Die Olympischen Winterspiele in Sotschi sind beendet. IOC-Präsident Thomas Bach hat bei seiner Feuertaufe in Sotschi bekommen, was er wollte: Spiele für die Athleten. Für angebrachte Kritik am Gastgeber fehlten ihm Wille oder Mut.

Sotschi. Als Thomas Bach am Ende seiner ersten Olympischen Spiele als IOC-Präsident in seiner pathetischen Schlussfeier-Rede Bilanz zog, überschlug er sich fast vor Lob. „Die russische Regierung, das Organisationskomitee, das Russische NOK, die IOC-Mitglieder in Russland und alle Leute aus Sotschi und Russland verdienen unsere tiefe Dankbarkeit“, sagte Bach und schwärmte: „Wir gehen als Freunde des russischen Volkes.“

Der erste deutsche IOC-Präsident hat bei seiner Feuertaufe das bekommen, was er wollte: Es waren die Spiele „für die Athleten“, die er sich so sehnlich gewünscht hatte. Für angebrachte Kritik an den Gastgebern fehlte ihm während der Schlussfeier, als Wladimir Putin lächelnd in der Ehrenloge saß, wie schon in den 16 Tagen zuvor der Wille - oder der Mut.

Die Aktivistinnen der Punkband Pussy Riot wurden in Sotschi von Sicherheitskräften vor laufenden Kameras geschlagen. Der Umweltaktivist und Sotschi-Kritiker Jewgeni Witischko wurde während der Spiele zu drei Jahren Lagerhaft verurteilt und ist mittlerweile in einen Hungerstreik getreten. Auch der deutsche Innenminister Thomas de Maizière kritisierte während seines Sotschi-Besuches das Strafmaß als „ziemlich unverhältnismäßig“ - Bach sagte: nichts. Er ließ seinen Sprecher beide Fälle abhaken, weil sie angeblich „nichts mit den Spielen“ zu tun hatten.

„Keine einzige Beschwerde“

Bach trat in der zweiten Woche der Spiele, abgesehen von der Schlussfeier, nur noch wenig in den Vordergrund, sondern eilte von Entscheidung zu Entscheidung. Der Fecht-Olympiasieger blieb dort, wo er sich am wohlsten fühlte: im Kreise seiner Athleten. „Die Athleten haben die Spiele genossen“, sagte er bei seiner letzten Pressekonfernz wenige Stunden vor der Abschlussfeier, wertete seine Aussage umgehend als zu schwach und korrigierte sich: Die Athleten hätten die Verhältnisse bei den Spielen „geliebt“, er habe „keine einzige Beschwerde“ gehört.

Kritik im Zusammenhang mit der Sportstätten gab es in der Tat kaum. Mit der höchst umstritten Entscheidung, die norwegischen Ski-Langläuferinnen für das Tragen von Trauerflor zu rügen, brachte das IOC allerdings eine ganze Wintersportnation gegen sich auf und sorgte weltweit für Kopfschütteln. Auch an den Verhältnissen in Russland gab es deutliche Kritik.

Skispringerin Daniela Iraschko-Stolz etwa, in Sotschi Zweite hinter Carina Vogt, hatte sich beschwert: öffentlich und eindringlich. Sie rief damit auch Wladimir Putins Anti-Homosexuellen-Gesetz, die Umweltsünden, die Umsiedlungen und die Zwangsarbeit in Erinnerung. Die Österreicherin ermahnte das IOC, bei der Auswahl des Gastgeberlandes der Olympischen Spiele „mehr auf Menschenrechte und die Gesetzgebung“ zu achten. Die Vergabe der Spiele an Sotschi sei „nicht die beste Idee“ gewesen, sagte Iraschko-Stolz, die mit einer Frau verheiratet ist.

Den Einfluss von Kreml-Chef Putin auf die Winterspiele in Sotschi schätzte Bach selbst als unproblematisch ein. Auf die Frage, ob er durch die Allianz mit Putin einen Schaden für das IOC und die olympische Bewegung fürchte, antwortete Bach wie so häufig nicht konkret, aber dennoch vielsagend: Bei Großereignissen könnten ein Land und seine politische Führung, „hoffentlich vom Erfolg dieses Ereignisses profitieren.“ Dass Politiker derartige Events zur Imagepflege nutzten, sei ein „legitimes Interesse“.

Bach kritisierte Putin nicht, sondern lobte seinen großen Anteil an der Organisation der Spiele. „Wenn das nicht der Fall gewesen wäre, hätte es hier in Sotschi wohl anders ausgesehen, er war entscheidend beteiligt am großen Erfolg der Spiele.“ Die gewaltigen Kosten der teursten Olympischen Spiele der Geschichte - mit allen infrastrukturellen Maßnahmen kosteten sie etwa 40 Milliarden Euro - rechtfertigte Bach in Sotschi mit bemerkenswerter Ausdauer. Die operativen Kosten lägen schließlich im Rahmen derer von Vancouver 2010.

Seine Feuertaufe hat Bach hinter sich gebracht, nun will er sich an die Umsetzung seiner „Agenda 2020“ machen. Unter anderem die Vergabekriterien für Olympische Spiele will er verändern, ein TV-Kanal für olympische Wettbewerbe für die Zeit zwischen den Spielen soll kommen. Erste Entscheidungen werden im Dezember erwartet.

Und Bach hegt eine Hoffnung. „Wir können nur eine Botschaft senden, wie eine Gesellschaft aussehen soll und Menschen friedlich zusammenleben ohne jegliche Diskriminierung. Das ist unsere Mission, und ich werde nicht müde, sie jedem immer wieder zu erklären“, sagte er und äußerte den Wunsch: „Ich hoffe, die Menschen werden unsere Mission mal besser verstehen.“

„Unsere Spiele waren wirklich cool“

Sotschis OK-Chef Dmitri Tschernyschenko stellte nach 98 Entscheidungen zufrieden fest: „Unsere Spiele waren wirklich cool. Wir haben bewiesen, dass wir jede Herausforderung meistern können. Für uns waren es die besten Spiele, die es je gegeben hat. Wir haben den olympischen Gipfel erklommen. Diese Spiele gehören für immer uns.“

Gleich zum Auftakt der vom Schweizer Theaterregisseur Daniele Finzi Pasca inszenierten Abschluss-Zeremonie bewiesen die Gastgeber Humor. 700 Mitwirkende in Glitzerkostümen stellten die Panne bei der Eröffnung nach, als sich der fünfte Ring zunächst nicht geöffnet hatte. Dies zauberte auch Putin ein Lächeln ins Gesicht. Der Kreml-Chef wirkte, anders als vor 16 Tagen, sichtlich zufrieden und glücklich.

Kein Wunder, stellte der Gastgeber mit 33 Medaillen (13-11-9) doch die stärkste Nation bei den Sotschi-Spielen. Zur Belohnung durften alle Olympiasieger die russische Fahne in das voll besetzte Fischt-Stadion tragen, wo 40.000 Zuschauern anschließend ergriffen der von einem Kinderchor und 1000 Stimmen intonierten Nationalhymne lauschten.

Und dann kam auch schon der große Auftritt für Rodel-König Felix Loch. Mit der deutschen Fahne in der Hand lief er in den Innenraum. Für den Bayern war dies der Lohn für seine zwei Gold-Fuhren im Bob- und Rodelzentrum Sanki, durch die er zum dreimaligen Olympiasieger avancierte. „Gleich geht’s los und ich bin fast nervöser als bei meinem Rennen! I gfrei mi drauf!“, twitterte Loch kurz vor dem Einmarsch.

Wenig später folgten zu Techno-Pop-Klängen die Teams. Unter tosendem Applaus beschlossen Russlands Olympia-Helden den Athletenreigen. Da riss es sogar Putin aus seinem Sitz. Und auch die deutschen Sportler waren begeistert. „Atemberaubend amazing“, schrieb Snowboarderin Isabella Laböck. Und Eisschnellläufer Alexej Baumgärtner stellte fest: „Wenn das nicht mega ist!!!“

Einen emotionalen Höhepunkt erlebte auch Norwegens Ski-Königin Marit Björgen, die aus den Händen von IOC-Boss Thomas Bach die Goldmedaille für den Triumph über 30 Kilometer erhielt. Als Russlands Langläufer um 50-Kilometer-Champion Alexander Legkow geehrt und von den Zuschauern mit Helden-Rufen gefeiert wurden, bebte die Arena.

Zeit zum Durchatmen gab es bei der folgenden Choreographie. Sie mutete wie ein großes Gemälde von Marc Chagall an und von Rachmaninows Klavierkonzert Nr. 2, das Jungstar Denis Mazujew vortrug, musikalisch eingerahmt. Auch die großen Schriftsteller Russlands wurden gewürdigt: Tolstoi, Dostojewski, Puschkin und endlich auch Solschenizyn, der bei der Eröffnung noch gefehlt hatte.

Nach einer opulenten Zirkusnummer zu einem Potpourri aus den größten Hits der russischen Klassik übernahm Lee Seok-Rae, Bürgermeister des nächsten Winter-Olympia-Gastgebers Pyeongchang, die Fahne mit den Fünf Ringen.

Nach Ansicht Bachs liegt die Messlatte in vier Jahren hoch. „Unsere Gastgeber hatten versprochen: Exzellente Sportstätten, herausragende olympische Dörfer und eine tadellose Organisation. Heute können wir sagen: Russland hat alle seine Versprechen gehalten.“

Einen persönlichen Dank richtete der deutsche Top-Funktionär an Putin und verabschiedete sich mit den Worten: „Wir kamen mit großem Respekt vor der reichen und vielschichtigen Geschichte Russland. Wir gehen als Freunde des russischen Volkes.“