Sie war die große Favoritin beim 500-Meter-Rennen der Damen. Doch die Berlinerin Jenny Wolf verpasste Gold haarscharf und wurde Zweite.

Richmond/Vancouver. Jenny Wolf streckte demonstrativ die Arme in die Höhe, aber ein Lächeln wollte ihr zunächst nicht über ihr Gesicht huschen. Das gelang ihr erst später, als sie mit der Deutschlandfahne in den Händen ins Publikum winkte. Die 31 Jahre alte Berliner Eisschnellläuferin hat sich ihren Traum vom Olympiasieg über 500 Meter nicht erfüllen können. Die viermalige Weltmeisterin und Weltrekordlerin gewann zwar im Olympic Oval von Richmond den zweiten Lauf gegen die 20-jährige Lee Sang-Hwa mit einer Hundertstelsekunde Vorsprung, weil sie aber im ersten Durchgang sechs Hundertstel später als die Koreanerin ins Ziel glitt, blieb ihr nur Silber. Wie immer war Jenny Wolf auf den ersten hundert Metern die Schnellste, im ersten wie im zweiten Lauf, aber Lee flog jeweils schneller durch die beiden Kurven, holte zweimal Schritt um Schritt auf. Am Ende fehlte Wolf ein Wimpernschlag, fünf Hundertstel.

In diesen ersten Momenten nach Erklärungen für die Niederlage zu suchen, kann immer nur eine vage Annäherung an mögliche Ursachen sein. Eine gewisse Anspannung hatte Jenny Wolf in den vergangenen Tagen dann doch gefühlt. „Es beginnt zu kribbeln“, sagte sie am Vorabend des Wettbewerbs. „Das ist prinzipiell ein gutes Zeichen, dann schießt noch ein bisschen mehr Adrenalin in die Adern.“ Rund eine Stunde vor ihrem ersten Lauf hatte sie im Olympic Oval von Richmond mit dem Warmmachen begonnen. Locker trabte sie durch den Innenraum des Eisovals, die Augen geradeaus, doch der Blick schien ins Innere gerichtet. Sich selbst ein letztes Mal klarmachen, das man alles getan habe für den wichtigsten Moment der Karriere, um aus dieser Gewissheit die nötige Lockerheit ziehen, das hatte sie sich vorgenommen. Es sollte nicht ganz klappen. Sport auf diesem Niveau ist immer auch eine Sache des Kopfes. Und der ist stets geneigt, in den letzten Minuten vor dem Startschuss Zweifel anzumelden. Die gilt es zu verscheuchen wie böse Geister.

Die Rolle als Favoriten hatte sie sich selbst aufgelegt. Ungewollt am Anfang, eine flapsige Bemerkung in einem Interview, dann hatte sie diese Bürde bewusst angenommen, um daraus Stärke zu ziehen. „Ich bin die Beste, ich bin die Schnellste, also gewinne ich“, sagte sie sich und anderen. Das kam positiv an. Kein Versteckspiel, wie es die Chinesin Wang Beixing, eine von Wolfs zwei größten Konkurrentinnen betrieb. Die traf erst am Vortag in Vancouver ein. Zugegeben, sie hatte es auch nicht weit. Wang wohnt seit Jahren in Calgary, 70 Flugminuten von Vancouver entfernt. Das Poker zahlte sich nicht aus. Wang wurde Dritte, nur Dritte. Aber auch Wolf musste am Ende des Tages mit der Enttäuschung leben, das gesteckte Ziel verfehlt zu haben. Den Druck, den sich auferlegt hatte, mag doch ein wenig zu groß gewesen sein.