Hamburg. Christian Okun steht vor der Wahl zum Präsidenten des Hamburger Fußball-Verbandes. Im Interview legt er den Finger in eine Wunde.

Federnden Schrittes geht Christian Okun über die Anlage des Hamburger Fußball-Verbandes an der Wilsonstraße 74. Hier ein „Wie geht´s?“, dort ein Schnack. Der 42 Jahre alte Okun kennt den HFV wie kaum ein Zweiter. Der vorläufige Höhepunkt seiner Verbandskarriere folgt am 29. Oktober. Dann wird Okun auf dem außerordentlichen Verbandstag zum neuen HFV-Präsidenten gewählt.

Hamburger Abendblatt: Herr Okun, was fasziniert Sie an Verbandsarbeit?

Christian Okun: Durch die Arbeit im Verband ist es möglich, einen relevanten Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Ich sehe Verbände und ihre Vereine nie als Gegensatz. Nicht als „die da oben“ gegen „die da unten“. Alle gemeinsam bilden den Verband und können mit Leidenschaft und Engagement viel bewegen. Dazu einen Beitrag zu leisten, finde ich faszinierend.

War Ihre Verbandskarriere durch Ihren Vater Volker Okun, der kürzlich für sein ehrenamtliches Engagement im Hamburger Sport das Bundesverdienstkreuz erhielt, früh vorgezeichnet?

Ja, Durch ihn kam ich früh mit Verbänden und auch mit der Politik in Berührung. Und meine Eltern haben mich nach dem Motto erzogen: Bringst du dich nicht ein, funktioniert die Gesellschaft nicht.

Was haben Sie als Schatzmeister des HFV und als Vizepräsident des Hamburger Sportbundes (HSB) erreicht?

Wir haben im HSB-Präsidium unter anderem ein neues Gebühren- und Umlagesystem installiert und, was mir sehr wichtig war, die Übungsleiterpauschalen für Ehrenamtler maßgeblich steigern können. Den HFV-Tanker haben wir durch die schwere See der Corona-Pandemie gesteuert. Kein Mitarbeiter wurde entlassen. Ohne die Hilfsgelder der Stadt Hamburg, des DFB und nicht zuletzt unserer Partner aus der Wirtschaft hätten wir das nicht geschafft. Dafür gebührt allen unser großer Dank.

Bald werden Sie HFV-Präsident sein. Ihr Vorgänger Dirk Fischer begründete seine erneute Kandidatur mit seiner Erfahrung. Drei Monate später trat er ab, weil frischer Wind an der HFV-Spitze nötig sei. Unglücklich kommuniziert?

Primär ging es bei der letzten Wahl vor allem darum, nicht mitten in der Corona-Krise die Führungsspitze zu wechseln. Ich bin Dirk Fischer sehr dankbar. Er hat mich immer gefördert und gefordert. Ich konnte mich beim HFV unter seiner Führung sehr gut entwickeln.

Bleiben wir beim Thema Kommunikation. Die Vereine kritisierten nach Ausbruch der Pandemie, vom Verband schlecht informiert worden zu sein. Haben sie recht?

Ja, leider. Wir müssen als HFV ehrlich sein. Wir haben gerade in den ersten Monaten nach Ausbruch der Pandemie keine gute Kommunikation gemacht. Daraus haben wir aber gelernt. Das zeigen auch die späteren Umfragen unter den Vereinen, bei denen wir sehr gute Beteiligungsquoten hatten. Darauf konnten wir viele wichtige Entscheidungen aufbauen.

Ein neuer Machtfaktor im HFV ist die von 70 Clubs getragene Initiative „Praxis Fußball“. Ihre Meinung?

Positiv, wenn es – und davon bin ich überzeugt – allen handelnden Personen darum geht, gemeinsam das Beste für unseren geliebten Fußball zu wollen. Es geht darum, zusammen Herausforderungen zu analysieren und Lösungen zu suchen. Oder wie ich gerne sage: Ein Problem ist eine Chance im Arbeitskittel. Die Erfahrungen aller Vereinsvertreter, die das Vereinsleben und die Herausforderungen vor Ort kennen, sind eminent wichtig. Mit einigen Vertretern der Initiative habe ich übrigens schon vor zehn Jahren gute Erfahrungen gemacht.

Erzählen Sie!

2011 fand im Haus des Sports ein HFV-Jugendverbandstag statt. Es existierten im Jugendbereich Ungerechtigkeiten bei den Aufstiegsregelungen und bei Wechselmodalitäten, vor allem zugunsten der Großvereine HSV und FC St. Pauli. Die Vereine stimmten sich ab und stellten Anträge, die allesamt mit großer Mehrheit genehmigt wurden. Der HFV hat sich damals im Vorfeld nicht gut verhalten. Einer der Anträge beinhaltete die Schaffung eines „Arbeitskreises Aufstiegsregelung im Jugendbereich“. In diesem trafen wir uns häufig. Der konstruktive Austausch fand auf hohem, leidenschaftlichem Niveau statt. Wir schafften ein gerechteres System. Der Arbeitskreis existiert übrigens bis heute.

Wird sich mit Ihnen als HFV-Präsident der Stil ändern? Schon mehrfach kritisierten Sie den Senat auch öffentlich, zuletzt beim Thema Oskar-Kesslau-Platz im Stadtteil Hammerbrook.

Ich sehe mich als Interessenvertreter aller Hamburger Vereine. Als solcher bin ich dazu aufgefordert, den Finger auch mal in die Wunde zu legen. Das nimmt mir in der Politik sicher keiner krumm. Auf das vom Sportamt moderierte Gespräch zwischen Hafen City GmbH und Bezirksamt Mitte zum Oskar-Kesslau-Platz warten wir allerdings immer noch. Wir haben wieder und wieder auf die sehr schwierige Situation dort hingewiesen, weil die Platzrenovierung seit Jahren auf sich warten lässt.

Sehen Sie die Stadt Hamburg und ihre Bezirke generell kritisch?

Ja und nein. Das Sanierungsprogramm der Stadt für alle Hamburger Sportvereine finde ich großartig. Nur sind die Kapazitäten auf den Sportanlagen im Vergleich zum Bedarf eben bislang längst nicht ausreichend. Das ist das größte Problem für die Vereine. Es fehlen zum Beispiel Hallenzeiten und Umkleidemöglichkeiten. Auch müsste es noch mehr Kunstrasenplätze geben. Manchen Clubs laufen bei ihren veralteten Plätzen die Mitglieder weg. Und manches ist von der Stadt nicht zu Ende gedacht. Wenn ich einen Platz zum Kunstrasenplatz umrüste und ganzjährig nutzbar mache, muss ich auch mehr Platzwartkapazitäten vorhalten. Denn ohne Platzwart findet kein Sportbetrieb statt.

Welche weiteren Themen sind Ihnen wichtig?

Ein besonderes Anliegen ist mir das Thema Frauenförderung. Im HFV läuft auch gerade ein Leadership-Programm für Frauen. Wir müssen den Frauen eine Plattform zum Austausch und zur Netzwerkbildung geben und das Handwerkszeug, um in der Vereinsarbeit Führungspositionen einnehmen zu können. Was nicht heißt, dass wir nicht schon solche Frauen hätten. Zum Beispiel Kathrin Behn, die jetzt als Vizepräsidentin kandidiert. Viele Frauen bereichern schon die Hamburger Vereinsarbeit ungemein. Es sollen noch mehr werden. Auf eine Quotierung arbeiten wir allerdings nicht hin. Die Themen Organisation des Spielbetriebs mit immerhin 3100 Mannschaften und die Ausbildung von Trainern und Betreuern sind darüber hinaus ebenso dauerhaft wichtige Aufgaben wie die Ausübung unserer sozialen und gesellschaftlichen Verantwortung durch Projekte wie zum Beispiel „Kicking Girls“.

Glauben Sie, dass die Politik die Sportplätze wieder schließt?

Ich glaube nicht an einen erneuten Lockdown. Jeder und jede hatte nun ein Impfangebot. Ich sehe kaum eine Grundlage, die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger nun erneut massiv einzuschränken. Freiluftsport war übrigens nie ein Treiber der Pandemie. Dazu gibt es viele wissenschaftliche Untersuchungen. Sollte die Diskussion tatsächlich aufkommen, ist es wichtig, dass alle Kinder und Jugendlichen bis 18 Jahren auf jeden Fall weiter Sport treiben dürfen. Die körperlichen und psychischen Langzeitfolgen sind viel zu gravierend, als dass wir ihnen als den Schwächsten in unserer Gesellschaft noch einmal ein Sportverbot im Verein auferlegen dürfen.