Christian Kandlbauer ist einer der Ersten, die die im Harz entwickelten künstlichen Arme ausprobieren.

Duderstadt/Hamburg. Es surrt wie bei einem Roboter, wenn Christian Kandlbauer in seinem Auto die rechte Hand ans Lenkrad legt. Es surrt noch einmal leise, wenn er mit der linken Hand den Blinker setzt. Nur ein winziger hörbarer Unterschied – und doch ist diese Autofahrt ein kleines Technik- und Medizinwunder. Denn der 21-jährige Österreicher hat nach einem schweren Starkstromunfall im Jahr 2005 keine Arme mehr. Er trägt zwei Prothesen.

Mit ihrer Hilfe bestand er im Oktober sogar seine Führerscheinprüfung. Im Berliner Science Center für Medizintechnik hat Kandlbauer am Freitag gezeigt, wie moderne Prothesentechnik ihm zu einem fast normalen Leben verholfen hat. In der Steiermark fährt Christian Kandlbauer nun morgens mit seinem Auto zur Arbeit. Sieben Kilometer sind es durch die ländliche Steiermark bis zu seiner Firma. Dort ist er Lagerist. Früher hat er hier KfZ-Mechaniker gelernt. Bis zu jenem 11. September 2005, als er auf einen Strommast kletterte. 20000 Volt schossen durch seinen Körper. Für seine Arme gab es danach keine Rettung mehr.

Ärzte amputierten sie, links im Schulterbereich, rechts am Unterarm. Danach war Kandlbauer ein Pflegefall. Seine Mutter zog ihn an, reichte ihm Essen und Getränke, begleitete ihn sogar zur Toilette. „Jetzt kann ich das alles wieder selbst“, sagt der junge Mann. „Der Führerschein und das Auto, sie bedeuten für mich noch mehr Freiheit.“ Die wachsende Lebensqualität nach dem Unfall verdankt der Österreicher seinem eisernen Willen und moderner Medizintechnik. Sein künstlicher linker Arm ist eine Entwicklung der deutschen Firma Otto Bock aus dem südniedersächsischen Duderstadt. Die Prothese kann der 21-Jährige mit Hilfe von Hirnimpulsen steuern. Nervreste leiten die Bewegungsbefehle, die vorher vom Gehirn an seinen gesunden Arm gingen, nun an die Prothese mit ihrer Mikroelektronik weiter.

Projektleiter Hubert Egger hat sich dabei das Phänomen des Phantomschmerzes zunutze gemacht. Das Gehirn kann einen Arm auch dann noch „anfunken“, wenn er gar nicht mehr da ist. Für eine gedankengesteuerte Prothese müssen jedoch funktionierende Nervenstränge bis zur Amputationsstelle führen. Das ist auch der Grund, warum diese Prothesentechnik querschnittsgelähmten Unfallopfern nichts nutzen würde. Doch in Berlin gibt es an der Technischen Universität, am Fraunhofer-Institut und an der Charité auch für sie Forschung. Dabei lesen Elektroden auf der Kopfhaut Bewegungsbefehle des Gehirns ab und funken sie an Computer. Der wiederum steuert dann eine Prothese. Zuletzt konnte eine Testperson Flipper spielen, ohne Arme und Hände zu bewegen.

Marktreif sind diese Entwicklungen aber noch lange nicht. Auch Christian Kandlbauers künstlicher linker Arm ist noch ein Prototyp. Erst sieben Menschen auf der Welt tragen eine solche Konstruktion. In 10 bis 15 Jahren, schätzt Geschäftsführer Hans Georg Näder, könnte die Technik Standard sein. Vorausgesetzt, es werde geklärt, wer das bezahlt. Auch künstliche gedankengesteuerte Beine hält Näder heute nicht mehr für Science Fiction. Weltweit wird an künstlicher Bewegung geforscht – für Mensch und Roboter. In Berlin legt Christian Kandlbauer die rechte Prothesenhand, die er über seine Oberarm-Muskeln steuert, an einen blauen Knauf am Lenkrad. Ein Sicherheitssystem sorgt dafür, dass die Plastikhand das Steuer so lange festhält, bis er die Fahrt beendet hat. Links übernimmt die gedankengesteuerte Prothese die Feinmotorik. Kandlbauer bedient mit ihr Knöpfe für Blinker, Hupe, Scheibenwischer oder Licht. Sonst fährt sich das Auto wie ein normaler Automatikwagen. Für den Führerschein hat Kandlbauer 22 Fahrstunden gebraucht – nicht mehr als seine Freunde auch.

Technische Wunder haben aber ihre Grenzen. Der Österreicher kann mit seinen Prothesen nicht fühlen. Drei künstliche Gelenke erlauben ihm auch nur wenige Bewegungen: Hand auf und zu, Hand nach innen und nach außen und Ellenbogen auf und ab. Ein gesunder Mensch hat 20 Armgelenke und damit einen viel größeren Aktionsradius. Wenn sich Kandlbauer etwas wünschen dürfte, wären es künstliche, bewegliche Finger. Doch auch so ist er froh, was ihm die Prothesen alles wieder ermöglichen. Sogar das Tippen am Computer sei mit den Daumen der künstlichen Hände möglich. Er ist nur gespannt, wie Polizisten bei einer Verkehrskontrolle auf einen Fahrer ohne Arme reagieren.