Pyeongchang. Nach vielen Sorgen meldet sich der Biathlet mit Silber im Massenstart zurück – und nimmt den Sieger trotz Scharmützel in Schutz.

Auf die unvermeidliche Frage nach seiner Schuhgröße reagiert Simon Schempp verdammt schlagfertig: "Zwei Nummern zu klein." Die Lacher hatte er damit auf seiner Seite. Und auch er selbst wirkt nach dem verlorenen Zielsprint im Massenstart-Rennen alles andere als zerknirscht: "Das ist meine erste olympische Einzelmedaille. Ich bin wirklich glücklich damit", sagt er. Am Ende fehlten dem Schwaben im packenden Duell mit dem Franzosen Martin Fourcade 18 Tausendstelsekunden zu Gold – umgerechnet 14 Zentimeter. Auch die Bronzemedaille wurde auf der Zielgeraden verteilt. Im Zweikampf mit Emil Hegle Svendsen (Norwegen) unterlag Erik Lesser um Hundertstel.

Doch als Verlierer fühlte sich weder der Thüringer, und erst recht nicht Schempp. Als er und Fourcade kurz hinter der Ziellinie in den Schnee stürzten, schauten sie sich beide fragend an: "Er wusste auch nicht, wer vorne lag", beschreibt der Uhinger die ersten Momente nach einem an Spannung nicht zu überbietenden Wettbewerb. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis das "Fotofinish" auf der Videowand erlosch und der Top-Favorit zum Sieger erklärt wurde. Seine Teamkollegen nahmen Schempp trotzdem auf die Schultern und feierten ihn wie einen Champion.

Schempp erlebte eine Saison zum Vergessen

Sie wussten, welche Geschichte hinter diesem Erfolg steckt. Der amtierende Massenstart-Weltmeister erlebte eine Saison zum Vergessen. Nicht einmal schaffte er es in den Weltcups aufs Podium. Nur drei vierte Plätze standen bis gestern zu Buche. Seit Mitte Dezember plagte er sich mit akuten Problemen der Rückenmuskulatur herum. Die Veranstaltungen in Oberhof und Antholz musste er jeweils nach den Sprintrennen abbrechen, weil gar nichts mehr ging. "Ich konnte mich kaum bewegen; brauchte etwa eine Viertelstunde, bloß um mich umzuziehen", erinnert sich Schempp. Es folgten etliche Wochen des Hoffens und Bangens. Mit unzähligen Behandlungen versuchte der 29-Jährige, seine Beschwerden in den Griff zu kriegen. Mal ging es besser, dann wieder schlechter.

"Viele Leute haben ihren Urlaub geopfert, um mir zu helfen. Und ich kam gegenüber den mir nahe stehenden Menschen bestimmt nicht immer gut gelaunt rüber", sagt er zu dieser schwierigen Phase. Dennoch hätten sie ihm immer wieder Mut zugesprochen; selbst in Momenten, in denen die Zweifel die Zuversicht überlagerten. "Das war verdammt hart für den Kopf. Olympia rückt näher - und man selbst muss immer mehr Trainingseinheiten weglassen und verliert dadurch an Form. Trotzdem habe ich immer an meine Chance geglaubt", verrät Schempp. Die guten Platzierungen in den ersten olympischen Wettbewerben hätten ihn dann zusätzlich bestärkt (Sprint/7., Verfolgung/5.). Auch der Rücken hielt. "Der Massenstart ist eher ein taktisch geprägtes Rennen", erläutert der Uhinger. "Da läuft man nicht ständig im roten Bereich, eher im halbroten." Was ihm zugutekam. Zu dritt waren er, Lesser und Fourcade mit einem Vorsprung von mehr als 20 Sekunden auf die Verfolger zur finalen Schießprüfung gekommen. Niemand blieb fehlerfrei; Lesser verabschiedete sich nach zwei Patzern jedoch aus dem Goldrennen.

Fourcade schneidet Schempp den Weg ab

Geschichtsträchtig: Simon Schempp (l.) und Martin Fourcade beim Zieleinlauf in Pyeongchang
Geschichtsträchtig: Simon Schempp (l.) und Martin Fourcade beim Zieleinlauf in Pyeongchang © Getty Images

Dadurch kam es auf den letzten Metern zum schon häufig erlebten Kräftemessen zwischen dem Deutschen und dem Franzosen, das auch diesmal nicht ganz ohne Scharmützel verlief. Fourcade schnitt Schempp zu Beginn geschickt den Weg ab, so dass dieser einmal ausscheren musste. "Das hat mir sicher Speed gekostet", findet der Silber-Mann, "aber es war insgesamt regelkonform. Ich habe ja auch erst sehr spät meinen Zielkorridor gewählt." Wohl wissend, dass der Dominator der Szene nicht immer mit fairen Mitteln kämpft. "Wäre es noch fünf Meter weitergegangen, hätte es vielleicht gereicht." Aber auf diese Diskussionen wollte sich im deutschen Team niemand einlassen. Co-Trainer Andi Stitzl sprach von einem "Rennen, das in die Geschichte eingehen wird". Sein Chef, Mark Kirchner, lobte das "überragende Mannschaftsergebnis". Benedikt Doll als Fünfter und Arnd Peiffer als 13. rundeten den Klasse-Auftritt der deutschen Biathlon-Männer ab.

In den vier olympischen Einzelwettkämpfen holten sie dreimal Edelmetall und zeigten sich gewappnet für das prestigeträchtige Staffelrennen am Freitag. "Norwegen oder wir", sagt Erik Lesser zur Favoritenrolle und fügt schelmisch grinsend hinzu: "Wir wollen besser abschneiden als in Sotschi."

Damals gab es Silber.