Hamburg. French-Open-Finalist Dominik Thiem scheitert an einem Nobody. Später schied auch der letzte gesetzte Spieler im Feld aus.

Wahrscheinlich war es diese Einbürgerung, die Dominic Thiem zum Verhängnis wurde. In Ermangelung einheimischer Hoffnungsträger hatten sie dem Österreicher den Centre-Court am Rothenbaum schon als neues Wohnzimmer freigeräumt, den Topgesetzten der German Open zum neuen Lokalhelden gemacht, nachdem alle sieben gestarteten deutschen Profis das Viertelfinale verpasst hatten. Thiem hatte dankend angenommen, gern könne man ihn einbürgern, hatte er gesagt.

Und nun haben sie den Salat, der Weltranglistenachte sowie die Organisatoren und Tennisfans: Am späten Freitagnachmittag war Thiems Machtübernahme nach einer 6:7 (5:7), 6:7 (7:9)-Schlappe gegen den Chilenen Nicolás Jarry beendet, ohne dass sie richtig beginnen konnte.

„Ich war das ganze Match über zu defensiv und verhalten, habe ihn diktieren lassen. Das darf mir nicht passieren, und es ärgert mich mächtig“, sagte der als zweitbester Sandplatzspieler der Welt geltende 24-Jährige, der zumindest an diesem gebrauchten Freitag nicht der bessere Spieler war und deshalb verdient verlor. Seine Taktik, den 22 Jahre alten Weltranglisten-69. in Bewegung zu halten, um ihm nicht die Möglichkeit zu geben, seine delpotroesken Vorhände die Linien entlangzuschießen, ging nicht auf. Thiem spielte zu zögerlich, zu fehlerbehaftet. So konnte sich Jarry in den Tiebreaks aus 3:5- (erster Satz) und 3:6-Rückständen zum Matchgewinn retten.

Nicolás Jarry freut sich über seinen bislang größten Karriereerfolg
Nicolás Jarry freut sich über seinen bislang größten Karriereerfolg © dpa | Daniel Bockwoldt

„Ich habe versucht, mein Spiel durchzuziehen. Ich habe mental viel gearbeitet und glaube jetzt auch daran, dass ich die Besten schlagen kann“, sagte der Überraschungssieger, der in seiner Karriere bislang noch kein ATP-Turnier gewinnen konnte und in Hamburg der zweite Chilene nach Marcelo Ríos 1999 werden könnte, der sich zum Titel durchschlägt.

Zum Tennis kam Jarry, der mit Thiem erstmals einen Top-Ten-Spieler schlagen konnte, durch seinen Großvater Jaime Fillol, einen ehemaligen Weltklassespieler, der dem Enkel den ersten Schläger schenkte. Die Körperlänge von 198 Zentimetern, die seinen Aufschlag zur besten Waffe macht, legten ihm die Eltern in die Wiege, die beide professionelle Volleyballspieler waren. „Ich gebe zu, dass ich ihn nicht kannte. Aber er ist ein sehr interessanter Spieler, der abwechslungsreich und mit viel Power spielt“, sagte Turnierdirektor Michael Stich.

Im Halbfinale (15 Uhr) trifft Jarry auf den Georgier Nikolos Bassilaschwili (26/Nr. 81), der den letzten gesetzten Spieler im Feld, Pablo Carreño Busta (27/Spanien/Nr. 13), mit 7:6 (7:3), 6:4 besiegte.

Kovalik auf Mecirs Spuren

Auf die Effizienz seiner Grundschläge baut auch Jozef Kovalik. Der 25 Jahre alte Slowake, Nummer 113 der Welt, steht als Hamburg-Debütant erstmals bei einem Turnier der 500er-Serie (500 Weltranglistenpunkte für den Sieger) im Halbfinale. „Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet“, sagte Kovalik, der sich im Viertelfinale gegen den Brasilianer Thiago Monteiro (24/Nr. 146) mit 3:6, 6:3, 6:2 durchsetzte. Denselben Gegner hatte er im Qualifikationsfinale ebenfalls in drei Sätzen besiegt, anschließend war Monteiro nach der Absage des Franzosen Lucas Pouille als Lucky Loser ins Hauptfeld gerutscht. „Kovalik hat keine überragenden Gewinnschläge, aber ein sehr solides Allround-Game“, sagte Stich.

Rechtshänder Kovalik, der noch kein ATP-Turnier gewann, in dieser Saison jedoch zwei Finals und ein Halbfinale auf der zweitklassigen Challengertour spielte, will sich noch nicht damit beschäftigen, in Hamburg zwei Landsleuten nachfolgen zu können. 1985 gewann Miloslav Mecir (54) als erster Slowake am Rothenbaum, vor zwei Jahren siegte Martin Klizan (29), mit dem Kovalik schon gemeinsam Doppel spielte. „Natürlich wäre ich gern der dritte slowakische Sieger. Aber ich konzentriere mich nur auf die nächste Aufgabe“, sagt er.

Baby bringt Mayer Glück

Diese lautet: Leonardo Mayer. Der 31 Jahre alte Argentinier war nach seinem 6:3, 4:6, 6:3-Sieg über Landsmann Diego Schwartzman (25/Nr. 12) sprachlos – im wahrsten Sinn des Wortes. Weil der Weltranglisten-36. nur Spanisch spricht, interviewte Stadionsprecher Matthias Killing den Sieger nicht wie gewohnt direkt auf dem Centre-Court. „Es war ein großer Sieg in meiner Karriere, die Nummer elf der Welt zu schlagen. Ich hoffe, ich kann noch ein bisschen bleiben, mir gefällt es hier sehr gut“, ließ er stattdessen über die ATP übermitteln.

Mayer und Hamburg, das passt. Bereits 2014 und im vergangenen Jahr konnte der Hobby-Fischer am Rothenbaum gewinnen, es sind seine einzigen beiden Titel auf der ATP-Tour. Spätestens mit seinem Triumph im vergangenen Jahr, als er als Lucky Loser ins Hauptfeld rutschte, hatte der Titelverteidiger die Herzen der Hamburger erobert. Während der Siegerehrung schaukelte Mayer sichtlich gerührt sein erst sechs Monate altes Baby in den Armen. Auch in diesem Jahr ist Sohn Valentino gemeinsam mit Freundin Milagros Aventín wieder als Glücksbringer dabei.

„Leonardo scheint sich hier wirklich sehr wohlzufühlen. Er bietet ein tolles Gesamtpaket, spielt ein sehr elegantes und abwechslungsreiches Tennis“, sagte Stich, der einen dritten Erfolg Mayers für durchaus möglich hält. Was für ihn spricht: Trotz des Nachnamens hat er keine deutschen Wurzeln. Sieht also so aus, als ließe sich der sympathische Argentinier nicht aus seinem Wohnzimmer vertreiben.