechs Jahren erneut von der Kripo aufgerollt werden muss. Oder ob die Akten endgültig geschlossen werden können.

Seit Jahren kursieren Verschwörungstheorien, dass der Entführer Wolfgang Priklopil Helfer oder Mitwisser hatte. Priklopil hatte die zehnjährige Natascha Kampusch 1998 entführt und acht Jahre in seinem Haus bei Wien gefangen gehalten. Nach ihrer Flucht tötete er sich selbst. Kampusch hatte Theorien von Mittätern immer als Hirngespinste bezeichnet.

Die erneute Untersuchung wurde am Freitag von österreichischen Behörden eingeleitet. Empfohlen hatte das kürzlich ein Untersuchungsausschuss des österreichischen Parlaments. Hinweise zur Bestätigung von Gerüchten über weitere Täter oder gar einen Kinderpornoring hatte er aber auch nicht gefunden. Bis Ende dieses Jahres soll der neue Bericht vorliegen.

BKA-Sprecherin bestätigte der dpa am Freitagnachmittag: "Eine Unterstützung ist geplant.“ Man stehe in Verbindung. Allerdings gebe es beim BKA keine expliziten Spezialisten für die erneute Analyse alter Kriminalfälle - wie etwa in amerikanischen Fernsehserien. Das sei in Deutschland Aufgabe der Landeskriminalämter. Für die Unterstützung der österreichischen Kollegen gebe es aber vielfältige Möglichkeiten, Details seien noch nicht bekannt.

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Die neue Arbeitsgruppe mit Abgesandten des Innen- und des Justizministeriums, des Verfassungsschutzes, der Staatsanwaltschaft und der Kripo sollen alle Akten sichten dürfen, heißt es. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss dufte bestimmte Akten nicht sehen.

Ungeklärt sind tatsächlich einige Widersprüche rund um den Fall. Eine junge Zeugin, die die Entführung beobachtet hatte, sprach später von zwei Tätern. Dem Hinweis eines Polizei-Hundeführers auf den Entführer Priklopil wurde nicht rechtzeitig nachgegangen. In einem Telefongespräch redete der Entführer angeblich einmal über "die anderen“.

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Kampusch selbst hatte im Frühjahr in einem langen Fernsehinterview um Ruhe gebeten und sich gegen die zahlreichen Verschwörungstheorien gewehrt. Weder habe es weitere Täter neben dem Entführer oder gar einen Kinderpornoring gegeben, noch sei sie schwanger gewesen, sagte sie. Die Debatten in den österreichischen Medien nannte sie "empörend“.

Die Hysterie in manchen Kreisen war groß. So ermittelte etwa ein echter Polizist auf eigene Faust und nahm illegal von einem Grundschulmädchen DNA-Proben. Er wollte beweisen, dass Kampusch die Mutter des Kindes sei. Ein seriöses Gutachten widerlegte das.

Im Mai begannen Dreharbeiten zur Verfilmung des Lebens- und Leidenswegs von Kampusch. Der verstorbene Filmproduzent Bernd Eichinger hatte ein Drehbuch nach Kampuschs Autobiografie "3096 Tage“ geschrieben.