Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi hat es fast geschafft: Nach 50 Jahren Militärherrschaft demokratisiert sich das ehemalige Birma.

Es ist ein heißer und stickiger Nachmittag in den Straßen von Yangon, dem ehemaligen Rangun. Typisch für die Fünf-Millionen-Metropole von Myanmar, das bis 1989 Birma hieß. Benzin- und andere Abgase überlagern in der kurzen Stunde der Dämmerung den Duft exotischer Blüten. Tausende japanischer, koreanischer und chinesischer Kleinwagen kurven geschickt um die vielen Schlaglöcher.

Der Verkehr hat so stark zugenommen, dass jemand, der vor zehn Jahren zuletzt hier war, diese Stadt kaum wiedererkennen würde. Neuerdings gibt es alle paar Tage zusätzliche Probleme. Wenn sich nämlich herumspricht, dass die Lady eine Rede halten oder schon wieder einen ausländischen Gast empfangen wird, bricht alles zusammen, dann ist kein Durchkommen mehr. Fast jeder in Yangon will diese zierliche, weltberühmte Frau, die so lange weggesperrt war, wenigstens einmal aus der Nähe sehen, ihr zuwinken, sie womöglich berühren.

Die Lady, das ist Aung San Suu Kyi, die Symbolfigur des birmanischen Freiheitskampfes. Beinahe hätte auch der Uno-Mitarbeiter Claas Morlang aus Hamburg sie gesehen, am 13. November 2010, als sie nach insgesamt fast 20 Jahren Gefängnis, Hausarrest und eingeschränkter Freiheit endlich entlassen wurde. "Ich hörte die Massen jubeln, der historische Moment war mit den Händen zu greifen", sagt der promovierte Wirtschaftswissenschaftler und Krisenmanager, "aber ich musste halt meine drei kleinen Kinder hüten." Wegen des Chaos auf den Straßen verspätete sich das Kindermädchen.

Claas Morlang und seine Frau Anne waren im Juni 2008 im Auftrag des Uno-Flüchtlingshilfswerks nach Myanmar gekommen, einen Monat nach dem Wirbelsturm "Nargis"; er hatte große Teile des Landes verwüstet, an die 100 000 Menschen getötet und eine Million obdachlos gemacht, gerade die Ärmsten der Armen. Die Militärjunta, unter deren Knute das Land schon so lange litt, widersetzte sich ausländischer Hilfe und zog damit Empörung in aller Welt auf sich. Ein Jahr zuvor hatte das Regime des Generals Than Shwe einen friedlichen Protest buddhistischer Mönche und Nonnen niedergeknüppelt.

+++ Birmas Militärjunta übergibt die Macht an neuen Präsidenten +++

Yangon war eine Stadt in Angst und Agonie, als die Morlangs dort ihre Zelte aufschlugen. Kaum jemand hat seinerzeit vermutet, dass eine der beiden Seiten nachgeben würde, hier die Betonköpfe der Militärs, dort die unbeugsame Lady. Und sie bewegten sich doch. Aung San Suu Kyi bot Ende 2009 dem verhassten General eine Zusammenarbeit an, wenn dessen Regime das Land so öffnen würde, wie die Militärs es einmal selber versprochen hatten: eine neue Verfassung, Einhaltung der Menschenrechte, Pressefreiheit, Beteiligung der Minderheitenvölker und drei weitere Punkte auf dem Wege zur Demokratie, zusammengefasst in der sogenannten Road Map.

Aber die Junta schloss die Lady von den Parlamentswahlen aus; ihre Partei, die NLD, nahm daraufhin gar nicht erst teil. Diese Partei hatte die Wahlen von 1990 haushoch gewonnen, aber die Militärs erkannten das Ergebnis nicht an. Die Lady gab den Kampf nicht verloren, vorher nicht, nachher nicht, niemals. Jahrzehntelang praktizierte sie zivilen Ungehorsam, kompromisslos bis an den Rand der Selbstaufgabe.

Aung San Suu Kyi wurde am 18. Juni 1945 in Rangun geboren, das damals wie ganz Birma zu Britisch-Indien gehörte. Ihr Vater, heute von allen Parteien als Held des Widerstands gegen die Kolonialherren gefeiert, wurde erschossen, als sie zwei Jahre alt war. Sie wuchs vorwiegend in Indien auf, wo ihre Mutter lange Zeit als Birmas erste weibliche Botschafterin wirkte.

Für ihren unermüdlichen Einsatz wurde Aung San Suu Kyi im Oktober 1991 mit dem Friedensnobelpreis geehrt, den ihr Mann, ein britischer Tibetologe, und ihre Söhne entgegennahmen. Sie selbst wollte nicht ausreisen, da sie davon ausgehen musste, nicht wieder in ihre Heimat zurückkehren zu dürfen. Nicht einmal zur Beerdigung ihres Mannes fuhr sie, als der 1999 in Oxford verstarb, wo das Paar am Anfang seiner Ehe gelebt hatte.

+++ Am Ufer glitzern die goldenen Pagoden +++

Was für ein Leben. Was für ein Filmstoff. Und was für ein Timing: Der französische Regisseur Luc Besson ("Subway") hat den richtigen Riecher gehabt, am 19. Februar wird sein Filmdrama "The Lady" über Aung San Suu Kyi auf der Berlinale präsentiert. Am 15. März, kurz vor den mit Spannung erwarteten neuen Wahlen in Birma, kommt es in die deutschen Kinos. Michelle Yeoh, ehemals Bond-Girl und "Miss Malaysia", ist "The Lady": 17 Jahre jünger, mit 1,65 Metern fünf Zentimeter größer und deutlich fülliger als ihr Vorbild.

Der Film wird nicht nur das Schicksal von Aung San Suu Kyi schildern, er wird auch Bilder zeigen, die bei Reisenden immer schon Sehnsucht weckten. Fernab der Politik und aller Probleme gilt Myanmar als letzte Region des alten Asiens, als Land, von dem schon Rudyard Kipling vor über 100 Jahren schwärmte: "Dies ist Birma, und es wird wie kein anderes Land sein, das du kennst ..."

Das traumschöne Land, fast doppelt so groß wie Deutschland, ist voller Natur- und Kulturwunder, ein Land der goldenen Tempel und der liebenswerten Menschen. Claas und Anne Morlang, die vor ein paar Wochen aus den Tropen nach Georgien in den kaukasischen Winter versetzt wurden, trauern schon jetzt dem Leben in Yangon nach, "der Leichtigkeit, der Fröhlichkeit, mit der die Birmanen ihren oft so schwierigen Alltag bewältigen".

Aber Myanmar war auch Inbegriff der traurigen Tropen. Wegen der politischen Verhältnisse reisten viele Interessierte nur mit schlechtem Gewissen nach Yangon oder gar nicht. Und doch fand ein touristischer Boykott, wie ihn die Lady viele Jahre befürwortete, immer weniger Anhänger. Freunde in aller Welt hielten ihr vor, dass sich die Birmanen noch mehr alleingelassen fühlten, wenn niemand mehr käme, wenn junge Leute keine Gelegenheit zum Englischsprechen und zum, wenn auch nur geflüsterten, Meinungsaustausch hätten, wenn Kellner, Köche, Taxifahrer ihre Jobs verlören. Über diese Frage ließ Aung San Suu Kyi langjährige Freundschaften zerbrechen, sogar die mit ihrer Sekretärin Ma Thanegi, einer Schriftstellerin, die selber drei Jahre im Gefängnis saß.

Seit dem Herbst 2010 aber wünscht sich auch die Lady möglichst viele Besucher im Land. Aus Deutschland kamen im vergangenen Jahr 15 000 Touristen, auch 2012 werden es nicht viel mehr werden. Es gibt noch nicht genügend Hotels, Flugzeuge, Straßen. Veranstalter wie Studiosus bekommen dreimal so viele Anfragen wie sie annehmen können. Inhaber Peter-Mario Kubsch macht aus der "Not" eine Tugend und bietet Studienreisen zu Fuß und per Rad an, bei denen auch in Öko-Lodges übernachtet wird.

Die vom Militär gestützte, aber gewählte, formell zivile Regierung hat die Restriktionen der politischen Arbeit gelockert und Hunderte politische Gefangene freigelassen. Warum auf einmal vieles in Myanmar in eine neue Richtung läuft, lässt auch Experten rätseln. Die meisten vermuten, dass die Regierung ihre versprochenen sieben Schritte auf dem Weg zur Demokratie schneller gehen wolle, als sie es geplant hatte. Der Druck auf dem Kessel sei selbst den Militärs zu heftig geworden, das Risiko eines erneuten Volksaufstands wollten sie nicht eingehen.

Die neue Zeit hat bereits begonnen: In den letzten sechs Monaten ist der Preis für einen Kleinwagen, etwa einen Toyota Corolla, um die Hälfte auf unter 10 000 Dollar gesunken. Es gibt keine Luxussteuer mehr. In Yangon öffnen ständig neue Supermärkte, ein ambitionierter Buchladen etablierte sich vor ein paar Wochen. Niemand muss mehr amerikanische Nachrichtenmagazine oder die "Bangkok Post" einschmuggeln - sie sind überall in der Stadt zu haben. Und wenn demnächst auch die USA ihren Boykott lockern, wird wohl bald die erste McDonald's-Filiale eröffnen.

"Nicht Macht korrumpiert die Menschen, sondern Furcht" - Aung San Suu Kyi

Myanmar ist ein armes Land, aber reich an Bodenschätzen: Gas, Öl, seit alten Zeiten auch Jade, Edelsteine und Gold. Wenn der jetzige Präsident Thein Sein noch mehr für die Demokratisierung tut, werden wirtschaftliche Beschränkungen rasch fallen (siehe Interview). Hans-Bernd Zöllner, der als Birma-Spezialist unter anderem am Asien-Afrika-Institut der Hamburger Uni forscht und lehrt, nennt ihn einen "redlichen Versöhner". Thein Sein hatte früher der Junta angehört, jetzt trägt er wie die meisten der 30 Minister der Regierung keine Uniform mehr. Er war es, der die Lady ins Boot holte, ihr einen Wahlkreis anbot, er will sie nach der Nachwahl im April sogar in die Regierung holen. Er hat auch den Bau eines Staudamms am Fluss Irrawaddy gestoppt, ein Milliardenprojekt der Chinesen. Möglicherweise wollte er damit signalisieren, dass sein Land doch nicht so stark von China abhängig sei.

Manche Änderungen machen sich schon jetzt bemerkbar, gerade in Yangon. Claas Morlang berichtet von einem Bauboom. Die Aufbruchstimmung lässt gute Geschäfte erwarten. Da mögen Hamburger Kaufleute nicht abseits stehen. Ende November war eine Delegation des Ostasiatischen Vereins (OAV) zu Gesprächen in Yangon und der neuen Hauptstadt Naypyidaw im Zentrum des Landes. Die Atmosphäre hat Timo Prekop, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des OAV, als "viel offener und diskussionsfreudiger" empfunden als beim letzten Besuch im April 2011: "Myanmar hat in allen Bereichen so viel Nachholbedarf, dass sich der Austausch für beide Seiten nur lohnen kann."

Auf der Schwedagon-Pagode in Yangon, dem schönsten und wichtigsten Heiligtum des buddhistischen Landes, suchen Gläubige seit Jahrhunderten innere Ruhe. Hier ist tatsächlich alles Gold, was glänzt. Die Lady wird kaum Zeit haben, hier zu meditieren. Sie beschreibt ihren neuen Alltag, in dem sich plötzlich Politiker wie Hillary Clinton oder der britische Außenminister William Hague die Klinke in die Hand geben dürfen, mit feiner Selbstironie: "Ich hatte mehr Ruhe, als ich noch unter Hausarrest stand."