Der 22-jähriger Angeklagte räumt die Tötung der jungen Kurdin Arzu Ö. ein. Der Richter sieht Widersprüche in den Schilderungen

Detmold. Entführt und erschossen wurde die 18-jährige Kurdin Arzu Ö., weil ihre Familie ihre Liebe zu einem Deutschen nicht akzeptierte. Vor dem Landgericht Detmold legte am Montag einer ihrer Brüder ein Geständnis ab. Der 22-jährige Osman Ö. gab zu, dass er seine Schwester im November 2011 auf dem Weg nach Lübeck in einem Waldstück mit einer Waffe erschossen habe. Er sei „außer Kontrolle geraten“ und habe seine Schwester getötet, weil sie sowohl ihn wie auch seine Eltern beleidigt habe, sagte der Angeklagte. Die junge Frau, die er und vier weitere Geschwister in Detmold verschleppt haben sollen, habe ihn beschimpft und provoziert, sagte Osman Ö. zum Prozessauftakt. Seine Schwester Sirin und sein Bruder Kirer bestätigten den Tathergang.

Die Tat ereignete sich in einem Waldstück unweit der Autobahn 1 in Norddeutschland. Die Geschwister waren mit dem Auto unterwegs, um einen Onkel zu besuchen. Dort sollte die Schwester abgeliefert werden, die wegen ihres Lebenswandels und der Beziehung zu einem 21-jährigen Deutschen nicht mehr nach den Traditionen der jesidischen Familie lebte. Nach der Tötung wurde die Leiche der jungen Frau an einem Golfplatz abgelegt, wo sie Mitte Januar entdeckt wurde.

Wegen des Gewaltdelikts sind fünf Geschwister der Toten im Alter von 21 bis 27 Jahren wegen gemeinschaftlicher Geiselnahme angeklagt. Sirin Ö. und ihren beiden Brüdern Osman und Kirin wird zudem Mord vorgeworfen, die beiden anderen Geschwister waren an der weiteren Verschleppung und Tötung von Arzu Ö. nicht beteiligt. Die Geschwister sollen Arzu Ö. am Abend des 1. November mit Gewalt aus der Wohnung ihres Freundes entführt haben. Sirin Ö. sagte, sie hätten der jüngeren Schwester lediglich den „Kopf waschen“ wollen, ein Mord sei nicht geplant gewesen. Oberstaatsanwalt Ralf Vetter geht dagegen davon, aus Arzu Ö. sterben musste, um die „vermeintlich verletzt Familienehre wiederherzustellen“.

Der tödlichen Gewalttat vorausgegangen waren in der jesidische Familie offenbar heftige Auseinandersetzungen zwischen Arzu Ö., ihren Eltern und ihren Geschwistern. Dabei soll die 18-Jährige von ihrer Familie immer wieder eingesperrt und verprügelt worden sein. Kurz vor der Tat flüchtete sie in ein Frauenaus, legte sich einen neuen Namen und ein neues Aussehen zu. Durch ihren Kontakt zu ihrem Freund kam Sirin Ö. ihrer Schwester auf die Spur.

Sirin sagt unter Tränen aus

Unter Tränen schilderte Sirin Ö., dass sie zu ihrer Schwester ein besonders enges Verhältnis gehabt und sich für sie verantwortlich gefühlt habe. Mit stockender Stimme erzählte sie von ihrer Suche nach Arzu Ö., nachdem diese von der Familie verstoßen worden war. Mit der Verschleppung aus der Wohnung des Freundes hätten die Geschwister versuchen wollen, Arzu Ö. wieder mit der Familie zu versöhnen. Dass es zu den tödlichen Schüssen kam, habe sie „schockiert und entsetzt“. Die Eltern hätten von der Verschleppung nichts gewusst.

Bislang hatten die Geschwister zu der Tat geschwiegen. Der Vorsitzende Richter Michael Reineke verwies darauf, dass im weiteren Verfahren zu klären sei, ob sich Osman Ö. eventuell fälschlicherweise zu der Tat bekennt, um die Strafe als jüngster der wegen Mordes angeklagten Geschwister auf sich zu nehmen. Nach seiner Ansicht gibt es Widersprüche, unter anderem zu der mit dem Auto zurückgelegten Strecke.

Nach den Aussagen der Angeklagten wurden die ersten Zeugen gehört. Für den Prozess sind bislang fünf Verhandlungstage angesetzt. Der nächste Verhandlungstag findet am 7. Mai statt. (abendblatt.de/dapd)