Leverkusen. Die Debatte um Gündogan/Özil belastet den Weltmeister vor der WM stärker, als der das wahrhaben will. Ilkay Gündogan schaute traurig.

Der schwarze Teambus der deutschen Nationalmannschaft schob sich aus der Tiefgarage der Leverkusener Arena hinaus in die Nacht. Weg von diesem Ort der schrillen Töne und schweren Themen – der WM entgegen. Aber ohne dem Weltmeister noch etwas mit auf den Weg zu geben, ließ Leverkusen ihn nicht ziehen. Ein Krankenwagen folgte dem Bus dicht und brüllte ihm aus Lautsprechern hinterher wie ein Stadiongänger seinem Vordermann in den Nacken: „Wir wünschen der Mannschaft alles Gute für die WM.“

Wer nach dem 2:1 der Nationalelf gegen Saudi-Arabien, dem letzten Testspiel vor der Abreise nach Russland, das Geschehen in Leverkusen beobachtete, der fand noch einige Bilder mehr für den Zustand des Titelverteidigers kurz vor dem Turnier. Ilkay Gündogan etwa, wie er zum Parkplatz eilen wollte, aber von Reportern umringt wurde. „Ich bitte um Verständnis, dass ich heute dazu nichts sage“, sagte Gündogan. Die Reporter fragten weiter. Wie er damit umgehe, dass ein halbes Stadion pfiff, als er eingewechselt wurde. Dass es erst klatschte, als er von einem saudischen Spieler gefoult wurde. Und was das mit der Mannschaft mache eine Woche vor dem ersten WM-Spiel gegen Mexiko in Moskau. Gündogan guckte aus traurigen Augen und ging.

Am Dienstag wird das Team des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) zur WM aufbrechen – weit weg von Leverkusen. Aber die Misstöne werden es begleiten und bis Moskau zu hören sein. Sie werden dem Weltmeister hinterher gebrüllt. Die Affäre „Erdogan“ um Gündogan und Mesut Özil belastet den DFB stärker, als der das wahrhaben möchte. „Ich kann das schwer nachvollziehen. Eine Mannschaft lebt auch davon, dass jeder Spieler unterstützt wird“, sagte Bundestrainer Joachim Löw. „Ich frage mich, was Ilkay nun tun muss. Er hat sich der Presse gestellt und gesagt, dass es kein politisches Statement war. Dann ist das Thema auch irgendwann mal vorbei, okay?“, sagte Löw mehr zornig als fragend.

Erstmals wird ein politischer Konflikt in Deutschland in der Nationalelf verhandelt

Vorbei ist das Thema nicht, das Gündogan und Özil durch das Treffen des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und der Schenkung eines mit Widmung versehenen Trikots („Für meinen Präsidenten“) aufgemacht haben. Vielmehr zeigt sich immer deutlicher, dass erstmals in der Geschichte ein politischer Konflikt in Deutschland tief in der Mitte der Nationalelf verhandelt wird. Die Debatte über Integration von Einwandererkindern mit allen schrillen und gemäßigten Beiträgen wird nun auf dem Rücken einer Fußballmannschaft geführt, wie es zuvor nur bei Nationen mit einer ausgeprägteren Kolonialgeschichte zu beobachten war. Das französische Team war bei der WM 2010 ein Spiegel einer gespaltenen Gesellschaft – und sie zerbrach an ihren Konflikten.

Auch die Affäre „Erdogan“ gefährdet nun die deutschen WM-Ambitionen, weil sie vor allem mit Özil aber auch mit Gündogan zwei wichtige Spieler belastet, und darüber hinaus eine Schwere auf die Mannschaft legt, mit der sie erst einmal umgehen muss. „Wir versuchen, dass nicht auf uns einprasseln zu lassen“, sagte Kapitän Manuel Neuer. Dass das längst passiert ist, zeigten die Worte von Mario Gomez: „Wir sollten jetzt nicht versuchen, das Ding noch mehr zu spalten, sondern wieder eine Brücke zu bauen, dass wir mit ganz anderen Gedanken in die WM gehen können“, sagte der Angreifer.

Die Spieler solidarisieren sich mit Gündogan und Özil

Der deutschen Mannschaft könnte helfen, dass der Konflikt sich nicht durch die Reihen der Spieler zieht, wie bei der französischen Elf 2010. Vielmehr solidarisierten sich Neuer, Gomez und Co. mit Gündogan und Özil: „Man muss die Aktion der beiden nicht gut finden, aber wir reden nicht davon, dass sich zwei Leute über Jahre irgendwelche Ausfälle erlauben, sondern von zwei Spielern, die schon oft für uns gespielt haben, alles für uns geben und sich eine Aktion geleistet haben“, sagte Mats Hummels. Wie man das Problem lösen könnte, wurde er gefragt: „Wir müssen darüber reden.“

Aber genau das ist das Problem. Der DFB hat eine Mitschuld an der Ausuferung der Misstöne, weil er den Brandherd durch Kleinreden und einem inszenierten Besuch bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier austreten wollte. Er konnte nur Gündogan, der sich am Dienstag vor (ausgewählten!) Pressevertretern äußerte, zu einer Stellungnahme bewegen. Özil durfte weiter schweigen. Zudem tat sich Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff mit der Unart hervor, einem ARD-Reporter vor dem Spiel gegen Saudi-Arabien die Fragen nach beiden Spieler verbieten zu wollen. Am Freitag übrigens wendete Bierhoff den alten Funktionärstrick an: Um die Fragen in der Interviewzone nach dem Spiel nicht beantworten zu müssen, telefonierte er beim Verlassen des Stadions.

Der DFB muss sich jetzt etwas einfallen lassen, um die Schwere der Debatte vielleicht doch noch vor WM-Start etwas abstreifen zu können. Reden hilft immer, lautet eine Weisheit. Dazu bedarf es aber den Umstand, dass alle Beteiligten sprechen: Gündogan und Özil. Der übrigens flüchtete sich am Freitag in Sarkasmus. Was er zu den Pfiffen sage, wurde Özil beim Verlassen der Arena gefragt. Der antworte im Vorbeigehen: „Welche Pfiffe?“