Die Stadt wurde von einer 2,3 Meter hohen Welle getroffen. Ganz Chile im Ausnahmezustand. Tsunamiwarnung für den Pazifik-Raum. Teile von Hawaii werden evakuiert.

Washington/Santiago de Chile. Nach dem schweren Erdbeben vor der chilenischen Küste ist am Sonnabend eine 2,3 Meter hohe Flutwelle über die Stadt Talcahuano hereingebrochen. Das gab das US-Tsunami-Warnzentrum für den Pazifik (NOAA) in Washington bekannt. Talcahuano liegt an einer Pazifik-Bucht nördlich der chilenischen Stadt Concepción. Der Ort ist den Angaben zufolge einer von elf Küstenstädten, die von dem Tsunami getroffen wurden. Berichte aus Talcahuano lagen zunächst nicht vor.

1. CHILE - ERDBEBEGEÄHRDETES LAND AM PAZIFIK

2. ERDBEBENKARTE DES POTSDAMER ERDBEBENFORSCHUNGSZENTRUMS

3. EIN ERSTER KORRESPONDETENBERICHT AUS DER ERDBEBEREGION

Das chilenische Innenministerium gab die Zahl der Erdbebentoten am Sonnabendnachmittag (MEZ) mit 82 an. In weiten Teilen des Pazifik-Raums – bis hin nach Australien, Neuseeland und Hawaii – wurde vor einem Tsunami gewarnt. Dieser könnte noch viele Stunden später auf die Chile zugewandten Küsten am Pazifik treffen. Das Erdbeben ereignete sich nach Angaben der US-Erdbebenwarte (USGS) um 03.34 Ortszeit (07.34 Uhr MEZ) etwa 90 Kilometer von Concepción entfernt in 35 Kilometer Tiefe.

Die mächtigen Erdstöße um 3.34 Uhr Ortszeit hatten die Menschen im Schlaf überrascht. Viele rannten in Panik aus ihren Häusern und kampierten aus Angst vor Nachbeben im Freien. Das Epizentrum lag nach Angaben der US-Erdbebenwarte etwa 92 Kilometer nordwestlich der Küstenstadt Concepción. Die Erde bebte in fast 60 Kilometern Tiefe. In schneller Folge gab es mehr als 20 Nachbeben mit Stärken von bis zu 6,9.

Hunderte Menschen wurden noch unter den Trümmern vermutet. Die Behörden rechneten damit, dass die Opferzahlen stündlich steigen. Das ganze Ausmaß der Zerstörung vor allem in der Region um die Großstadt Concepción etwa 500 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago war auch Stunden nach dem Beben unklar. Der Sitz der Regionalregierung soll zerstört worden sein. Mauern von Gefängnissen und mehrstöckige Gebäude stürzten ein. „So etwas habe ich noch niemals zuvor gesehen“, sagte eine fassungslose Frau, die mit einer Wolldecke um den Schultern auf der Straße stand. Ein TV-Reporter berichtete: „Es gibt keine Straße in Concepción, wo kein Schutt liegt. Man hört Kinder unter den Trümmer schreien.“

Ein Erdbeben der Stärke 8,8 gilt als Großbeben, bei dem normalerweise mit vielen Opfern und schweren Verwüstungen zu rechnen ist. Das heftigste je auf der Erde gemessene Beben hatte eine Stärke von 9,5 und ereignete sich 1960 ebenfalls in Chile. Damals starben 1655 Menschen.

Noch Stunden nach dem Beben standen viele Menschen in Pazifik-Anrainerstaaten Ängste vor einem Tsunami aus. Erinnerungen an die Naturkatastrophe in Südostasien wurden wach. Weihnachten 2004 hatten Riesenwellen mehr als 230 000 Menschen getötet. Der Tsunami damals war nach einem 9,1-Erdbeben vor der indonesischen Insel Sumatra über umliegenden Küsten hereingebrochen.

Das chilenische Fernsehen zeigte nach der Katastrophe Bilder von eingestürzten Wohnhäusern, Krankenhäusern, brennenden Gebäuden, zerstörten Brücken, auch in Santiago. Vor allem an älteren historischen Gebäuden wie Kirchen und Lehmziegelbauten entstanden schwere Schäden.

In der Hauptstadt stürzten auch neue Autobahnbrücken ein. Die wichtigste Straßenverbindung von Santiago in die besonders betroffenen Gebiete war zunächst unterbrochen. Internet und Telefone funktionierten nicht. Die Strom-, Gas- und Wasserversorgung brach zusammen. Die Hochhäuser in Santiago hielten den heftigen Erdstößen jedoch stand.

Der internationale Flughafen von Santiago wurde erheblich beschädigt und für mindestens eine Woche geschlossen. Im Fernsehen waren eine eingestürzte Fußgängerbrücke zum Abflugbereich des Flughafens und heruntergefallene Deckenverkleidungen zu sehen. Die Behörden überprüften außerdem die Landebahn auf mögliche Schäden. Der Flughafenchef konnte zunächst nicht sagen, wann der Flugbetrieb wieder aufgenommen werden kann. Dies könnte auch die für den 11. März vorgesehene Amtseinführung von Bachelets gewähltem Nachfolger Sebastißn Piñera behindern.

Präsidentin Bachelet rief die Menschen auf, Ruhe zu bewahren und zu Hause zu bleiben. Sie flog in das Katastrophengebiet und versprach den Opfern schnelle Hilfe. An der Küste nahe dem Epizentrum löste der Tsunami Überschwemmungen aus.

Der Blogger Leo Perieto berichtete im amerikanischen Nachrichtensender CNN, das Erdbeben habe nach seinem Eindruck etwa drei bis fünf Minuten gedauert. Andere Augenzeugen sprachen von 45 Sekunden. Perieto sagte, er habe schon früher ein Erdbeben erlebt, doch dies sei deutlich stärker gewesen.

Die Europäische Union erklärte sich zu rascher Hilfe für Opfer des Erdbebens in Chile bereit. In einer Erklärung der zuständigen EU-Kommissarin Kristalina Georgiewa in Brüssel hieß es, die Kommission stelle derzeit fest, welche Art von Hilfe benötigt werden könne. „Die Kommission ist zu sofortiger Hilfe und Koordinierung der europäischen Hilfe bereit, sollte dies nötig sein.“ Auch die südjapanische Inselprovinz Okinawa war von einem Erdbeben der Stärke 6,9 heimgesucht worden. Das Beben verlief jedoch glimpflich. Es wurden nur zwei Menschen leicht verletzt.

Das Pazifik-Tsunami-Warnzentrum hat nach dem schweren Erdbeben in Chile einen Tsunami-Alarm für die meisten Pazifik-Anrainer auf beiden Seiten des Ozeans ausgelöst. Neben der kompletten süd- und mittelamerikanischen Küste könnten auch in der Antarktis, in Russland, Japan, auf den Philippinen, in Neuseeland und in der Südsee Riesenwellen an Land schwappen und größere Schäden verursachen.

Von der Tsunami-Warnung nicht betroffen sind bislang lediglich die Küsten der US-Bundesstaaten Kalifornien, Oregon, Washington, Alaska sowie die kanadische Provinz British Columbia. Das Warnzentrum betonte, dass sich der Tsunami in einer Serie von Wellen ausbreitet. Die Abstände zwischen den Wellen könnten bis zu eine Stunde lang sein.

Auf Hawaii wurde die erste Welle um 11.19 Uhr Ortszeit (22.19Uhr MEZ) erwartet. Nach Abendblatt-Informationen wird der US-Bundesstaat ab 6.00 Uhr morgens (Ortszeit) evakuiert.