Europas größtes Radrennen ist längst auch ein wichtiger Tourismusmotor für die Hansestadt. Ein Trio ist eigens aus Amerika nach Hamburg gereist.

Hamburg. Wenn alles geklappt hätte wie geplant, dann wäre Michael Claus jetzt gar nicht in Hamburg. Denn eigentlich wollten er und sein Stiefsohn Jason Subirana in diesem Jahr endlich den Col du Tourmalet bezwingen, jenen legendären Pyrenäenpass, der schon so viele Dramen bei der Tour de France erlebt hat. „Leider gab es dringende Familienangelegenheiten, die dem entgegenstanden“, sagt Claus. Jetzt sind es eben die Vattenfall Cyclassics geworden, die die beiden am Sonntag gemeinsam in Angriff nehmen, wobei sie von Claus’ Freund Nickel Goeseke unterstützt werden.

Man kann nicht gerade sagen, dass es nahelag, nach Hamburg auszuweichen. Kaum jemand hat je einen so weiten Weg auf sich genommen, um an Europas größtem Radrennen teilzunehmen. Subirana, 36, ist eigens aus seiner kanadischen Heimatstadt Montreal angereist. Claus, 63, und Goeseke, 56, sind die etwa 7700 Kilometer aus dem fernen Miami im US-Bundesstaat Florida nach Hamburg gekommen.

Und doch ist es zumindest für Claus und Goeseke gewissermaßen ein Heimspiel. Der gebürtige Bremer Claus lebte lange in Hamburg, bevor er sich vor 20 Jahren von seinem Arbeitgeber Hellmann Worldwide Logistics der Liebe wegen nach Übersee versetzen ließ. Goeseke stammt aus Hamburg, der Immobilienmakler lebt aber schon seit 1981 in den USA.

Hier die Streckenkarte zum Download

Dort haben beide auch ihre Leidenschaft für den Radsport entdeckt. Wenn Claus nicht gerade dienstlich unterwegs ist, ist er meist auf seinem Fahrrad anzutreffen. Auf 300 Meilen Training (rund 480 Kilometer) kommt er wöchentlich. Goeseke bringt es auf 100 Meilen. Allemal genug, um die mittlere 100-Kilometer-Distanz bei den Cyclassics locker durchzustehen.

Ausländische Teilnehmer sind längst eine nennenswerte Größe im Feld der 22.000 Jedermänner und -frauen. Allein 546 Dänen sind in diesem Jahr am Start. Dazu kommen 204 Schweden, 65 Norweger, 52 Schweizer, 27 Niederländer, je 26 Briten und Österreicher, 19 Belgier, elf Polen, je zehn Tschechen und US-Amerikaner, neun Franzosen und vier Finnen. Aber auch viele Deutsche nehmen eine längere Anreise in Kauf. Nur etwa 46 Prozent der Cyclassics-Teilnehmer kommen aus der Metropolregion Hamburg.

Das Rennen ist ein wichtiger Motor für den Tourismus geworden. 11.500 Übernachtungen haben die Cyclassics der Stadt vor einem Jahr beschert, mehr als jede andere Sportveranstaltung. Der Haspa-Marathon bringt dem Hotelgewerbe als zweitgrößtes Ereignis etwa 7500 Übernachtungen ein. „Davon profitieren auch Kultureinrichtungen, Einzelhandel, Gastronomie und Verkehr“, sagt Hamburg-Tourismus-Geschäftsführer Thorsten Kausch.

300.000 Besucher aus dem Ausland

Die ausländischen Besucher der fünf großen Hamburger Sportveranstaltungen werden auf 300.000 geschätzt. Ihnen und den Millionen Fernsehzuschauern könne sich die Stadt laut Kausch als „weltoffene, begeisterungsfähige Stadt“ präsentieren: „Ein nicht zu unterschätzender Standortfaktor.“

Auch Claus, Subirana und Goeseke nutzen ihren Hamburg-Trip zu einem längeren Aufenthalt in der Stadt. Natürlich ist die Rennmaschine möglichst immer dabei, was in Europa vergleichsweise problemlos ist. In Amerika sei das Fahrrad als Verkehrsmittel immer noch unterentwickelt. „Von meinen 500 Kollegen bei General Electric in Boston bin ich einer von dreien, die mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren“, erzählt Subirana. Von den Autofahrern werde er eher als Hindernis wahrgenommen: „Man muss schon die richtigen Straßen nehmen, damit es nicht gefährlich ist.“

Eine gewisse Radsportbegeisterung aber kann Claus in seiner Wahlheimat inzwischen ausmachen: „Lance Armstrong hat den Sport populär gemacht. Jetzt ist er zwar als Dopingsünder tief gefallen, aber das Interesse ist geblieben.“ Es wird vor allem von den Clubs befriedigt. Armstrongs Rolle als Amerikas beliebtester Radfahrer habe inzwischen der Berliner Jens Voigt eingenommen, der sich auch oft bei Rennen in den USA zeigt. „Die Leute lieben seinen Kampfgeist“, sagt Claus.

Ausreißversuche, wie sie Voigt bei der Tour de France berühmt gemacht haben, werden die drei Gast-Starter am Sonntag nicht unternehmen. Sie wollen das Rennen gemeinsam zu Ende fahren und dafür nach Möglichkeit nicht mehr als drei Stunden benötigen, wobei sich jeder gleichermaßen an der Führungsarbeit beteiligen soll.

Die Cyclassics sind für das „Team Hellmann“ der erste gemeinsame Start. Er soll nicht der letzte bleiben. Für März ist die Reise zur Cape Argus Pick ’n Pay Cycle Tour in Kapstadt geplant, dem mit 37.000 Teilnehmern größten Radrennen der Welt. „Der Radsport“, sagt Goeseke, „ist für uns eine Möglichkeit, in der Welt herumzukommen.“

Die größte Herausforderung am Sonntag dürfte für die drei die Köhlbrandbrücke sein. Den Tourmalet wird sie nicht ganz ersetzen können. Dafür können die drei das Panorama aber ganz entspannt genießen.