Mehr als zwei Jahrzehnte lang soll ein Mann mehrere Familienmitglieder sexuell missbraucht haben. Erstmals äußerte sich nun die Stieftochter.

Fluterschen/Koblenz. Nach den Horror-Berichten über sexuellen Missbrauch in einer Familie im Westerwald hat sich die Stieftochter des angeklagten Familienvaters erstmals geäußert. Sie hoffe auf ein Geständnis ihres Peinigers, sagte die 28-Jährige am Freitag in einem Interview mit dem Nachrichtensender N24. Der Mann soll mit ihr acht Kinder gezeugt haben. Sie betonte in dem Interview: „Ich hoffe, dass er die richtige Strafe bekommt und nie wieder einen Menschen verletzen kann.“ Die Staatsanwaltschaft und die Nebenklage fordern Sicherungsverwahrung für den Mann.

Der 48-Jährige aus dem Dorf Fluterschen, der bisher nach Angaben seines Verteidigers die Vorwürfe bestreitet, steht von Dienstag an vor dem Koblenzer Landgericht. Er soll die Stieftochter und eine leibliche Tochter, die er ebenso wie einen Stiefsohn missbrauchte, auch zur Prostitution gezwungen haben. Medien nennen den Tatverdächtigen den „deutschen Fritzl“. Zur Frage, wie der Missbrauch über nahezu 23 Jahre lang möglich war, meinte die 28-jährige Stieftochter: „Das ist für Außenstehende schwer zu verstehen. Das hat mit der Psyche und den Zwanghaftigkeiten zu tun gehabt.“

Der Fall weckt Erinnerungen an Josef Fritzl, der seine Tochter 24 Jahre lang im Keller seines Hauses im österreichischen Amstetten eingesperrt, sie vergewaltigt und dabei sieben Kinder gezeugt hatte. 2008 wurde das Verlies entdeckt. Fritzl verbüßt eine lebenslange Haftstrafe.

Die vielköpfige Familie des Angeklagten und seiner 52 Jahre alten Ehefrau lebte in einem Haus mitten im Dorf. Das Jugendamt vermutete schon früher , dass er der Vater der sieben Kinder der 28-Jährigen sei - eines starb wenige Wochen nach der Geburt. Das habe die junge Frau jedoch stets abgestritten. Die Polizei nahm den Mann fest, nachdem die Stieftochter einen Abschiedsbrief seiner leiblichen Tochter an das Jugendamt weitergeleitet hatte. Die heute 18-Jährige wollte ausziehen. Der Mann sitzt seit August 2010 in U-Haft. Gutachten hätten inzwischen die Vaterschaft des Angeklagten bei den sieben Kindern zu 99,99 Prozent erwiesen, sagte ein Landgerichtssprecher.

Nach Einschätzung eines Opferhilfe-Vereins ist es bei sexuellem Missbrauch in der Familie nicht ungewöhnlich, dass sich die Opfer auch über Jahre hinweg nicht gegen den Täter verbünden. Die Gründe dafür könnten in der Persönlichkeit liegen. „Um so intime Details zu teilen, muss ein ganz besonderes Vertrauensverhältnis bestehen“, sagte Veit Schiemann von dem Verein „Weißer Ring“. Und es gelte: „Wenn die Tat geschieht, dann ist jeder für sich allein.“

“Der psychische Druck, den der Täter bei sexuellem Missbrauch in der eigenen Familie ausübt, ist enorm.“, sagte Schiemann. „Das sind Machtmenschen.“ Hier sehe er auch eine Parallele zum „Fall Fritzl“. Man mache es sich aber zu leicht, wenn man nun vom „deutschen Fritzl“ spreche, sagte der Experte. Es gebe in dem österreichischen Inzest-Fall einige eklatante Unterschiede wie die Inhaftierung der Opfer.

Im Fall von Fluterschen steht bald auch einer der Männer vor Gericht, die für Geld mit der Tochter oder Stieftochter Sex hatten. Der Prozess gegen einen 63-Jährigen wegen Kindesmissbrauchs beginnt am 18. März vor dem Amtsgericht in Betzdorf. Nach einem Bericht der „Rhein-Zeitung“ soll der Vater beim Sex sogar zugesehen haben. Einem weiteren 60-jährigen Mann drohe ein Prozess wegen insgesamt mehr als 50 Fällen.