Die Romeikes flohen vor den Behörden in die USA - weil sie das deutsche Schulsystem für unchristlich hielten. Sie ernten nicht nur Kritik.

Hamburg. Uwe und Hannelore Romeike sind Flüchtlinge. Sie fühlen sich von Deutschland verfolgt, ihrer Menschenrechte beraubt. Weil sie das deutsche Schulsystem für unchristlich halten, wollten sie ihre fünf Kinder selbst unterrichten. Zu Hause, in Bissingen, Baden-Württemberg. Das ist verboten. Romeikes ließen es darauf ankommen, behielten ihre Kinder zu Hause. 2006 kam die Polizei und brachte die Kinder wieder in die Schule zurück. 2008 flohen Uwe und Hannelore Romeike mit ihren Kindern Daniel, Lydia, Joshua, Christian und Damaris nach Morristown im US-Staat Tennessee, dort ist "Homeschooling" erlaubt. Romeike beantragte Asyl - mit Erfolg.

Am vergangenen Dienstag urteilte ein Einwanderungsrichter, dass die Romeikes eine "wohlbegründete Angst vor Verfolgung" hätten und deshalb politisches Asyl in Amerika bekämen. "Wir sind dem Richter so dankbar für sein Urteil", lässt Romeike in einer Presseerklärung verbreiten. Und sein Anwalt Mike Donnelly legt nach, bezeichnet den Richterspruch als "beschämend für Deutschland": "Wir hoffen, dass dieses Urteil Deutschland dazu bewegt, zu Hause unterrichtende Eltern nicht mehr zu verfolgen", sagte er dem Abendblatt. Der deutsche Staat versuche eine "ideologische Einförmigkeit" zu erzwingen - das erwecke "schreckliche Erinnerungen an die Vergangenheit".

Dass eine deutsche Familie politisches Asyl in den USA bekommt, ist der vorläufige Höhepunkt in der Debatte um Heimunterricht. Konservative US-Medien feiern den Richterspruch als Sieg der Freiheit. Der Deutsche Lehrerverband reagiert dagegen empört: "Das ist ein Hammer", sagt sein Präsident Josef Kraus. "Ich kann nicht nachvollziehen, dass ein demokratisches Land wie die USA demokratisch entstandene Gesetze in Deutschland als Verstoß gegen die Menschenrechte ansieht. Jeder demokratische Staat ist legitimiert, sein Schulsystem zu regeln."

In den USA werden über eine Million Kinder von ihren Eltern zu Hause unterrichtet. Wer in Deutschland gegen die Schulpflicht verstößt, riskiert hohe Geldstrafen, Haft und sogar den Verlust des Sorgerechts. Das Bundesverfassungsgericht hat das Vorgehen der Behörden bestätigt.

Das schreckt viele Eltern dennoch nicht ab: 500 bis 1000 Kinder in Deutschland lernen Lesen, Schreiben und Rechnen von ihren Eltern, schätzen Experten. Einige Eltern melden ihre Kinder einfach in einer alternativen Privatschule an und schicken sie dann nicht hin. Andere gründen eigene Schulen und unterrichten dort so lange, bis das Schulamt sie schließt. Oder sie bauen darauf, dass die Behörden ein Auge zudrücken.

Zum einen sind es Religiöse wie die Romeikes, die ihre Kinder zur Keuschheit erziehen und dem staatlichen Sexualkunde-Unterricht fernhalten wollen. Andere stören sich am "Frontalunterricht" und wollen lieber, dass ihre Kinder selbst bestimmen, was sie lernen. Wieder andere glauben, dass Schule ihre Kinder krank macht. Jörg Großelümern vom "Netzwerk Bildungsfreiheit" begrüßt den US-Richterspruch: "Das wirft ein deutliches Licht auf die repressive Situation in Deutschland", sagt er dem Abendblatt. "Wir wollen die Schulpflicht in eine Bildungspflicht umwandeln, sodass Eltern ihre Kinder zu Hause unterrichten können."

In Großbritannien oder Frankreich dürfen Eltern ihre Kinder zu Hause selbst unterrichten. Die Kinder müssen aber die staatlichen Abschlussprüfungen machen. In Österreich schreiben Schüler, die nicht zur Schule gehen, jährlich staatliche Tests.

Seit der Weimarer Republik gibt es in Deutschland die Schulpflicht und mit ihr die staatlichen Lehrpläne, an die sich alle Schulen halten. Neun Jahre müssen Kinder eine Schule besuchen, mit dem 18. Lebensjahr endet die Schulpflicht. "Die Schulpflicht ist eine der größten sozialpolitischen Errungenschaften, die es gibt", sagt Lehrerverbandschef Josef Kraus. "Die Schulpflicht macht Bildung unabhängig vom Geldbeutel der Eltern." Eltern seien außerdem nicht in der Lage, ihre Kinder so umfassend zu bilden wie Schulen. Kraus' Meinung über die Familie Romeike: "Die Eltern verbauen ihren Kindern große Teile ihrer Zukunft."