Concepción. Hilfsgüter an Obdachlose verteilen, Verschüttete bergen, Verletzte versorgen und Plünderungen unterbinden: Das ist in Chile das Gebot der Stunde. Zwei Tage nach dem schweren Erdbeben an der Pazifikküste wird das Land immer noch von Nachbeben erschüttert. Doch nicht mehr alle 15 Minuten wie direkt nach dem großen Beben. "Mittlerweile haben sie ein viel längeres Intervall", sagt Abendblatt-Fotoreporter Marcelo Hernandez, der sich gerade in Viña del Mar aufhält (wir berichteten).

Die Zahl der Toten stieg auf mindestens 723. In der Nacht hatte sich Concepción, das von dem Beben der Stärke 8,8 besonders schwer getroffen wurde, wegen der Ausgangssperre in eine Geisterstadt verwandelt. Doch immer wieder kommt es zu Plünderungen in Supermärkten, Apotheken und kleineren Läden. Nun sollen 10 000 Soldaten in die Region geschickt werden, um ein Abgleiten in die Anarchie zu verhindern, kündigte Verteidigungsminister Francisco Vidal an.

"Wir sind keine Diebe", sagte ein Einwohner. "Wir wollen zahlen, aber nichts funktioniert." Gestern brachen in der Stadt zwei Großbrände aus. Flammen schlugen aus einem Kaufhaus, das zuvor von Hunderten Menschen geplündert worden war. Marineinfanteristen, die mit gepanzerten Fahrzeugen vorgingen, schossen in die Luft, um die Menschen zu vertreiben. Auch ein Großmarkt stehe in Flammen, berichtete das chilenische Fernsehen. Aus den Vororten der Stadt mit mehr als 200 000 Einwohnern waren Schüsse zu hören. Es sei zu Schießereien zwischen bewaffneten Bürgerwehren, Plünderern und dem Militär gekommen, hieß es. Augenzeugen berichteten, dass in der Gemeinde San Pedro de la Paz zwei Menschen getötet wurden.

Chiles Verteidigungsminister räumte gestern einen verhängnisvollen Fehler ein: Die Marine hatte es unterlassen, vor einem Tsunami zu warnen. "In den Küstenregionen hat eine Monsterwelle ganze Ortschaften fortgerissen", erklärte Innenminister Edmundo Pérez Yoma. Allein in der Küstengemeinde Constitución gab es 353 Tote.