Nach zahlreichen Verletzungen startet Europameister Sebastian Bayer vom HSV in die heutige Qualifikation bei den olympischen Spielen.

London. Die Wettervorhersage für heute Abend wird sich Sebastian Bayer nicht anschauen. Er kann die äußeren Bedingungen ja doch nicht beeinflussen, die um 20.50 Uhr im Olympiastadion von London herrschen, wenn die Qualifikation für das Weitsprungfinale am Sonnabend beginnt. Und er glaubt, dass er auf alles vorbereitet ist, auch auf Regen. Bayer hat diese Variante durchgespielt, im Training, aber auch im Kopf. Der Heidelberger Sportpsychologe Hans Eberspächer hat dem Europameister vom Hamburger SV dabei geholfen, die Angst zu besiegen.

2005 ist Bayer bei der Junioren-EM im polnischen Bydgoszcz auf dem nassen Balken ausgerutscht. Beim Absprung sind drei Mittelfußknochen gebrochen, ein Band durch- und eines angerissen. Seither weiß Bayer, dass Gesundheit sein wichtigstes Kapital ist. Es müssen schon außergewöhnliche Anlässe sein, damit er es aufs Spiel setzt. Olympische Spiele zum Beispiel.

Bayer, 26, ist "guter Dinge, dass ich hier einen guten Job machen kann". Die sogenannten Zubringerleistungen sind besser als je zuvor, besser sogar als vor drei Jahren, als es ihn auf 8,49 Meter trug und er bei der Hallen-EM mit 8,71 Meter einen Europarekord aufstellte. Der Hamburger Bundestrainer Uwe Florczak, der Bayer seit dem vergangenen Jahr auch persönlich betreut, hat vor allem an der Anlaufgeschwindigkeit gearbeitet. Etwa 0,4 Meter pro Sekunde hatte Bayer seit 2009 eingebüßt, in Weite hochgerechnet entspricht das etwa 30 Zentimetern. Bei den abschließenden Olympiatests im Bundesleistungszentrum Kienbaum reichte Bayer Anfang der Woche wieder an seinen früheren Bestwert von 10,8 Metern pro Sekunde heran. An Maximalkraft hat er sogar zugelegt. Sie soll kompensieren, dass Florczak die Mehrfachsprünge auf einem Bein weitgehend aus dem Trainingsprogramm gestrichen hat, um die Belastung zu reduzieren.

Offenbar hat sich die Vorsicht ausgezahlt. Bayer ist erstmals seit vielen Jahren ohne Verletzung durch eine Saison gekommen. Er sagt: "2012 war perfekt." Vor einem Monat wurde er in Helsinki erstmals Europameister im Freien. Mit seinem Goldsprung auf 8,34 Meter wird er auf Platz drei der Weltjahresbestenliste geführt. Nur der Brite Greg Rutherford und der Russe Sergej Morgunow sind noch einen Zentimeter weiter gesprungen.

+++ Storl kann für Traumstart sorgen +++

Bayer gehört zu denen, an die der deutsche Sportdirektor Thomas Kurschilgen denkt, wenn er vor dem Start der Leichtathletikwettbewerbe sagt: "Wir wollen hier in der absoluten Weltspitze mitmischen und besser abschneiden als in Athen und Peking zusammen." 2004 beschränkte sich die Medaillenausbeute auf zwei silberne, 2008 gar nur auf eine bronzene. Für London verspricht Kurschilgen "mindestens einen Olympiasieger".

Im Weitsprung kämen dafür gleich zwei Athleten infrage. Der Ludwigshafener Christian Reif meldet seine Ansprüche deutlich an: "Ich will eine Medaille. Das ist zwar ambitioniert, aber alles andere wäre tiefgestapelt." Es sei kein Konkurrent am Start, der so weit springe, wie er es sich nicht auch zutrauen würde. Reif, 27, ist Ende Mai in Weinheim immerhin bereits 8,26 Meter gesprungen.

Schon damals machte ihm die Achillessehne zu schaffen. Den Europameistertitel musste er kampflos an Bayer abtreten. Sein Trainer Ulrich Knapp versichert aber, dass Reif damit nicht gehadert habe: "Ich hatte von Saisonbeginn an das Gefühl, dass für ihn nur dieser eine Wettkampf hier zählt." Vielleicht sei Reif die Zwangspause nicht einmal ungelegen gekommen, um sich nicht von dem großen Ziel ablenken zu lassen. Die Spiele hätten allerdings auch keine zehn Tage früher beginnen dürfen: "Die Entzündung war schon bedenklich." Selbst beim Gehen habe sie Schmerzen verursacht.

Wie es ihm jetzt gehe? Reif lächelt, dann sagt er: "Wenn ich die Ziele so ambitioniert stelle, dann muss es mir gut gehen. Und mir geht es gut, vor allem mental." Ganze vier Wettkampfsprünge hat er in dieser Saison gemacht, einen in Weinheim, drei Anfang Juni in Bad Langensalza. Eine viel schlechtere Vorbereitung könne man gar nicht haben. "Aber so unsicher, wie man vermuten könnte, fühle ich mich gar nicht." Nein, er schöpfe aus seinen beiden Wettkämpfen sogar sehr viel Kraft und Selbstvertrauen.

Auch in Bad Langensalza gelang Reif mit 8,21 Meter ein Weltklassesprung. Es regnete ununterbrochen, aber das habe ihm nichts ausgemacht: "Über das Wetter denke ich gar nicht nach." Dann tut er es doch und sagt, dass ihm Regen in London sogar ganz gelegen käme, weil er weiß, dass sich andere damit schwertun.

Bayer belegte in Bad Langensalza mit 7,87 Meter den fünften Platz. Er war vorsichtshalber weit vor dem Brett abgesprungen. Heute würde er die Verletzungsgefahr ausblenden und das Risiko in Kauf nehmen. Es soll abends übrigens trocken bleiben.