Reinhold Messners Version über den Tod seines Bruders kommt heute ins Kino. Was geschah vor 40 Jahren wirklich, und wer hat Schuld?

München/Hamburg. Manche Streitfälle kennen kein Verfallsdatum. Seit Jahren herrscht Krieg zwischen Reinhold Messner (65) und den ehemaligen Teilnehmern der legendären Nanga-Parbat-Expedition 1970, in deren Verlauf Messner als Erster den Gipfel überstieg und sein Bruder Günther starb. Jetzt reißt Josef Vilsmairs neuer Film "Nanga Parbat", der heute in die Kinos kommt, die alten Wunden auf.

Auch Hans Saler (62) gehörte zu der Seilschaft 1970 am Nanga Parbat. Der Bergsteiger, Weltumsegler und Extremsportler, der seit 13 Jahren in Patagonien in Chile lebt, ist kein Prozesshansel. Aber das Denken will er sich auch nicht verbieten lassen. Zeitgleich mit dem Film ist sein neues Buch "Gratwanderungen meines Lebens" erschienen (Verlag Nymphenburger), in dem er auch noch einmal die Erlebnisse am Nanga Parbat rekapituliert.

Es geht um eine gewaltige Geschichte. Die Übersteigung des Nanga Parbat, ohne Sauerstoffgerät, machte Messner weltberühmt und war mit dem Tod seines Bruders zugleich die größte Tragödie seines Lebens. Sie liefert Stoff für Bergsteigerlegenden, für eine endlose Diskussion über Fehler, Schuld, Selbstvorwürfe, Rechtfertigung. Sie hat keinen der Beteiligten bis heute losgelassen.

Als Saler Ende 1969 von Expeditionsleiter Karl Herrligkoffer (* 75) eingeladen wurde, auf den Nanga Parbat mitzukommen, war das "eine ganz große Chance, ein Privileg", sagt er dem Hamburger Abendblatt. Er war 22 jung, Reinhold Messner 26 Jahre. Herrligkoffer holte neben zwei sehr erfahrenen Höhenexperten überwiegend junge, ehrgeizige Bergsteiger in sein Team. Günther Messner (23) kam erst auf Betreiben seines Bruders dazu.

Der Nanga Parbat mit dem 8125 Meter hohen Gipfel elektrisierte sie alle. Auf diesem Giganten hatten bis dahin schon insgesamt 32 Bergsteiger, darunter auch Herrligkoffers Halbbruder Willi Merkl, und ungezählte Sherpas ihr Leben verloren. 1953 war dem Deutschen Hermann Buhl auf der flacheren Nordseite die Erstbesteigung gelungen. Das Team von 1970 wollte den Nanga Parbat erstmals von Süden über die 4500 Meter hohe Rupalwand erobern, die höchste Steilwand der Welt. Im oberen Teil ab 7350 Meter - schon in der "Todeszone" - wurde es besonders schwierig.

Sieben Wochen lang arbeitete sich die Seilschaft vor, wartete bei Temperaturen bis minus 40 Grad, bei Sturm und Lawinengefahr auf gutes Wetter. Am 27. Juni um zwei Uhr früh brach Reinhold Messner allein auf. Expeditionsmitglieder sagten später, er habe von Anfang an geplant, den Gipfel allein zu bezwingen. Günther Messner, verärgert über den Alleingang, steigt seinem Bruder hinterher. Gemeinsam erreichen sie den Gipfel. "Als er ihn einholte, muss Reinhold schon ganz klar gewesen sein, dass Günther nicht ausreichend gerüstet war", sagt Saler. "Er hatte keine dicke Kleidung an wie Reinhold. Er hatte keine Biwakausrüstung, keinen Proviant, kein Wasser, kein Seil dabei."

Nach Reinhold Messners Darstellung - die auch Vilsmaiers Film übernimmt - war es Günther, der unbedingt über die ihnen unbekannte Diamirwand absteigen wollte. Aber dann sei Günther höhenkrank geworden. Nach einer Nacht in der Todeszone bei minus 30 Grad hat Reinhold noch einmal Rufkontakt zu den nachsteigenden Teamkameraden Kuen und Scholz. Sie fragen, ob alles in Ordnung sei. Und Messner ruft: "Ja, alles in Ordnung."

Scholz und Kuen bestanden später darauf, dass eine Notlage für sie nicht erkennbar war. Dennoch verklagte Reinhold Messner den Expeditionsleiter Herrligkoffer wegen fahrlässiger Tötung und unterlassener Hilfeleistung.

Herrligkoffer erwiderte, Messner werde an den Geschehnissen tragen "bis ans Ende seiner Tage". Niemand weiß das besser als Messner selbst. Irgendwo in der Diamirwand wurden die Brüder getrennt. Stürzte Günther ab oder wurde er von einer Lawine hinabgerissen? Reinhold Messner hatte es nicht gesehen.

"Günthers Tod war auch für uns andere ein Verlust", sagt Hans Saler. Das Ganze ähnele einem Psychodrama. "Die beiden hatten völlig unterschiedliche Charaktere. Günther war sehr introvertiert, Reinhold ausgesprochen extrovertiert. Günther hat damals Gedichte geschrieben wie ich auch, wir kamen uns sehr nahe. Wenn er aber mit Reinhold zusammen war, dann war er nur noch dessen Schatten." Er sei sicher, dass "Reinhold seinen Bruder sehr liebte, aber Günther musste auch bis zu einem gewissen Grad gehorsam sein".

Saler trägt etliche berechtigte Fragen in seinem Buch zusammen. Er versteht Messners große, wütende Trauer, weist dessen Angriffe gegen das Team aber kategorisch zurück. Sechs der damals zwölf Bergkameraden sind inzwischen gestorben.