Noch nie stand eine Frau auf allen 14 Achttausendern. Jetzt liefern sich zwei Bergsteigerinnen ein gefährliches Duell in Nepal und Tibet.

Kathmandu. Jetzt ist es doch ein Rennen. Monate-, ja jahrelang hatten die Beteiligten den Gedanken von sich gewiesen, einen Wettkampf auszutragen, wer die erste Frau auf allen Achttausendergipfeln ist. Nun sind zwei Bergsteigerinnen in großer Eile.

Für die Koreanerin Oh Eun-sun könnte schon heute ihr Traum in Erfüllung gehen. Der Bergsteigerin fehlt noch die 8091 Meter hohe Annapurna in Nepal; 13 der insgesamt 14 Gipfel hat sie bereits bestiegen. Am Wochenende wollte Oh mit ihrer Crew die vorletzte Etappe gehen, aber wegen zu starker Winde und Schneefall musste sie abbrechen. Mit insgesamt zehn Leuten, unter ihnen ein koreanisches Fernsehteam, erreichte die 44 Jahre alte Oh Camp drei auf 6400 Meter Höhe, ging dann aber wieder zurück ins Camp zwei.

Von heute an will sie es erneut versuchen. Die Vorhersage ist gut, das Wetter soll für kurze Zeit besser werden. In Camp vier auf 7100 Metern wartet schon eine spanische Gruppe darauf, den Gipfel von dort zu erreichen. Doch von morgen an könnten neue Schneestürme die Besteigung fürs Erste unmöglich machen.

Das Zeitfenster ist überhaupt klein. Nur bis Mai geht die Saison an der Annapurna. Vor allem die Winde sind gefürchtet. Oh Eun-sun hatte dort 2009 schon einmal wegen des Wetters abgebrochen. Der Berg gilt wegen vieler Lawinenabgänge und Eisbruchs als extrem gefährlich, die Zahl der Toten ist enorm hoch. Erst 155 Bergsteiger haben den Gipfel überhaupt erreicht.

Die letzte Frau war die Spanierin Edurne Pasaban. Vor zehn Tagen erreichte sie den höchsten Punkt nachmittags um 14.10 Uhr, ihr Team umfasst neun weitere Bergsteiger. Zehn Stunden brauchte sie für den Aufstieg, vier für den Abstieg. Damit hat Pasaban ebenfalls 13 Gipfel erreicht. Die 36-Jährige flog kurz darauf mit dem Hubschrauber nach Tibet an den 8027 Meter hohen Shisha Pagma, den kleinsten der Achttausender. Dort versucht die Spanierin nun, ihren Traum zu erfüllen und den Rekord zu holen.

Die Situation ist ähnlich wie bei den Männern 1986, als Reinhold Messner, 65, und der Pole Jerzy Kukuczka, gest. 41, um die Krone stritten. Allerdings machen die Frauen deutlich weniger Aufhebens darum. Besonders der Dritten im Bunde, der Österreicherin Gerlinde Kaltenbrunner (39), ist jeder Gedanke an ein Wettrennen ein Graus. Sie hat zwölf Achttausender bestiegen und ist seit Mitte April an der Nordwand des Mount Everest. Später will sie in Pakistan den K2 besteigen.

Pasaban und Kaltenbrunner, die befreundet sind, sehen ihr Tun als lang gehegten Lebenstraum. Sie klettern im Alpinstil, ohne Fixseile, ohne Träger, nach Regeln also, die Reinhold Messner mit seinen berühmten Worten "By fair means" propagiert hat. Ob sie die erste, die zweite oder die dritte Frau sein wird, der alle 14 Gipfel gelingen, ist Kaltenbrunner ziemlich egal. Pasaban wollte nach einem Unfall am Kangchendzönga das Rennen schon abbrechen, überlegte es sich dann aber doch anders. Oh Eun-sun dagegen ist deutlich zielorientierter. "Ich habe einen Job zu erledigen", sagt sie, dafür nimmt sie jedes Mittel in Kauf. Ihre Methoden werden oft kritisiert, sie lässt sich Spuren ziehen und den Rucksack tragen, mehrfach hat sie künstlichen Sauerstoff benutzt, was die Konkurrentinnen nicht tun und entschieden ablehnen. "Mit eigenverantwortlichem Bergsteigen hat das für mich nicht mehr viel zu tun", sagt etwa Kaltenbrunner über Ohs Aufwand.

Die Südkoreanerin kam praktisch aus dem Nichts. Fünf Achttausender hatte sie bis 2008 bestiegen, dann gelang es ihr, in 14 Monaten weitere acht Gipfel zu erreichen.

Sehr umstritten ist das Erreichen des Kangchendzönga im Mai 2009. Als Beweis gilt das Foto einer vermummten Gestalt am Gipfel, die nicht eindeutig identifizierbar ist. Zwei von drei Sherpas, die dabei waren, sagen, Oh sei nicht ganz oben gewesen. Viel Prestige steht auf dem Spiel. Viel Geld auch. Es winken Werbe- und Sponsorenverträge. Auch mit Büchern und Vorträgen ist gut zu verdienen. Und ein Eintrag in die Geschichtsbücher ist der Siegerin sicher. In ihrer Heimat Korea ist Oh seit Langem ein Star, dessen Tun häufig im Fernsehen übertragen wird.

Gerlinde Kaltenbrunner ist fern von alledem. Vor ein paar Tagen schrieb sie auf ihrer Webseite von den Schwierigkeiten, sich dem Everest zu nähern. Sie akklimatisiert sich langsam in der Höhe. Nach einem Gang unter schwierigen Bedingungen zum 6200 Meter hohen Wandfuß schrieb sie über sich und ihren Mann, der sie begleitet: "Ralf meinte, nun haben wir dem Everest gerade mal am Hintern gekitzelt. Immerhin schon was." Über Edurne Pasaban und Oh Eun-sun verlor sie kein Wort.