Wenige Monate vor der Umweltkonferenz „Rio+20“ will Brasiliens Kongress den Schutz des Regenwaldes aufweichen. Umweltschützer laufen Sturm.

Manaus/Brasília. Brasiliens Regierung hat sich viel vorgenommen. Die Waldzerstörung am Amazonas soll bis 2020 um 80 Prozent reduziert, der Ausstoß der klimaschädlichen CO2-Gase drastisch verringert werden. Ganz anders der Kongress. Dort wird erbittert um ein Projekt gestritten, das den Schutz des Regenwaldes aufweichen soll. Von diesem Dienstag an geht die Debatte in die entscheidende Phase. Das Abgeordnetenhaus in Brasília hatte seinen Entwurf der Novelle des sogenannten Código Florestal schon im Mai 2011 verabschiedet. Die Vorlage sah eine Amnestie für zurückliegende illegale Rodungen vor und machte den Weg frei für eine landwirtschaftliche Nutzung bislang geschützter Flächen.

Die damals frisch ins Amt gewählte Präsidentin Dilma Rousseff wertete den Entwurf als „Schande für Brasilien“. Der Senat, das Oberhaus, veränderte die Vorlage daraufhin im Dezember in einigen Punkten. Nun muss das Abgeordnetenhaus erneut abstimmen, bevor der Entwurf zur Unterschrift an Rousseff geht. Außerhalb des Kongresses sorgt das Gesetz für erheblichen Widerstand vor allem bei Wissenschaftlern und Umweltschützern. Für Brasiliens WWF-Generalsekretärin Maria Cecíllia Wey de Brito gibt es zwischen den beiden vorliegenden Varianten keinen großen Unterschied.

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Sie zieht einen drastischen Vergleich: „Ob ich jemanden aus dem 15. Stock eines Hochhauses oder aus der 10. Etage stoße – das Ergebnis ist gleich.“ Sie hält die neuen Pläne für einen „großen Rückschritt“, der die international gemachten Zusagen Brasiliens unmöglich machen würde. Die geplanten Änderungen sehen unter anderem eine Amnestie für kleine Landwirtschaftsbetriebe vor, die vor dem 22. Juli 2008 Flächen illegal gerodet haben. Zudem sollen die landwirtschaftliche Nutzung an Hangflächen ausgeweitet, Schutzzonen an Flussufern verringert und gesetzlich fixierte Mindestquoten für Naturflächen unter bestimmten Bedingungen reduziert werden.

„Der neue Código ist ein Anreiz für mehr Abholzungen. Flächen, die heute geschützt sind, fallen aus diesem Schutz raus“, sagt die Biologin Maria Teresa Piedade vom Instituto Nacional de Pesquisas da Amazônia (INPA), dem öffentlichen Amazonas-Forschungsinstitut in Manaus. Sie arbeitet in einem Kooperationsprojekt mit dem Max-Planck-Institut für Chemie (Mainz), an dem auch der deutsche Wissenschaftler Florian Wittmann seit 2001 in Manaus teilnimmt. Beide warnen, durch den neuen Código könnte ein Feuchtbiotopen- Gebiet von mehreren hunderttausend Quadratkilometern entlang der großen Flüsse im Amazonas-Becken schutzlos werden. Es sind ökologisch sensible Gebiete, die mehrere Monate im Jahr unter Wasser stehen. „Die Flüsse pulsieren und steigen und fallen je nach Regenmenge und Jahreszeit um bis zu zehn Meter“, erläutert Wittmann.

Bisher wird der Höchststand der Flüsse als Parameter für den Schutz der riesigen Überschwemmungswälder genommen. Künftig soll nur noch der Niedrig- oder Mittelstand des Flusses als Maßstab dienen, wodurch die Schutzflächen erheblich verringert würden. „Für diese überschwemmten Gebiete ist der neue Código ein immenses Risiko. Wir sind ernsthaft besorgt“, warnt Piedade. Sie ist auch enttäuscht darüber, dass in der Diskussion um das neue Gesetz wissenschaftliche Erkenntnisse nahezu unberücksichtigt geblieben sind und der Entscheidungsprozess um jeden Preis vorangetrieben werden soll.

Doch noch ist nichts entschieden, denn nach einer Zustimmung der Abgeordneten hat Präsidentin Rousseff das letzte Wort. „Sie könnte die einzige Rettung sein“, beschreibt Maria Teresa Piedade die Hoffnung vieler ihrer Kollegen. Im Juni richten sich die Augen der Welt auf Rio de Janeiro, das 20 Jahre nach dem wegweisenden Umwelt-„Erdgipfel“ die UN-Folgekonferenz „Rio+20“ für nachhaltige Entwicklung ausrichtet. Dazu werden nicht weniger als 100 Staats- und Regierungschefs in Brasilien erwartet. (dpa/abendblatt.de)