Rettungskräfte warnen vor der Ausbreitung von Seuchen. Der weiterhin anhaltende Regen behinderte jedoch die Rettungsarbeiten.

Rio de Janeiro. Chaoitische Zustände im Bergland von Rio de Janeiro: Immer mehr Leichen werden aus Trümmern gezogen, neue Erdrutsche befürchtet. Nach den verheerenden Schlammlawinen im Südosten Brasiliens befürchten Rettungskräfte nun, dass die Zahl der Toten auf mehr als 1000 ansteigen könnte. In der Region nördlich von Rio de Janeiro bemühten sich Helfer am Sonntag, die bisher mindestens 610 Opfer zu identifizieren. Angesichts der zahlreichen noch nicht geborgenen Leichen wuchs in dem tropischen Klima die Gefahr der Ausbreitung von Seuchen.

In der gebirgigen Region Serrana nördlich von der Küstenmetropole Rio de Janeiro waren nach Angaben des Zivilschutzes rund 14.000 Menschen auf Hilfe angewiesen oder verloren ihr Zuhause. In der am stärksten betroffenen Stadt Nova Friburgo starben demnach mindestens 274 Menschen in den Erd-, Schlamm- und Wassermassen. Im benachbarten Teresópolis habe es 263 Todesopfer gegeben. Im nahen Petrópolis seien 55 und in der Kleinstadt Sumidouro 18 Menschen ums Leben gekommen.

Rettungskräfte in Teresópolis äußerten die Befürchtung, dass die Zahl der Toten auf mehr als 1000 steigen könnte. In dem nahegelegenen Dorf Campo Grande seien sämtliche der 2500 Häuser zerstört worden, sagte der Helfer Mauricio Berlim. Der Überlebende Fernando Goncalves da Silva bestätigte, dass von den Häusern nicht mehr als eines oder zwei die nächtliche Lawine aus Wasser, Schlamm und Bäumen am Mittwochmorgen überstanden habe, die meisten Einwohner hätten nicht überlebt.

Wegen der fortgeschrittenen Verwesung der Leichen ließen die Rettungskräfte Angehörige nicht mehr zu den in Büros, Kirchen und Polizeiwachen notdürftig aufgebahrten Leichen. In Teresópolis wurden die vor den provisorischen Leichenhallen wartenden Angehörigen gebeten, Tätowierungen, Zähne und andere auffällige Merkmale zu beschreiben, um die Toten identifizieren zu können. Viele der wartenden Überlebenden beteten, viele waren äußerlich ruhig, nach Angaben der Rettungskräfte ein Zeichen für Schock.

Eine Mitarbeiterin der Stadtverwaltung von Teresópolis, Solange Sirico, warnte, dass in dem tropischen Klima angesichts der zahlreichen ungeborgenen Leichen die Gefahr von Seuchen steige. Die 1200 Ärzte der Stadt seien überfordert, auch fehle es an Medikamenten, sagte Sirico. Viele der Leichen waren am Sonntag noch unter Tonnen von Schlamm begraben, die Armee entsandte Helikopter, um durch die Fluten abgeschnittene Dörfer zu erreichen. Der weiterhin anhaltende Regen behinderte jedoch die Rettungsarbeiten.

Die Gebirgsregion Serrana ist wegen ihres milden Klimas bei den Einwohnern von Rio de Janeiro als Rückzugsort beliebt. Mit Bergen bis zu 2200 Metern zieht sie heute Bergsteiger und Naturliebhaber an. Neben dem Anbau von Obst und Gemüse ist Tourismus die wichtigste Einnahmequelle in der Region, Hotels befürchten nun Millionenverluste.

Staatschefin Dilma Rousseff ordnete eine dreitägige Staatstrauer an. Der Gouverneur des Bundesstaates Rio, Sérgio Cabral, rief eine einwöchige Trauerzeit von Montag an aus. Bei den Fluten handelt es sich um die größte Naturkatastrophe dieser Art in der Geschichte Brasiliens. Meteorologen zufolge war in dem Gebiet innerhalb weniger Stunden so viel Regen gefallen wie sonst einem Monat. Sie führten dies auf das Klimaphänomen La Niña zurück, bei dem im Pazifik auf Höhe des Äquators ungewöhnlich niedrige Temperaturen herrschen. (AFP/abendblatt.de)