Hamburg. Die Spielverzögerung zwischen den Punkten hat im Tennis durch Rituale der Profis zugenommen. Das soll sich jetzt ändern.

Der Griff zum Handtuch nach jedem gespielten Punkt – in der Sommerhitze am Rothenbaum ist er verständlich. Schließlich stört Schweiß im Gesicht oder am Schlägergriff den Tennisprofi, und bei Temperaturen von 40 Grad im Sonnenkessel Centre-Court ist es unmöglich, nicht ins Schwitzen zu geraten. Allerdings werden Gesichter und Hände heutzutage auch dann gewischt, wenn es gar nichts zum Trocknen gibt. Der Griff zum Handtuch, er ist auf der ATP-Tour eins der Rituale geworden, die die Zeit zwischen den Ballwechseln in die Länge zieht. Und da die künstliche Spielverzögerung mittlerweile viele Beobachter stört und dem Ziel entgegensteht, mit komprimierteren Matches TV-kompatibler zu werden, wird nun gegengesteuert.

Bei den US Open in New York (Start 27. August), dem vierten Grand-Slam-Turnier des Jahres, kommt erstmals die „Shot Clock“ zum Einsatz; eine Uhr, die die 25 Sekunden herunterzählt, die ein Spieler zwischen den Punkten hat, um sich zu erholen und neu zu fokussieren. Getestet wurde das System Ende vergangenen Jahres bei den „Next Generation“-Finals in Mailand. In New York wird nun erstmals für alle Zuschauer nachprüfbar angezeigt, ob der Stuhlschiedsrichter die 25-Sekunden-Regel konsequent umsetzt. Tut er das, muss er bei der ersten Überschreitung eine Warnung aussprechen, schon bei der zweiten wird ein Punktabzug fällig.

Nadal lehnt die Regelverschärfung ab

Das wäre zwar auch ohne die Shot Clock möglich, viele Spieler beklagen aber, dass die Referees bei den Topstars wie Rafael Nadal (32/Spanien) und Novak Djokovic (31/Serbien), die als größte Zeitverzögerer gelten, oft nachgiebig sind. „Wenn die 25 Sekunden für alle angezeigt werden, ist das nicht mehr möglich. Im Sinne der Gleichberechtigung ist es deshalb richtig, dass die Uhr eingeführt wird“, sagt Gilles Simon. Der 33 Jahre alte Franzose, der 2011 am Rothenbaum den Titel holte und in diesem Jahr in Runde eins scheiterte, war in der Spielervertretung der ATP sechs Jahre lang Vizepräsident. „Die Shot Clock wird genauso für mehr Fairness sorgen wie das Hawk-Eye“, glaubt er.

Kaum überraschend ist, dass Nadal der Regelverschärfung ablehnend gegenübersteht. „Das ist eine gute Nachricht für alle, die keine langen Ballwechsel wollen“, sagt der elfmalige French-Open-Champion, der vor jedem Punkt in einem festgelegten Ablauf sein Hemd zurechtzupft und die Haare aus dem Gesicht streicht – und damit Konkurrenz und Zuschauer ebenso nervt wie Djokovic, der vor jedem Aufschlag den Ball 15- bis 20-mal auftippt. Warum er sein Ritual braucht, kann Nadal indes einleuchtend erklären. „Die Ballwechsel sind so intensiv, dass ich Zeit brauche, um wieder durchzuatmen und mich für den nächsten Punkt zu erholen. 25 Sekunden reichen dafür oft nicht“, sagt er.

Die Frage, ob die Ballwechsel heute so viel intensiver geworden sind, dass die Spieler mehr Zeit zur Erholung brauchen, entzweit die Protagonisten. Fraglos ist Tennis heute deutlich athletischer als vor 20 Jahren, die Ballwechsel sind länger, weil mehr von der Grundlinie agiert wird. Die technische Weiterentwicklung der Schläger hat zwar zu einer Erhöhung der Spielgeschwindigkeit geführt, die jedoch durch längere Rallys und längere Pausen zwischen den Punkten egalisiert wird.

Stich hält die Rituale für eine Masche

Michael Stich (49), Wimbledonsieger von 1991 und seit 2009 Turnierdirektor am Rothenbaum, glaubt nicht, dass die Spieler heute mehr schwitzen als zu seiner Zeit. Wer sein Finale von 1993 gegen den Russen Andrej Tschesnokow sieht, in dem er am Rothenbaum als letzter Deutscher den Titel holte, dem fällt tatsächlich auf, wie viel schneller dort zwischen den Punkten agiert wurde. 3:12 Stunden dauerte das Match. „In der heutigen Generation wäre es 45 Minuten länger“, vermutet Stich, der die Rituale zwischen den Punkten eher für eine Masche wie das inzwischen weit verbreitete Stöhnen bei jedem Schlag hält, um den Gegner zu verwirren, als für eine Notwendigkeit, um sich körperlich zu erholen.

Tommy Haas stützt Stichs Standpunkt zumindest in Teilen. Der 40 Jahre alte Hamburger, der seine Karriere Anfang des Jahres offiziell beendet hat, ist als Berater des Franzosen Lucas Pouille (24/Nr. 19) tätig, der in Hamburg in diesem Jahr kurzfristig absagte. „Ich sage meinem Spieler auch, dass er sich so viel Zeit wie möglich nehmen soll, um sich wieder zu fokussieren. Man hat 25 Sekunden, warum soll man die nicht nutzen, auch wenn man körperlich nicht darauf angewiesen ist“, sagt er. Grundsätzlich sei Tennis heute aber deutlich belastender. „Deshalb glaube ich auch Rafa, dass er die Pause zur Erholung braucht“, sagt Haas.

Grundsätzlich werden Rituale zwischen den Punkten vorrangig genutzt, um sich neu zu fokussieren. „Viele Dinge wie der Griff zum Handtuch geschehen unterbewusst, weil sie zu einem ­Ablauf gehören, den sich die Spieler antrainiert haben“, sagt Haas. Auch Aberglaube spiele eine Rolle, manchmal auch praktische Überlegungen wie bei Philipp Kohlschreiber (34/Augsburg), der sich vor jedem Aufschlag drei Bälle geben lässt, die er eingehend prüft, um den besten herauszufiltern. Auch das kostet Zeit. Zeit, die in Zukunft streng limitiert wird. Ob Tennis dadurch attraktiver wird, bleibt abzuwarten.