Die Anden, Indien und der Offizierslook inspirierten den Modeschöpfer. Was derb wirkt, ist in Wahrheit Luxus und kuschelweich.

Paris. "Ich muss hier weg!" Fluchtgedanken ergriffen Wolfgang Joop (65) plötzlich im vergangenen Pariser Herbst. Dabei war seine Wunderkind-Show für Frühjahr/Sommer gerade ein großer Erfolg gewesen, der Applaus lang, die Gratulationen überschwänglich.

Dennoch hatte ihn eine undefinierbare Sentimentalität erfasst. Und er verließ den Ort des Triumphes schnurstracks, fand sich fast verwundert wieder im siebten Stockwerk (ohne Fahrstuhl!) eines Altbaus, wo eine Stoffkollektion präsentiert wurde. So ist es im Modegeschäft, eben gerade noch wird Sommer gezeigt, schon soll für den kommenden Winter geordert werden.

Da klingelt sein Telefon: "Wolfi ist gestorben!" Wolfi Joop war sein Lieblings-Spitz, treuer Begleiter noch aus New Yorker Zeiten. Die Sentimentalität hatte also doch eine Ursache gehabt. Die Tränen flossen, Joop suchte etwas zum Trocknen, griff wahllos in einen Stapel, zögerte und sagte wieder zu seinem Assistenten Michael: "Ich muss hier weg. Bring etwas von dem Stoff mit."

So kam es. Und so kam es zu jener außergewöhnlichen Wunderkind-Kollektion, die gestern in Paris gezeigt wurde und unter dem Arbeitstitel "Tribal Treasure" lief. Denn als Inspirationsbasis diente der Stoff, der an derbe Decken erinnert, aber beim Anfassen von größter Weichheit ist. Kein Wunder, die Kette ist aus Seide, der Schuss aus Kaschmir, extra dick verwoben. Decken halt. Die für den kommenden Herbst/Winter mit Fransen verbrämt, von derben Schnallen gehalten und mit grad so weichen Lederärmeln im Bikerjackenstil zu bodenlangen Mänteln und traumhaften Jacken verarbeitet wurden. Man möchte augenblicklich Nomadin werden.

Wie sagte eine lässige Frau im Publikum zu ihrem Mann: "Fang schon mal an zu sparen. Mir gefällt das alles!"

Weil Brüche bei Joop gelebte Pflicht sind, nichts soll eindimensional sein, gibt es zu den robusten Jacken (innen mit feinster Seide verbrämt!) schmale Kleider aus Seidenjersey. Für den typischen Twist versteckt sich zwischen den grafischen Mustern ein Affe - oder auch Posamenten. Letztere sind Reverenz an das geliebte Sanssouci.

Ein zweites Thema ist die Verwendung kostbarer Doublefacestoffe; wie die "Decken" auch sie als Militärmantel mit blasssilbernen Knöpfen und mit einem Stückchen vom Tressenband verziert, das sich auf einem Kleid schon mal als rückenlanges Ornament findet. Die Uniformmäntel und -assoziationen sollen in der joopschen Wahrnehmung "natürlich als Friedensbringer" verstanden werden.

Das "Gefühl des Vertriebenen, des neuen Vagabunden, neue Schätze, für eine andere Art von Zukunftsmode" sind Themen, die den Modeschöpfer, den sein Assistent Christoph Becker "unser lebendes Wikipedia" nennt, beschäftigen. Und so hat er im großen Gedanken- und Fantasiefundus gekramt, weiß selbst gar nicht so recht, "wie mir das bei allem Stress drum herum einfallen konnte". In jedem Fall ist ihm wieder eine unique, magische Kollektion gelungen. "Es ist kein bestimmtes Volk gemeint, vielmehr habe ich einzelne Zitate zusammengesetzt, so wie wir in den 70ern Talismänner von überall her sammelten, aus Afghanistan und Indien, dem Balkan."

Die Wunderkind-Frauen, darunter das neue Topmodel Anne Sophie Monrad aus Handewitt bei Flensburg, waren in guter Gesellschaft: "Ich glaube ja an Paare!" Der Wunderkind-Mann gesellte sich dazu, und der darf ruhig mal ein rosa Sakko zur witzig bedruckten Hose im Jodhpur-Stil tragen. Oder eine Weste aus der Decke mit Fransen, die aus dem Sakko herauswinken. Warum das originell und nicht albern aussieht, ist eines der joopschen Kreativgeheimnisse.

Um das Bild zu komplettieren, ließ Joop sich am Dienstagabend die Haare weiß färben: "Ich wollte aussehen wie ein Husky." Ein glücklicher Husky.