Die letzten Tage des damals größten Passagierschiffes der Welt - vom Auslaufen bis zum Untergang. Heute: die Rettungsmaßnahmen.

Nachdem die Lichter der "Titanic" erloschen und das größte Schiff der Welt versunken war, begann ein weiteres Drama. Lediglich halb volle Rettungsboote trieben in Sichtweite der Untergangsstelle, an der Hunderte Menschen im eiskalten Wasser schwammen, um Hilfe schrien und den sicheren Tod als Folge von Unterkühlung vor Augen hatten. Doch die Boote kehrten nicht zurück, um den Verzweifelten zu helfen. Jack Thayer, einer von denen, die im Wasser trieben, konnte es nicht begreifen: "Wie konnten Menschen es fertigbringen, solche Schreie zu überhören?"

Sie hörten die Schreie wohl, aber sie hatten Angst um ihr eigenes Leben. "Sobald das Schiff verschwunden war, sagte ich: 'Männer, jetzt pullen wir zurück zum Wrack!'", berichtete der Dritte Offizier Herbert J. Pitman später vor dem New Yorker Untersuchungsausschuss unter dem Vorsitz von Senator William Alden Smith. "Aber alle im Boot sagten, das sei völlig verrückt. Wir sollten lieber die wenigen Menschen im Boot retten, als zu der Stelle zurückzukehren, an der das Schiff untergegangen war, weil die Menschenmassen dort das Boot stürmen würden."

+++ Das Buch +++

+++ Die Titanic in Zahlen (4) +++

+++ Morsezeichen Erinnern +++

Pitman hatte zwei Boote, die Nummern 5 und 7, mit Leinen aneinanderhängen lassen. In den beiden Booten hätten noch 60 Menschen Platz gefunden. "Ich habe meinen Männern befohlen, die Riemen einzulegen und zum Wrack zurückzupullen - zu der Stelle, wo das Schiff untergegangen war ... Ich habe gesagt: 'Vielleicht können wir noch ein paar herausfischen.'" " Und wer war dagegen?", fragte Senator Smith. "Alle im Boot. Oder fast alle." Als die Männer im Boot zu den Riemen griffen, um Richtung Wrack zu rudern, hielten die Frauen sie davon ab.

In Boot A erlebte August Wennerström, was passierte, wenn die im Wasser Treibenden ein Rettungsboot erreichten. "Sie schwammen auf uns zu, hängten sich an allen Seiten an unser Boot, und plötzlich schlugen wir um. Wie lange ich im Wasser war, weiß ich nicht. Als ich wieder zu mir kam, trieb ich auf drei ineinander verschlungenen Menschenleibern ... Nachdem ich zu unserem Boot zurückgeschwommen war, sah ich, dass es halb voll Wasser war und nur noch von der ringsum laufenden Korkverkleidung über Wasser gehalten wurde." Wennerström kletterte in das Boot zurück. Auch seinem Freund Edvard Lindell gelang dies, aber dessen Frau war verschwunden. Plötzlich sah Wennerström sie im Wasser treiben und konnte sie an der Hand packen, doch war er zu schwach, um sie in das Boot zu ziehen. Nach einer halben Stunde entglitt sie seinem Griff, er sah nur noch, wie sie im Wasser versank.

Um die Schreie ringsumher nicht hören zu müssen, begannen Überlebende in Boot 13 aus Leibeskräften zu pullen und sangen dabei ein Seemannslied. Auch in anderen Booten versuchten die Insassen, die Schreie durch eigenes Schreien oder Singen zu übertönen.

Major Peuchen erlebte in Boot 6, wie einige Frauen im Boot den Quartermaster Hichens, der das Boot steuerte, aufforderten, zur Unglücksstelle zurückzurudern. Doch der weigerte sich: "Nein, wir kehren nicht zum Schiff zurück. Jetzt geht es um unser Leben, nicht um das anderer Leute."

Doch da hatte er nicht mit Molly Brown, einer Passagierin der Ersten Klasse, gerechnet. Sie schlug ihm vor, die Pinne einer Frau zu übergeben und den Männern beim Rudern zu helfen. Hichens wies sie rüde zurecht. Daraufhin griff sich Molly Brown selbst einen der Riemen und forderte andere Frauen auf, es ihr gleichzutun.

Als die "Titanic" unterging, war das Boot Nummer 4 mit den Besatzungsmitgliedern Lowe, Perkis und McCarthy etwa eine Schiffslänge entfernt. Sie berieten sich kurz und ruderten auf die im Wasser treibenden Menschen zu. Dagegen protestierten mehrere Frauen kreischend und warfen sich sogar auf die Riemen, um die Männer am Rudern zu hindern. Anderen Frauen wiederum, insbesondere Mrs. Astor, gelang es, diese Frauen wieder zu beruhigen. So konnten sie fünf Männer aufzufischen, zwei von ihnen starben jedoch noch vor dem Eintreffen der "Carpathia".

Umsicht bewies der Fünfte Offizier Harold Lowe. Er hatte das Kommando über fünf Rettungsboote übernommen. Mit lauter Stimme kündigte er an, er werde jetzt die 58 Insassen von Boot 14 auf die anderen, nicht voll besetzten Boote verteilen und zurückrudern. Es gab Proteste, aber er ließ sich nicht beirren. Als das Boot leer war, holte er sich Matrosen aus den anderen Booten als Ruderer, wartete aber mehr als eine Stunde, bis die Hilfeschreie leiser wurden. Doch inzwischen gab es nur noch wenige Überlebende. Die Körper von Toten schwammen noch immer in ihren Schwimmwesten an der Unglückstelle, die Menschen waren mittlerweile erfroren. Insgesamt erreichten über Lowes Aktion nur drei Menschen lebend die "Carpathia".

In mehreren Booten saßen Besatzungsmitglieder, die behauptet hatten, sie könnten rudern, aber tatsächlich darin überhaupt keine Erfahrung hatten. Unterdessen eilte die "Carpathia", die Notsignale der "Titanic" aufgefangen hatte, zur Untergangsstelle. Kapitän Arthur Henry Rostron schonte sein Schiff dabei nicht. Die gewöhnliche Höchstgeschwindigkeit betrug 14,5 Knoten. Jetzt lief sie fast 17,5 Knoten. Die Temperatur in den Kabinen sank, denn Dampf, der für deren Heizungen bestimmt war, wurde in die Maschinen geleitet.

Auch vor der "Carpathia" tauchten Eisberge und verschwanden nach achtern. Kapitän Rostron beschrieb später: "Wir verlangsamten niemals, obwohl wir gelegentlich den Kurs ändern mussten, um ihnen auszuweichen. Es waren sorgenvolle Stunden. Der Gedanke an das Schicksal der 'Titanic' ließ uns nicht los."

Doch in der Sorge um die Schiffbrüchigen durfte Rostron die Sicherheit seiner eigenen Passagiere nicht aus Spiel setzen. In welchem Zwiespalt er steckte und welche Risken er einging, beschrieb er später einmal: "Es befanden sich 700 Seelen auf der 'Carpathia'. Diese Menschenleben, ebenso wie die Überlebenden der 'Titanic' selbst, hingen nun an einer Drehung des Rades." Und zwar an einer rechtzeitigen. Um 3 Uhr befahl Rostron, alle 15 Minuten Raketen abzuschießen, damit Überlebende wussten, die Rettung kam näher.

Um 3.35 Uhr hatte die "Carpathia" eine Position erreicht, von der aus sie die "Titanic" hätte sehen müssen, wenn sie noch an der Oberfläche gewesen wäre. Um vier Uhr stoppten die Maschinen. Rostron wollte vermeiden, die meist unbeleuchteten Boote mit Überlebenden in der Dunkelheit zu überfahren.

Als erstes Boot erreichte Nummer 2 unter dem Kommando des Vierten Offiziers Joseph Boxhall die "Carpathia". Von ihm erfuhr Kapitän Rostron, dass die "Titanic" untergegangen war und er zu spät kam, um mehr als diejenigen Menschen zu retten, die in den Rettungsbooten saßen. Diese Boote kamen nach und nach immer näher.

In Rettungsboot Nummer 7 erlebte Alfred Fernand Omont das Zusammentreffen mit der "Carpathia": "Ich saß neben einem deutschen Baron im Rettungsboot, der mit seiner Pistole zu schießen begann, um auf uns aufmerksam zu machen, nachdem wir Lichter auf dem Wasser und abgefeuerte Raketen sehen konnten. Gegen 4 Uhr sahen wir die Lichter der ,Carpathia'. Ein Schwächegefühl überkam uns, als das Schiff wieder abzudrehen schien. Aber sobald die ,Carpathia' tutete und stoppte, wussten wir, dass wir gerettet werden. Halberfroren kletterten wir die Strickleitern hoch und wurden von der Besatzung in Empfang genommen."