Vergewaltigungs-Klage: Das Gericht hatte gegen den Fernsehmoderator Andreas Türck nicht genügend Beweise. Ein krankes “Opfer“, ein prominenter “Täter“. War es das, weshalb die Justizbehörden nicht versuchten, das Verfahren zu vermeiden?

Hamburg. Ein junger Mann lernt eine junge Frau kennen. Die beiden haben Sex miteinander. Später fällt das Wort "Vergewaltigung". Es kommt zum Prozeß. Ein Fall für die Lokalzeitung. Eigentlich. Doch dieser junge Mann heißt Andreas Türck und ist ein bekannter Fernsehmoderator . . .

Jetzt ist die Show vorbei. Das Strafverfahren gegen Andreas Türck endete gestern mit einem Freispruch. Er ist aus Mangel an Beweisen von dem Vorwurf freigesprochen worden, Katharina B. vergewaltigt zu haben. Doch es ist ein Urteil, das keinen Sieger hinterläßt, sondern im Grunde nur Verlierer. Andreas Türck, die Nebenklägerin Katharina B. und auch die Justiz gehen geschädigt aus diesem spektakulären Prozeß heraus und werden noch lange mit den Folgen zu kämpfen haben.

Das Verfahren hat die Sensationsgier der Gesellschaft nach schmutzigen Details aus dem Prominentenleben herausgekehrt und damit Intimes zweier junger Menschen zutage gefördert, die in der Öffentlichkeit eigentlich nichts zu suchen haben. Doch hier stand mit Türck schließlich jemand vor Gericht, der sich selbst in seinen Talkshows als Richter über andere aufgespielt und Intimes von seinen Gästen herausgefordert hatte, ohne sich über die Folgen dieser Geständnisse Gedanken zu machen.

Dieser Fall ist auch deswegen bedrückend, weil er viele Fragen offen läßt. Inwieweit spielte der Prominentenstatus von Andreas Türck auch bei der Anklageerhebung eine Rolle? Hat die Staatsanwaltschaft deswegen vielleicht zu einseitig ermittelt, wie Türcks Verteidiger behaupten? Gab es hier vielleicht auch profilierungssüchtige Anwälte?

"Unangemessen fand ich die öffentlichen Erklärungen der Staatsanwaltschaft, die sie außerhalb des Verfahrens abgab. Das gehört nicht zu ihren Aufgaben", kritisiert der Hamburger Strafverteidiger Otmar Kury gegenüber dem Abendblatt. Doch über allem steht die Frage: Wem wurde mit diesem Prozeß geholfen?

In jedem Fall endete das Verfahren für Katharina B. in einer persönlichen Katastrophe. "Das Drama für sie ist, daß sie nun im Verdacht steht, Türck falsch belastet zu haben", sagt Otmar Kury. Doch sie steht nicht nur als Lügnerin da, sondern die Bankangestellte aus bürgerlichem Haus wurde durch die Gutachten als psychisch labile Person mit Anzeichen für eine hysterische und hypochondrische Neurose bezeichnet. Sie leidet unter Bulimie und nahm Drogen. Ihr Privat- und Intimleben wurde ausgebreitet, ehemalige Schulkameradinnen erzählten als Zeugen der Verteidigung über B.s Hang zu Phantasiegeschichten. Vorher wußte vielleicht nur ihr Bekanntenkreis von ihren Problemen, jetzt weiß davon ganz Deutschland. Wie will diese Frau ihr Leben jemals wieder in den Griff bekommen?

Die 29jährige wollte diesen Prozeß nicht - ursprünglich. Ein Zufall brachte die Polizei auf ihren Fall. Katharina B. hatte einem Bekannten, der wegen einer Drogensache von der Polizei überwacht wurde, am 24. August 2002 am Telefon von der angeblichen Vergewaltigung durch Türck am Tag zuvor erzählt. Die Polizei wollte die Drogen-Ermittlungen nicht gefährden und forderte deswegen B. erst ein halbes Jahr später zur Aussage auf, die sie mit offensichtlichem Widerwillen gemacht hat. Mögliche Mißbrauchsverletzungen konnten jedoch nach dieser Zeit nicht mehr festgestellt werden. "Doch die Ermittlungsbehörden müssen einschreiten, wenn sie von einer strafbaren Handlung erfahren", sagt Otmar Kury.

Die Staatsanwaltschaft und das Gericht müssen prüfen, ob ein hinreichender Tatverdacht existiert und ob mit der Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung des Angeklagten zu rechnen ist. Als Beweismittel diente der Strafkammer B.s Aussage. Zudem erstellte die Psychologin Edda Gräfe ein Glaubwürdigkeits-Gutachten, das dem Staatsanwalt ausreichte, die Anklage zu erheben. Dabei hatte Gräfe bei Katharina B. Anzeichen für Paranoia und Schizophrenie erkannt und auch ihre psychische Labilität betont, ihr allerdings ein "authentisches Aussageverhalten" bescheinigt. "Ich bin der Auffassung, daß sich die Kammer bei dieser Bewertung einen persönlichen Eindruck der Belastungszeugin verschaffen mußte. Man hätte, um sich Gewißheit zu verschaffen, allerdings die richterliche Vernehmung auch vor der Anklageerhebung anordnen können, das könnte ein Versäumnis gewesen sein", sagt Kury. Das Verfahren hätte laut Kury nur eingestellt werden dürfen, wenn die Angaben der Zeugin erkennbar nicht zuverlässig gewesen wären.

Der Münchner Staranwalt Rolf Bossi wird in diesem Fall drastischer: "Es ist ein schweres Versäumnis, daß bei dieser psychisch auffälligen Frau vorher kein zweites psychiatrisches Gutachten eingeholt wurde." Erst die Expertise des Psychologie-Professors Max Steller im Prozeß überzeugte den Staatsanwalt davon, Freispruch zu fordern.

Doch zuvor mußte B. sich dem Verfahren stellen, ob sie wollte oder nicht. "Sie hätte als Zeugin aussagen sollen und zurückhaltend und dezent auftreten sollen. Als Nebenklägerin aufzutreten war ein schwerer Fehler, damit hat sie die Gegenseite provoziert", sagte Bossi zum Abendblatt. Doch B.s Anwältin hatte sie zur Nebenklage überredet, und B. war unnötigerweise bei dem gesamten Verfahren anwesend geblieben. Warum tat sie sich das an? "Sie ist durchs Fegefeuer gegangen", sagte die Vorsitzende Richterin Bärbel Stock. Auch auf das Angebot der Richterin, die Öffentlichkeit während ihrer Vernehmung auszuschließen, ging die 29jährige nicht ein.

Da hat Andreas Türck sich klüger verhalten, indem er seine Unschuld beteuerte und ansonsten im Verfahren schwieg und seine Anwälte, Zeugen und Gutachter für sich sprechen ließ. Doch auch wenn er nun aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurde, könnten Zweifel an dem einstigen Shooting-Star der Medienbranche klebenbleiben. Sein öffentliches Bild als smarter Frauenversteher und Schwiegermutterliebling hat vermutlich schon vorher Kratzer bekommen. Denn ob er B. zum Oralsex gezwungen hat oder nicht, er fand jedenfalls statt. Er hatte Sex mit einer jungen Frau, die er erst kurz zuvor in einer Bar kennengelernt hatte und die laut seiner Aussage bei der Polizei in einem sichtbar schlechten psychischen Zustand war. Mit den Worten "man sieht sich" ließ er sie an einer Tankstelle aus dem Auto. Er sei zum Abschied noch nicht einmal ausgestiegen, gab Türck zu Protokoll. Wie muß Katharina B. sich bei dieser Erniedrigung gefühlt haben? Ist das das Verhalten eines Gentleman mit ordentlicher Kleidung und gutem Benehmen, den Türck vor Gericht gegeben hat?

Bei allem Unbehagen, das Prozeßverlauf und -ausgang hinterlassen - für Strafverteidiger Otmar Kury bleibt ein Grundsatz unverrückbar: "Wenn eine Frau behauptet, vergewaltigt worden zu sein, dann muß die Gesellschaft über die Strafverfolgungsorgane streng aufklären. Das wurde in diesem Verfahren wohl versucht."