Im Flugzeug
Wer sich im Flieger gerne ablenkt, weil die Wackelei und die komischen Geräusche (fiel da gerade ein Triebwerk aus?) so nerven, dem sei Colson Whiteheads Roman
„Die Nickel Boys“ (Hanser, 23 Euro) empfohlen. Er handelt, auf sehr spannende Weise, vom Schicksal des jugendlichen Elwood in einer brutalen Besserungsanstalt, in der gerade schwarze Leben nichts wert sind. Es ist der Anfang der 1960er-Jahre, die Rassentrennung steht in voller Blüte – Gesellschaftsgeschichte als packender Thriller.
Wo wir schon von Spannung reden: Friedrich Ani hat einen neuen Krimi geschrieben. Ani ist einer der Besten seiner Zunft, und das liegt vor allem daran, dass er leise Krimis schreibt, in dem verlorene Seelen und vom Leben Gezeichnete ihre Auftritte haben. So auch in
„All die unbewohnten Zimmer“ (Suhrkamp, 22 Euro), in dem vier von Anis Figuren gemeinsam ermitteln – in einem tief in der Geschichte wurzelnden Fall, in dem die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen.
In die bewegte Vergangenheit Ostafrikas führt die literarische Spurensuche von Edward Wilson-Lee
„Shakespeare in Swahililand“ (Luchterhand, 25 Euro). Der selbst in Kenia aufgewachsene Autor verquickt kenntnisreich und unterhaltsam den Weg, den die Texte des großen Menschenkenners William Shakespeare auf dem schwarzen Kontinent hinterließen, bei Arbeitern und befreiten Sklaven, bei Revolutionären wie bei Staatschefs. Karen Blixen und Che Guevara treten in Nebenrollen auf. Die Lektüre weckt in jedem Fall Lust, das Land zu bereisen – und sich durch all die erwähnten Autoren zu lesen.
Warum nicht schlauer werden hoch oben über den Wolken, wo die Luft dünn ist, aber der Horizont weit? Jens Balzer hat das vielleicht klügste Pop-Buch des Jahres geschrieben. Vielleicht, weil es gar nicht nur um Popkultur geht.
„Das entfesselte Jahrzehnt“ (Rowohlt, 26 Euro) erzählt von den 70ern, von den sozialen Umwerfungen, den technischen Neuerungen und den kulturellen Neuanfängen. Man muss hier nicht allem zustimmen, aber ein gutes Kompendium ist es allemal.
Peter Careys
„Das schnellste Rennen ihres Lebens“ (S. Fischer, 24 Euro) wirbelt in seiner Rasanz derart Staub auf, dass der Mund beim Lesen austrocknet. Ein ungleiches Trio mit Benzin im Blut geht 1954 in Australien auf die Piste des härtesten Autorennens der Welt, vielmehr ist es aber ein ungebremster Roadtrip in das magische Herz und in die rätselhafte Seele Australiens und seiner Ureinwohner.
Auch Pia Korittkis 14. Fall trägt den Schauplatz im Namen:
„Ostseeangst“ (Lübbe, 10 Euro). Die Hamburger Autorin Eva Almstädt schickt ihre alleinerziehende Lübecker Ermittlerin erneut in einen geschickt komponierten Mordfall: Jugendliche finden nach einer Bootstour eine Hand in der Lagerfeuerasche. Die Mischung aus Spannung und Privatem ist der ideale literarische Snack auch für die Kurzstrecke.
Am Strand
In Hannover lebt seit Langem ein spanischer Autor, der wunderbare Bücher über seine baskische Heimat verfasst. Auf Deutsch ist jetzt sein von 2012 stammender Roman
„Langsame Jahre“ (Rowohlt, 20 Euro) erschienen – ein eindrucksvolles, oft heiteres Werk, das vom Spanien der 60er-Jahre berichtet und von den familiären und politischen Konflikten, die nicht selten miteinander zusammenhingen.
Mensch, der Frechdachs hat die andere Wasserratte einfach von der Luftmatratze geschubst! Und der Bürohengst auf der Badematte nebenan, käseweiß ist der. Da schwant einem nix Gutes, der kriegt bestimmt ‘nen Sonnenbrand. Da werd ich dann aber keine Krokodilstränen weinen, immerhin hat er mir heute früh am Büfett den letzten Bagel weggeschnappt. Und nun mal halt – wo kommt denn das ganze Vieh in unserer Sprache her? Matthias Heine, Journalist und Sprachforscher, erklärt uns genau das. In seinem so kundigen wie unterhaltsamen Büchlein
„Mit Affenzahn über die Eselsbrücke. Die Tiere in unserer Sprache“ (Atlantik, 16 Euro). Literarischer Bienenfleiß gehört bei der Lektüre dieses Titels auf Leserseite gar nicht dazu. Man liest es gediegen unter dem Sonnenschirm liegend einfach so weg, mit einem Affenzahn.
Menschen, die ihren Autos Namen geben, ist unbedingt zu misstrauen. Bei Tim Moore machen wir eine Ausnahme. Der Engländer fuhr in einem Oldtimer – einem fast 100 Jahre alten Ford Model T – durch die Vereinigten Staaten und schrieb darüber den unterhaltsamen Reisebericht
„T wie Trouble“ (Covadonga, 14,80 Euro). Das „T“ steht dabei besonders für „Trump“, Moore bereiste nämlich das Trump-Amerika im Hinterland. Die Menschen dort bestätigen viele Vorurteile, sind aber auch hilfsbereit. Was wichtig ist, wenn einem Oldtimer „Mike“ wieder mal zickig kommt und kaum weiterfahren will.
Wenn Ihnen in der gleißenden Sonne am Strand schnell die Buchstaben vor den Augen zu tanzen beginnen und Sie überlegen, ob Sie überhaupt etwas zum Lesen mitnehmen, könnte vielleicht ein Bilderbuch eine gute Alternative sein.
„Spaziergang mit Hund“ (Oetinger, 20 Euro) kommt fast ohne Buchstaben aus. Alles, was man wissen muss, steht auf der Rückseite: „Stell dir vor, du darfst mit Omas großem Hund spazieren gehen!
Eine kleine Runde zum Pipimachen. Geh nicht zu weit! Und bleib nicht zu lang! Und wer führt eigentlich wen aus?“ Sven Nordqvist, schwedischer Schöpfer von „Pettersson und Findus“, lässt hier Kind und Köter durch überbordende Bilderwelten spazieren. Ihnen begegnen Fabelwesen, Unikas und natürlich auch die kleinen Mucklas. Man kann sich an den Bildern gar nicht sattsehen.
Beim Sonnenuntergang
Gregor Hens breitet in
„Missouri“ (Aufbau, 22 Euro) die spürbar autobiografische Geschichte des jungen Assistant Teachers Karl aus, der – genau wie Hens – Deutschland mit 23 Jahren verlässt, um in den USA ein intensiveres Leben zu führen, als es ihm Köln bieten konnte. Er verliebt sich in die charismatische Studentin Stella, die, immer wenn sie glücklich ist, schwebt. Über dem Boden. Was nicht wirklich erklärt wird. Aber warum auch? Kann man die Liebe erklären? Oder das Erwachsenwerden, das, ohnehin kompliziert, durch Stellas Mutter zusätzliche Ver- und Zerstörungen erfährt? Hens, 2002 hochgelobt für sein Romandebüt „Himmelssturz“, beschreibt diesen sommerlichen Streifzug durch den Mittleren Westen Amerikas völlig unaufgeregt. In einem Ton, der wie ein ruhiger Fluss dahintreibt.
Okay, Urlaubszeit ist das, was dem Paradies am nächsten kommt. Sicher dann, wenn die Sonne untergeht und die Hitze sich schlafen legt. Gegenprogramm: Juan S. Guses gewaltiger, schräger, magischer Roman
„Miami Punk“ (S. Fischer, 26 Euro). Ein mitunter verstörender Schmöker, der von einem Miami ohne Meer und einer Gesellschaft voller Gamer, Pseudoberufstätiger und Realitätsflüchtiger erzählt. Soll ja alles nicht zu schön sein, hier in der Sommerfrische.
Als Flugzeuglektüre eignet sich
„Als der Himmel fiel“ (Kindler, 20 Euro) wohl eher nicht. Die Anschläge auf das World Trade Center spielen keine ganz geringe Rolle in diesem Roman, der trotzdem weniger eine 9/11-Geschichte erzählt als die zweier Frauen, die es aus ganz unterschiedlichen Beweggründen nach New York und Connecticut verschlägt. Ophelia und Franka sind Cousinen, schwesternhaft verbündet, emotional aufeinander angewiesen. Die zielstrebige Ophelia zieht es zum Violinstudium nach Yale, die chaotische Franka stolpert von Affäre zu Affäre und, um in Ophelias Nähe sein zu können, in eine Galerie nach Manhattan. An beiden Orten ist schon bald nichts mehr wie vorher, und die einstürzenden Türme sind zudem ein Sinnbild für die zusammenbrechenden Beziehungskonstrukte dieser Familie, die auch von Lebenslügen und Geheimnissen zusammengehalten wird. „Als der Himmel fiel“ ist der zweite Roman der Journalistin Julie von Kessel, die selbst 2001 in New York war und damals für das ZDF live von den Attentaten berichtete.
Der gute, alte literarische Realismus, er hat nie ausgedient. Und der große englische Erzähler Alan Hollinghurst ist ein Meister jenes Realismus. Sein neuer, nun auf Deutsch erschienener Roman
„Die Sparsholt-Affäre“ (Blessing, 24 Euro) erzählt von mehr als sieben Jahrzehnten englischer Geschichte und drei Generationen. Ein Epos zwischen Oxford und London, mit genauen Charakterzeichnungen und ingeniösen Dialogen, das die homosexuelle Welt, die Sphäre der Kunst und die gebildete Schicht liebevoll porträtiert. Sprachlich ausgefeilt, ohne auf einer einzigen Seite zu langweilen – ein Geheimtipp dieser Literatur- saison.
Für Kinder
Warum heißt der tonnenschwere Stein in Övelgönne „Alter Schwede“? Woher stammt der Spruch „Hummel, Hummel – Mors, Mors“? Und was hat Till Eulenspiegel in Hamburg getrieben? Mit dem
„Hamburger Märchenbuch“ (Marzellen Verlag, 14,95 Euro) können Kinder sich von sagenhaften Geschichten über Alsternixen, Elbgeister, Süllberghexen und Klabautermänner verzaubern lassen und dabei in ihrer Heimat auf Entdeckungsreise gehen. Neben der Verortung auf der Stadtkarte gibt Autorin Silke Moritz bei jeder Geschichte Hinweise auf den Originalschauplatz. Zum Selber- und Vorlesen
Was tun, wenn man die „Fünf Freunde“ mag, nach Geschichten sucht, die nicht eindeutig als „Mädchenbuch“ oder „Jungsabenteuer“ vermarktet werden, wenn man alles von Astrid Lindgren geliebt und verschlungen hat und nach neuem Lesestoff für den Skandinavien-Urlaub giert ...? Eine gute Wahl ist der Kinderkrimi
„Die Blaubeerdetektive – Gefahr für den Inselwald“ (dtv, 12,95 Euro, aus dem Finnischen von Anu Stohner). Der finnische Schriftsteller Pertti Kivinen, Jahrgang 1980, soll selbst Holzfäller gewesen sein, bevor er mit dem Schreiben begann. Im ersten Band (ab 7 J.) um die vier plietschen Freunde Samu, Alma, Selma und Olli geht es um die plötzliche Freundlichkeit des sonst grummeligen Sägewerkbesitzers Mäkelä (genannt Holzwurm) – da kann doch etwas nicht stimmen … Zwei Folgebände, liebevoll illustriert von Katrin Engelking, sind schon in Aussicht gestellt.
Flora Botterblom ist Sprössling einer Gärtnerfamilie. Seit Generationen säen und ernten die Botterbloms – nur Flora hat leider so gar keinen grünen Daumen. Pflanzen? Viel zu langweilig. Glaubt sie jedenfalls, bis ihr Großvater Hyazinthus ihr von den geheimen Wundersamen erzählt … Wenig später strickt sie einen Pulli in den mexikanischen Nationalfarben für ein sprechendes Gürteltier namens Gisbert – und schleicht mit ihm in die Gewächshäuser der gemeinen Gärtnerfamilie Eisenhut ... Astrid Göprichs
„Flora Botterblom – Die Wunderpeperoni“ (Magellan, 13 Euro, ab 8 J.) ist ein leicht schräges Abenteuerbuch für Fans von Liliane Susewind oder der „Schule der magischen Tiere“.
Widdewiddewitt – Platz frei für die abenteuerlustigste Kinderbuchheldin seit Pippi Langstrumpf: Elli Rotfell. Das mutige Eichhörnchen hält überhaupt nichts davon, nur brav sein Fell zu bürsten – es möchte mit seinen Freunden eine Flugmaschine bauen. Doch Johnnys fiese Rabenbande schmiedet einen gemeinen Plan … Es gibt nur einen Ausweg: Elli und ihre Freunde müssen eine gefährliche Wette gewinnen.
Auch dank der schönen Illustrationen ist
„Elli Rotfell – 5 Freunde und die unglaubliche Flugmaschine“ (Ellermann, 15 Euro) ein großartiges Buch zum Vorlesen für Kinder ab sechs Jahren und ideal zum Selberlesen für größere Geschwister.
tha, tl, msch, haa, vob, vfe, nik
Den Podcast beenden?
Podcast beenden
00:00
Podcast Progress
00:00
Facebook
X
WhatsApp
E-Mail