Rio de Janeiro. Der Berliner Patrick Hausding verhindert mit seinem größten Einzelerfolg die Nullnummer des Deutschen Schwimm-Verbandes.

Wie lange es wohl her sei, dass ein deutscher Wasserspringer im Einzel eine olympische Medaille vom Drei-Meter-Brett gewonnen hat, wurde Patrick Hausding gefragt. Ihm war dies soeben im Aquatic Center Maria Lenk von Rio de Janeiro geglückt. Hinter dem Chinesen Cao Yuan und dem Briten Jack Laugher hatte er Bronze geholt.

„Keine Ahnung“, sagte der Berliner, „aber bestimmt 30 Jahre, oder?“ Sogar viel länger, er hatte gerade eine 104 Jahre währende Durststrecke beendet. 1912 siegte in Göteborg ein gewisser Paul Günther. Auch die Plätze zwei und drei belegten damals Deutsche.

Nun also der 27-jährige deutsche Vorspringer. „Es war geil“, sagte er zu-sammenfassend über seinen Wettkampf und das ganze Drumherum. Seine Aufholjagd nach einem wieder mal verpatzten Auftaktsprung im Finale. Sein viereinhalbfacher Salto gehockt im fünften Durchgang, der ihm die Tageshöchstnote von 98,80 Punkten einbrachte, die Konkurrenz schockte und ihn auf Rang drei katapultierte.

Fangruppe mit Lena Schöneborn

Die lautstarke Fangruppe auf der Tribüne, zu der neben seiner Freundin Alexandra Swiridenko und seinen Teammitgliedern auch Fünfkampf-Olympiasiegerin Lena Schöneborn und Ruder-Olympiasieger Karl Schulze gehörten. Obwohl er davon gar nicht so viel mitbekam, wie er sagte. Denn Hausding steckte in seinem ganz persönlichen Tunnel. Nach jedem seiner Sprünge setzte er sich Kopfhörer auf und hörte Musik, um von nichts abgelenkt zu werden.

Nach vierten Plätzen im Synchron-springen vom Turm mit Sascha Klein und vom Drei-Meter-Brett mit Stephan Feck hatte er genug von Blech. „Zwei-mal Vierter, einmal Dritter, das ist ein überragendes Ergebnis für mich“, sagte Hausding. Aber eben erst richtig gut dadurch, dass es auch mit der Medaille klappte. Sie war sein Ziel gewesen, als er nach Rio aufbrach, „egal welche Far-be, egal welcher Wettbewerb“.

Den schwersten und längsten hat er sich nun ausgesucht. Beinahe wäre er im Halbfinale ausgeschieden, das er als Zehnter knapp überstand. Andere waren tatsächlich vorzeitig draußen: He Chao aus China, der Weltmeister. Ilja Sacharow aus Russland, der Olympiasieger von London. Matthieu Rosset aus Frankreich, der Europameister. Es war Hausdings große Chance.

15.000 Sprünge im Jahr

Er hat sie genutzt. Und er hat sich endlich in einem großen Einzelwettkampf für seine vielen Mühen belohnt. Bis zu 500 Mal dreht er sich an einem Trainingstag um seine Achse, hat er mal ausgerechnet. 15.000 Sprünge absolviert er im Jahr. Natürlich nur, wenn Hausding auch gesund ist, und das ist er nicht so oft, wie er sich wünschen würde. Vor Rio quälten ihn Schmerzen in Schulter und Knie. Eine Woche konnte er gar nicht üben, eine Katastrophe in der entscheidenden Vorbereitungsphase. „So wenig, wie ich trainieren konnte, bin ich sehr zufrieden mit meiner Leistung“, sagte er, „ich habe einen guten Wettkampf abgeliefert.“

Nicht nur er sah das so. „Patrick ist einer der weltbesten Springer“, lobte Chef-Bundestrainer Lutz Buschkow, „er kann elegant und er kann schwierig springen. Nervenstark ist er auch.“ Diesmal brachte der Berliner all diese Stärken auf den Punkt vom Brett ins Wasser. Und half damit auch dem Deutschen Schwimm-Verband, zu dem die Springer gehören.

Hausding bewahrte den DSV davor, ohne jeden greifbaren Erfolg aus Rio heimreisen zu müssen. „Mir ist kein Stein vom Herzen gefallen“, gestand Buschkow, „sondern ein Felsen. Ich bin erleichtert, dass wir damit wenigstens bei den Springern die Zielvereinbarung erfüllt haben.“ Freiwasser- und Beckenschwimmer gingen völlig leer aus.

„Es war auch mal an der Zeit“

Das wird für Hausding nicht mehr als ein Nebenaspekt sein. Er hat die erste olympische Medaille für das deutsche Team gewonnen seit acht Jahren, als er mit Klein in Peking Silber vom Turm holte. Die erste im Einzel, seit Dörte Lindner 2000 in Sydney Bronze vom Turm gewann.

„Es war auch mal an der Zeit“, sagte Hausding, der bereits 26 EM-Medaillen gewonnen hat, davon drei goldene im Einzel vom Drei-Meter-Brett. Er wolle jetzt noch ein paar Dinge erledigen. „Erst mal nehme ich mir Zeit für euch, danach muss ich ein bisschen Pipi abgeben, und danach werde ich vorsichtig mein Handy anmachen. Es wird dann sicher explodieren. Und dann“, schloss er lächelnd, „gehen wir bestimmt ein bisschen feiern im Deutschen Haus.“

Beim – üblichen – Glückwunsch an Berlins Medaillengewinner gab es dabei einen Fauxpas. Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller (SPD) schrieb in einer Pressemitteilung: „Coolness, Routine und das harte Training haben sich am Ende ausgezahlt, und Patrick Bahners hat sich Bronze erkämpft.“ Bahners war ehemaliger Feuilleton-Chef der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. Das Landespresseamt bemerkte schnell die Verwechslung und korrigierte die Mitteilung. Doch da wurde sie schon in den sozialen Netzwerken geteilt