Mit Absicht verlieren - dürfen Olympia-Sportler das? Der Modus erleichtert solche Manipulationen immer wieder.

Die Olympischen Spiele in London haben ihren ersten Skandal. Das Überraschende dabei: Es war diesmal kein Doping. Vier Badminton-Doppel, zwei aus Südkorea, je eins aus China und Indonesien, wurden vom Turnier ausgeschlossen , weil sie ihr letztes Vorrundenspiel absichtlich verloren oder die Absicht hatten, dies zu tun. Hintergrund des fehlenden Siegeswillens: Die vier Paare erhofften sich leichtere Gegner in der anschließenden K.-o.-Runde. Die Bestrafung erfolgte zumindest aus einem Grund zu Recht. Die acht Asiaten dokumentierten auf dem Spielfeld mit Aufschlägen ins Aus oder ins Netz ihr Vorhaben derart dreist, dass sich die Zuschauer um ihr teures Eintrittsgeld geprellt fühlen mussten. Das erfüllt ohne Frage den Tatbestand des Betrugs.

Über alles andere ließe sich dagegen trefflich streiten, auch wenn sich Pierre de Coubertin, der Gründer der Olympischen Spiele der Neuzeit, diese Diskussion verbieten würde. Er hatte die Vorstellung, es sei für jeden Sportler bei Olympia "eine Ehrenverpflichtung, sein Bestes zu geben", schrieb der Franzose - Anfang des 20. Jahrhunderts. Aus diesem Plädoyer entstand 1920 der olympische Eid, den seit nun 92 Jahren Athleten des gastgebenden Landes bei der Eröffnungsfeier feierlich schwören.

In diesen 92 Jahren hat sich bei den Spielen manches verändert. Sie sind zum Beispiel nicht mehr allein Amateuren vorbehalten, längst wetteifern Multimillionäre um werbeträchtiges olympisches Gold. Dass sich damit auch ethische und moralische Koordinaten verschoben haben, mag man beklagen, in einer Welt aber, in der laut Bertolt Brecht Fressen vor der Moral kommt und der Zweck immer öfter die Mittel heiligt, sind das wohl die üblichen Kollateralschäden. In den vergangenen Jahren haben einzelne Sportler und ganze Mannschaften wiederholt Niederlagen bewusst herbeigeführt. Dahinter steckten dann meist mafiöse Strukturen von Wettkartellen, die sich von Favoritenstürzen maximale Gewinnquoten erhofften. Der Fußball war und ist davon weltweit am stärksten betroffen.

Im Fall der olympischen Badminton-Doppel waren sicherlich keine kommerziellen Überlegungen im üblen Spiel, nur sportliche. Und die sind uns Deutschen nicht unbekannt.

1954 ließ Fußball-Bundestrainer Sepp Herberger in der Vorrunde seine B-Mannschaft gegen Ungarn 3:8 verlieren, um Kräfte für das später 7:2 gewonnene Entscheidungsspiel gegen die Türkei zu schonen. Das Publikum pfiff die deutsche Elf aus, nach dem "Wunder von Bern", dem finalen 3:2 über Ungarn, wurde Herberger überall als Taktikfuchs gefeiert. Oder erinnern wir uns an die "Schande von Gijon" 1982, als die Deutschen gegen Österreich nach ihrer 1:0-Führung - wie ihr Gegner - das Fußballspielen einstellten, weil beiden Teams genau dieses Ergebnis zum Weiterkommen im WM-Turnier reichte, und Algerien tatenlos zusehen und ausscheiden musste.

Manipulationen dieser Art geschehen im Sport viel öfter, als wir sie wahrhaben wollen oder bemerken, und stets dort, wo der Austragungsmodus diese zulässt; vornehmlich bei Gruppenspielen, in denen für die frühzeitig Qualifizierten die letzte Begegnung zur lästigen, da unnötig kräftezehrenden Pflicht wird.

Gruppenspiele - etwa bei der Fußball-Champions-League - wurden statt eines K.-o.-Systems eingeführt, um aus einer größeren Anzahl von Spielen den größtmöglichen Profit aus dem Wettbewerb abzugreifen. Dass sich die Interessen der Veranstalter nicht unbedingt mit denen der Sportler oder der Vereine decken, wird dabei offenbar billigend in Kauf genommen. Wenn daraus wiederum Vereine und Sportler Konsequenzen für ihre Tunierstrategien ziehen, kann ihnen das schwerlich verübelt werden.

Der Weg ist bei Olympia oder anderswo längst nicht mehr das Ziel. Das Ziel ist das Ziel. Die Verbände sollten diesen Wandel zur Kenntnis nehmen. Sonst ist der nächste Skandal nicht mehr weit.