Nach dem Einsturz des Historischen Stadtarchivs in Köln wurden am Mittwoch immer noch zwei Anwohner vermisst. Die Suche gestalte sich äußerst schwierig, da angrenzende Gebäudeteile einstürzen könnten und der Boden nicht fest sei, sagte der Direktor der Kölner Feuerwehr, Stefan Neuhoff, am Mittwoch. Bilder von der Tragödie in Köln.

Köln. Sollten die beiden Bewohner eines ebenfalls zusammengebrochenen Wohnhauses tatsächlich unter den Trümmern liegen, gehe ihre Überlebenswahrscheinlichkeit gegen Null. Ein Zusammenhang des Unglücks mit einer benachbarten U- Bahn-Baustelle gilt als wahrscheinlich. Das Archivgebäude war am Dienstag nach vorn gekippt und in einem 28 Meter tiefen Schacht der Baustelle versunken.

Oberbürgermeister Fritz Schramma (CDU) hatte im ARD- "Morgenmagazin" erklärt, er halte den Weiterbau der U-Bahn "jetzt fast für unverantwortlich". Später kündigte er eine Überprüfung des U-Bahn-Baus an.

Um mit dem Abtragen des Schuttberges beginnen zu können, seien komplizierte Sicherungsarbeiten erforderlich, sagte Neuhoff. Bis zum Nachmittag waren nach Angaben eines Feuerwehrsprechers insgesamt 1000 Kubikmeter Beton in die Grube geleitet worden, um den Boden zu stabilisieren. Am Donnerstag sollen Gebäudeteile abgerissen werden, die einsturzgefährdet sind oder den angeforderten Spezialkränen im Weg stehen. Erst danach könne das Abtragen der Trümmerteile beginnen. Dies müsse größtenteils von Hand geschehen.

Dass aus dem Stadtarchiv alle Menschen lebend heraus gekommen seien, grenze an ein Wunder, meinte der Kölner Kulturdezernent Georg Quander: "Es fing oben im Gebäude an zu knacken, und drei Minuten später krachte es zusammen." 115 Anwohner mussten vorübergehend ihre Häuser verlassen, 72 von ihnen waren Bewohner eines Altenheims. Die Wohnungen von etwa 20 Menschen seien komplett zerstört worden.

Der Schaden durch den Einsturz sei noch gar nicht abschätzbar, sagte Quander. Der Versicherungswert des Archivmaterials betrage 400 Millionen Euro. "Der finanzielle Verlust steht aber in gar keinem Verhältnis zum geistigen Verlust." Denn im Archiv befanden sich wertvolle Kulturgüter: "Es handelt sich um das Gedächtnis des gesamten Rheinlandes und weit darüber hinaus." Im schlimmsten Fall sei der Schaden höher als beim Brand der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar. "Das Wasser ist der größte Schädling", sagte Quander. Von unten drückt Grundwasser gegen die Grube, vor Regen soll eine Plane schützen.

Spezialisten verschiedener Archive seien zur Unterstützung angereist. Die NRW-Landeshauptstadt Düsseldorf hat nach eigenen Angaben zur Unterstützung 1,2 Kilometer an Archiv-Regalen freigeräumt. Die Schätze des Kölner Stadtarchivs seien "nationales und europäisches Kulturgut".

Das Unglück hängt möglicherweise mit dem U-Bahn-Bau zusammen. "Wir wissen relativ sicher, was passiert ist, aber noch nicht, warum", sagte der Vorstandssprecher der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB), Jürgen Fenske. Feuerwehrdirektor Neuhoff erläuterte, in dem Bauschacht sei aus unbekannten Gründen eine Öffnung entstanden, in die große Mengen Erde nachgerutscht seien. Dadurch sei dem Historischen Archiv praktisch der Boden entzogen worden, so dass es umkippte und zwei angrenzende Häuser mit sich riss. In der Baugrube entsteht nach KVB- Angaben eine Weichenanlage, an der die U-Bahnen von der einen in die andere Röhre wechseln können.

Einen Baustopp soll es auch angesichts der jüngsten Ereignisse nicht geben. Es gebe keinen Hinweis darauf, dass an anderen Stellen in der Stadt ähnliche Gefahr drohe wie in der Severinstraße, sagte Fenske. Ein Zusammenhang zwischen dem Einbruch des Stadtarchivs und früher entstandenen Rissen in dem Gebäude sei durch Gutachter definitiv ausgeschlossen worden. Die Ursache für das Unglück liege nicht im Gebäude, sondern im Untergrund. Trotzdem würden sämtliche Risse, die im Laufe der Zeit durch die Bauarbeiten an verschiedenen Gebäuden in der Stadt entstanden sind, erneut überprüft.

Video: Schwierige Bergungsarbeiten nach Einsturz in Köln

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Oberbürgermeister Schramma forderte eine lückenlose Aufklärung des Unglücks und kündigte zumindest eine Überprüfung des U-Bahn-Baus an. Sogar am Rathaus gebe es Risse. In Zukunft müsse sicherlich kritischer darüber nachgedacht werden, ob der Bau von U-Bahnen unter einer Altstadt sinnvoll sei, sagte er. "Viele historische Gebäude können es einfach nicht vertragen, wenn große Erdmassen bewegt werden." Der jetzige Bau der neuen Kölner U-Bahn geht auf eine rund 20-jährige Planung zurück.