Prag macht Amsterdam Konkurrenz: In Tschechien ist seit Anfang des Jahres der Drogenbesitz zum Eigenbedarf nicht mehr strafbar.

Prag. Pavel pafft Marihuana in Prag - und hat dabei neuerdings gar keine Angst mehr vor Polizisten. „Seit Neujahr darf ich bis zu 15 Gramm Gras in der Tasche haben“, zeigt sich Pavel gut informiert in der Bar „Chapeau Rouge“, die schon seit Jahren unter Einheimischen und Touristen als eine Art „Coffee-Shop“ gilt, wo man Drogen zum Privatgebrauch kaufen kann. Die tschechische Regierung hat zum 1. Januar erstmals konkrete Grenzen festgesetzt, bei denen Drogenbesitz zum Eigenbedarf nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden soll.

Der Katalog des Erlaubten liest sich für Befürworter und Gegner der Drogenfreigabe beeindruckend: 15 Gramm Marihuana, 1 Gramm Kokain, 1,5 Gramm Heroin, 4 Ecstasy-Pillen, 5 Einheiten LSD, 2 Gramm Amphetamine und so weiter. Bei der Festlegung der Höchstmengen habe man sich an daran orientiert, wie einheimische Gerichte den Begriff „Eigenbedarf“ definierten, sagte Justizministerin Daniela Kovarova. Auch auf dem Papier hat Tschechien damit eines der liberalsten Drogengesetze Europas.

„Das war schon lange überfällig“, meint Pavel, und zumindest in seiner Stammkneipe widerspricht dem niemand. Neben dem „Chapeau Rouge“ existieren allein im Prager Stadtzentrum mehr als ein Dutzend solcher verrauchter Etablissements namens „Reggae-Bar“ oder „Ujezd“, in denen schon jahrelang - oft nur hundert Meter entfernt von der nächsten Polizeiwache - der Gebrauch und auch der Verkauf sogenannter weicher Drogen toleriert war.

„Erstmal einen Drink bestellen, dann nochmal fragen“, sagt der Barkeeper im „Chapeau Rouge“, als ein neuer Gast wissen möchte, ob er „etwas zu rauchen kaufen“ könnte. Der Dealer wartet dann bei den Toiletten. Vor der Novelle galt in Tschechien, dass „kleine Mengen“ Drogen von staatlicher Seite toleriert wurden - nur wusste niemand, wieviel die „kleine Menge“ eigentlich bedeutet. Der Kleinhandel in den einschlägigen Lokalen lief weitgehend unbehelligt, zur „Legalisiert Marihuana“-Demonstration versammelten sich alljährlich Anfang Mai tausende Menschen.

Eine deutliche Sprache zur Situation finden die Statistiken der EU: Laut Jahresbericht 2009 der europäischen Beobachtungsstelle EBDD haben 44 Prozent der Tschechen zwischen 15 und 24 Jahren bereits mindestens einmal im Leben illegale Narkotika ausprobiert - das ist europäischer Höchstwert. Besonderheit auf dem tschechischen Drogenmarkt seien Methamphetamine (als „Ice“ oder „Crystal“ bekannt), die stärker als Amphetamine wirken und aus Tschechien zunehmend auch in das Ausland gebracht werden, schreibt die EBDD.

Zeitungen in Prag berichteten, dass in Österreich und Deutschland die neuen Höchstmengen Ängste vor vermehrtem Drogenschmuggel geweckt haben. „Große Sorgen“ bereite die neue Regelung, sagte demnach etwa die österreichische Innenministerin Maria Fekter. Auch an der deutsch-tschechischen Grenze seien zusätzliche Kontrollen geplant, schrieb das bürgerliche Blatt „Lidove noviny“. Im traditionell liberalen Tschechien regte sich hingegen kaum Protest, der Drogenhandel stehe ja weiter unter Strafe, betonen Politiker.

Die Drogenberatungsstellen kommentieren die neuen Richtlinien aus zweierlei Sicht. „Die Entkriminalisierung ist natürlich positiv“, sagt etwa Jiri Richter von der Organisation Sananim, aber nach wie vor kümmere sich der Staat nicht genug um Vorbeugung und Hilfe. Auch die Hilfsorganisation Drop In moniert ein unzureichendes Betreuungsangebot für Drogensüchtige, das weit von den Massnahmen in Westeuropa entfernt sei.

Pavel und seine Kumpels stopfen unterdessen ihren nächsten Joint. „Viel geändert hat sich für uns nicht“, sagt der junge Mann, „wir haben doch schon früher unsere Cannabis-Stauden gepflegt“. Fünf solcher Hanfpflanzen darf nun übrigens jeder tschechischer Bürger ganz legal wachsen lassen. Erste Ergebnisse dazu, wie sich die Neuregelungen auf die Drogenszene auswirken, erwartet die Regierung bis zum Herbst.