Michael Jackson: Vier Tage lang besuchte der Superstar einen Freund in dessen Hamburger Einfamilienhaus. Was passiert, wenn “Jacko“ klingelt? Der ganz normale Wahnsinn stellt sich ein. Alle wollen “ihn“ sehen. Am Garstedter Weg in Niendorf.

Hamburg. Der Postbote der idyllischen Siedlung im Hamburger Nordwesten war einer der ersten, der es wußte. Schon am Donnerstag vormittag. "Ich weiß, wer hier zu Besuch kommt", versichert der Mann mit dem Vollbart gelassen. Heute aber, am Sonnabend, läßt der Briefträger den Rest der Post in der gelben Tasche warten und blickt auf ein unscheinbares Einzelhaus. "Jacko" ist schließlich in seinem Revier - mitten in Hamburg-Niendorf.

Es klingt unglaublich, ist aber wahr. Michael Jackson, einer der größten Popstars der Geschichte ("Thriller", "Bad"), skandalumwittert, bis zur Unkenntlichkeit geliftet: Gleich für mehrere Tage kam der 47jährige Exzentriker zu einem Privatbesuch nach Hamburg und bescherte einem Stadtteil den ganz normalen Wahnsinn. Vom Emirat Bahrain, wo er vergangenen Mittwoch noch in Frauenkleidern fotografiert worden war, nach Niendorf - ein Wochenende im Einfamilienhaus mit dem "King of Pop".

Sonnabend mittag. Kein Blick dringt in das zweigeschossige Haus am Garstedter Weg. Die geblümten Vorhänge sind zugezogen, die grauen Rolläden heruntergelassen, die Gaubenfenster mit Zeitung abgeklebt. Sehr amerikanisch hängt über der Einfahrt ein Basketballkorb an dem Rotklinkerbau. Vom Fensterbrett im ersten Stock grüßt eine Leucht-Gans. Die Magie der Prominenz läßt sich nur schwer erahnen. Ist "er" wirklich da?

Vor elf Jahren, 1995, hatte der Sohn der Familie den Popstar bei dessen Auftritt bei "Wetten, dass . .?" in Duisburg kennengelernt. Anton Schleiter war damals zwölf Jahre alt. Eine tiefe Freundschaft und viele Begegnungen verbinde die beiden seitdem, heißt es. Sogar ein Lied habe Jackson dem Jungen gewidmet. Jetzt stehen vor dem Haus, hinter Absperrgittern, zwei Polizeibeamte. "Fährt er heute noch weg?" fragt ein Fotograf, einer von etwa hundert Menschen, die hier warten. Der Beamte mit dem Namen Gottschalk hebt ratlos beide Arme. "Vielleicht ist das hier ein Riesenscherz." Daß das hier kein Scherz ist, davon haben sich seine Kollegen am Vorabend überzeugt, als sie Antons Vater um Hilfe gebeten hatte. Aus Angst um sein Heim, den Besuch. Weil immer mehr Reporter sich davor versammelt hatten. Die Beamten ließen sich den Paß von Michael Joseph Jackson, geboren in Gary/Indiana zeigen. Um ganz sicher zu gehen. Dann wurden die ersten Absperrungen aufgebaut.

Seit Donnerstag hatte ein Radiosender das Gerücht vom Besuch verbreitet, 5000 Euro für ein Foto geboten. Gegen neun Uhr früh soll der 47jährige in Fuhlsbüttel gelandet sein. Mit den zwei Kindern Prince Michael (8) und Paris Michael (7), dazu dem Kindermädchen. Lufthansa-Flug LH 008, Business-Class, Plätze G, H, K und D in Reihe 24. Das haben Journalisten recherchiert.

Zwei 14jährige berichten an der Absperrung: "Wir sind seit drei Stunden hier. Wir sind Fans." Ein Nachbar tritt auf, mit fester Cordhose, Fellweste und Thermoskanne. Er wittert ein Geschäft in der minus fünf Grad kalten Luft, ruft: "Kaffee, heißer Kaffee!" Ein Euro pro Becher.

Hausherr Wolfgang Schleiter kommt an die Gitter. Er ist Musikmanager, hat bei Polydor und Universal gearbeitet, gibt heute unter anderem "Musik zum Reiten" heraus, CDs für Pferdeliebhaber. Die Kameras schwenken hektisch auf den Mann in Jeans und Pullover, fangen sein Gesicht groß ein. Schleiter sagt: "Ich bin dankbar, daß die Polizei hier ist und bedaure den großen Auflauf hier vor allem für die Nachbarn." Mehr nicht. Enttäuscht zieht der Reporter eines Nachrichtensenders sein Mikrofon zurück.

Dann holt Schleiter einen gemieteten Ford Galaxy mit getönten Scheiben, fährt ihn in die Einfahrt. Geht es jetzt los? Die Menge wird unruhig. Beamte ziehen sich Handschuhe über. Die Polizei sperrt den Garstedter Weg komplett, acht Streifenwagen rollen an. Ein Aufgebot wie bei einem Bankraub. Gummiknüppel am Gürtel werden gerichtet. Für alle Fälle. In einer Besprechung weist ein Polizist seine Kollegen ein: "Wir bleiben alle entspannt, ganz ruhig und halten nur den Weg frei." Erste Fotografen steigen in ihre Autos, um den Popstar zu verfolgen. Ein älterer Herr hakt bei Polizist Gottschalk nach: "Ich frage Sie als Bürger: Wer bezahlt das alles hier?" Ein hoher Beamter bestätigt einem Reporter: Ja, auch der Polizeipräsident lasse sich laufend über die Entwicklung unterrichten.

Dann die Enttäuschung. Ein Polizist sagt in das Dutzend Kameraobjektive: "Es wird keine Ausfahrt geben. Herr Jackson hat Sorge um seine Sicherheit." Ein etwas eintöniger Hamburg-Besuch: "Herr Jackson" wird nicht einmal das Haus verlassen.

Immerhin wackelt am Sonnabend um 19.17 Uhr plötzlich der Vorhang im ersten Stock. Eine Hand zeigt sich, macht das "Victory"-Zeichen, dann, für zwei Sekunden, ein Gesicht. Jemand, der aussieht wie "Jacko". "Wahnsinn", sagt eine 14jährige mit Zahnspange. Später liefert ein Bote Pizza ins Haus. Was sonst unter dem Satteldach passiert, weiß niemand. Vor zwei Jahren, beim ersten Besuch, hieß es später, der Mann mit der Fistelstimme sei mit den Kindern durch das Haus getobt. Und diesmal? Sitzt Jackson auf der Wohnzimmercouch und trinkt Tee?

Sonntag mittag. Einige Reporter haben eine kalte und erfolglose Nacht durchlebt. Jetzt sind auch Fans da, einige sogar aus Holland oder Süddeutschland. Sie kreischen "Michael", singen seinen Namen - und wirklich, zweimal zeigt er sich am Nachmittag kurz am Fenster. Dann lassen sich auch die frierenden Teenager Pizza bringen. Der gleiche Bestellservice wie ihr Idol, immerhin. Antons Schwester sammelt CDs, Schreibblöcke und Poster an der Absperrung, nimmt sie mit ins Haus "Michael wird Autogramme geben", raunen Fans. Eine Rentnerin geht kopfschüttelnd vorbei und sagt laut: "Der schlägt sich drinnen doch vor Lachen auf die Schenkel."

Letzte Meldung: Erst heute mittag soll Michael Jackson Hamburg wieder verlassen. Der Rückflug nach Bahrain ist gebucht.