Die dehydrierte Frau sang, als man sie rettete. Auch ein Baby überlebte eine Woche lang. Zwei weitere Deutsche tot.

Hamburg/Port-au-Prince. "Hoffnung ist eine Art Glück, vielleicht das größte Glück, das diese Welt bereit hat." Wie wahr diese Worte des englischen Schriftstellers Samuel Johnson (1709-1784) sind, zeigte sich in den vergangenen Tagen immer wieder in Haiti. Es sind kleine Augenblicke der Hoffnung und des Glücks, die die Rettungskräfte in Port-au-Prince auf den Beinen halten. Die Stadt wurde bei dem Erdbeben am Dienstag vergangener Woche fast vollständig zerstört, 75 000 Tote wurden bisher bestätigt, bis zu 200 000 werden befürchtet.

Da braucht es Augenblicke, in denen Wunder geschehen und Menschen nach sieben oder sogar acht Tagen aus den Trümmern gerettet werden. So wie Ena Zizi (69). Seit einer Woche war sie unter den Mauern der nationalen Kathedrale der Hauptstadt begraben. Doch während die Retter den Erzbischof Joseph Serge Miot nur tot bergen konnten, überlebte die gläubige Katholikin. Stark dehydriert, mit einem ausgerenkten Oberschenkel und einem gebrochenen Bein, aber ansonsten unversehrt. Mit den Worten "Ich bin okay, sozusagen" wurde sie vorgestern in eine nahe gelegene Notfallstation gebracht, wo sie mit Flüssigkeit in Form von Infusionen versorgt wurde. Ein Augenzeuge berichtete: "Sie sang, als sie herausgezogen wurde."

Die 23 Tage alte Elisabeth sang nicht, sie schrie bei ihrer Rettung. Sie wurde ebenfalls eine Woche nach dem Beben aus den Trümmern eines Hauses in der Stadt in Jacmel im Süden Haitis geborgen. Die Rettung dauerte fünf Stunden, doch anschließend hieß es erleichtert: "Das Kind ist wohlauf." Neben Ena und Elisabeth wurden drei weitere Frauen aus den Trümmern eines Supermarktes und eines Krankenhauses gerettet. Viele Einsatzkräfte sind sich sicher, dass unter den Mauern vieler zerstörter Gebäude noch immer Überlebende auf Hilfe warten. Man könne sogar mit ihnen reden, doch die Zeit werde langsam knapp. Außerdem fehle weiter Gerät für die Rettung, hieß es vonseiten verschiedener Hilfsorganisationen.

Obwohl inzwischen 52 Rettungsteams mit Tausenden von Helfern sowie etwa 9000 Uno-Kräfte im Einsatz sind, gehen die Bergungsarbeiten nur schleppend voran. Vor allem die zerstörte Infrastruktur macht den Helfern zu schaffen. Doch oft ist es schlicht schlechte Organisation, die der Rettung im Weg steht. So durfte ein Transportflugzeug der "Ärzte ohne Grenzen" mit zwölf Tonnen Medikamenten und medizinischem Gerät an Bord nicht auf dem Flughafen der Hauptstadt landen, der unter US-Kontrolle ist. Eine Erklärung gab es nicht. Das Material musste über die Dominikanische Republik in die betroffenen Gebiete gebracht werden. Diese Verzögerungen kosteten laut Nothilfekoordinator Loris de Filippi mindestens fünf Menschen das Leben.

Hinzu kommen immer wieder Nachbeben, die die Insel erschüttern und die Menschen nicht zur Ruhe kommen lassen. Gestern schwankte die Erde um 6 Uhr am Morgen. Die Haitianer, von denen nach dem ersten Beben, das eine Stärke von 7,0 auf der Richterskala erreichte, etwa 1,5 Millionen obdachlos sind, gerieten in Panik. Wer noch ein Dach über dem Kopf hatte, flüchtete auf die Straße. Viele Häuser, die nicht mehr bewohnbar waren, stürzten bei dem Nachbeben, das laut US-Erdbebenwarte eine Stärke von 6,1 hatte, ein. Obwohl es keine Angaben über Verletzte oder Tote gab, wurde wieder deutlich, auf welchem Pulverfass sich die Insel befindet.

Das Zentrum des neuen Bebens befand sich 60 Kilometer von Port-au-Prince entfernt und lag auch dieses Mal mit zehn Kilometern sehr nah unter der Erdoberfläche. Neben der offensichtlichen Gefahr für Leib und Leben sind die Nachbeben vor allem eine psychische Belastung für die traumatisierten Opfer und Helfer. Bogdan Dumitru, Sicherheitsexperte der Hilfsorganisation Care, berichtete aus Haiti: "Wir sind direkt neben einem Camp für Obdachlose, und als das Beben kam, konnte man Schreie aus dem Camp hören. Sie haben alles verloren und sie sind verängstigt." Er habe das Beben gefühlt, das stärker gewesen sei als alle anderen Nachbeben. Am meisten sorge er sich um seine Mitarbeiter. "Wir versuchen herauszufinden, ob es ihnen gut geht."

Während die Suche nach den Vermissten weitergeht, wird in vielen Fällen der Tod traurige Gewissheit. Das Auswärtige Amt teilte gestern mit, dass sich die Zahl der toten Deutschen "mit hoher Wahrscheinlichkeit" auf drei erhöhen werde. Zwar müssten die Leichen noch identifiziert werden, so eine Sprecherin, es sei aber davon auszugehen, dass es sich bei zwei toten Männern um deutsche Opfer handele.

Unabhängig von der Zahl der deutschen Toten ist die Verbundenheit mit Haiti und die Spendenbereitschaft der Bundesbürger ungebrochen groß. Das Schicksal der Menschen in dem bitterarmen karibischen Inselstaat bewegte die Deutschen bisher zu Spenden von mehr als 30 Millionen Euro. Allein bei der Spendengala von ZDF und "Bild"-Zeitung kamen am Dienstagabend mehr als 20 Millionen Euro zusammen. Unter der Moderation von Thomas Gottschalk (59) und Steffen Seibert (49) appellierten Prominente aus Sport, Film und Musik an die Zuschauer. Wie beim Tsunami 2004 war die Sendung ein voller Erfolg.

Und das, obwohl die geplanten Spendenerleichterungen der Bundesregierung bisher noch nicht umgesetzt wurden. Wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, 55) ankündigte, wolle man das Spenden durch eine bessere Absetzbarkeit von der Steuer fördern. Zudem sagte die Regierungschefin zu, die Hilfe für Haiti um 2,5 Millionen Euro zu erhöhen. Damit stellt die Bundesregierung insgesamt zehn Millionen Euro für den langfristigen Wiederaufbau des Landes zur Verfügung. Hinzu kommen fünf Millionen Euro Soforthilfe des Auswärtigen Amts. Auch in New York, Los Angeles, London und Haiti selbst sind für morgen Benefizkonzerte geplant. Das Motto: "Hope for Haiti".