HSV-Handballer können schon am 20. April beim THW Kiel zum ersten Mal deutscher Meister werden. Noch gibt es keine Planungen für die Titelfeier.

Hamburg. Vor ein paar Tagen, am Abend vor dem Champions-League-Sieg im spanischen Valladolid, stellte sich Stefan Schröder, der meist gut gelaunte Rechtsaußen der HSV-Handballer, die Frage, die er sich eigentlich gar nicht stellen darf, weil er sich auf das nächste Spiel - und eben allein auf das - zu konzentrieren hat: "Können wir schon am 20. April in Kiel deutscher Meister werden?"

Yes they can!

Nach dem Sieg der Hamburger in Flensburg und der Heimniederlage der Kieler gegen die Rhein-Neckar Löwen muss bei acht Punkten Vorsprung auf die Verfolger niemand mehr beim Bundesliga-Tabellenführer HSV rechnen, ob der Verein zum ersten Mal deutscher Handball-Meister wird, nur noch, wann. In zwölf Tagen wäre in Kiel theoretisch die erste Möglichkeit dazu. Voraussetzung wären ein Punktverlust des THW am Sonnabend in Wetzlar oder am Dienstag in Lemgo und eine Niederlage der Rhein-Neckar Löwen am Sonnabend gegen Flensburg sowie Siege des HSV am Sonntag in der fast ausverkauften O2 World gegen Großwallstadt (17.30 Uhr, Sport1 live) und am übernächsten Mittwoch in Kiel. Das klingt kompliziert. Wahrscheinlicher sind andere Szenarien - schließlich fehlen sieben Punkte bis zum Glück. Spätestens aber beim letzten Heimspiel gegen den TBV Lemgo (27. Mai oder 1. Juni) sollte gejubelt werden dürfen. Eine Meisterfeier hat der HSV trotz der jüngsten Entwicklung in der Bundesliga noch nicht geplant. "Das tut man erst, wenn man den Titel auch hat", sagt HSV-Prokurist Christoph Wendt. Allerdings: Der Rathausbalkon ist für Sonntag, den 5. Juni, den Morgen nach dem letzten Spieltag in Balingen, bereits reserviert, Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hat den Termin in seinem Kalender notiert.

Es ist nicht nur die komfortable Tabellenführung, die keinen Zweifel am finalen Triumph mehr aufkommen lässt, es ist diese Art, wie sich die Mannschaft seit Wochen präsentiert: stabil und selbstbewusst. "Was uns im Moment stark auszeichnet, ist eine enorme Ruhe und Geradlinigkeit. Wir haben auf jeden Rückschlag eine Antwort parat", sagt Johannes Bitter. "In Flensburg hat man es wieder gesehen, dass wir nach jedem Gegentor nach vorne rennen und sofort wieder zu einer guten Aktion fähig sind. Das killt jeden Gegner irgendwann."

Bitter, 28, ist einer dieser Garanten des HSV-Erfolgs. Mit konstanten Fangquoten um die 40 Prozent übt der Nationaltorhüter im vorübergehenden Ruhestand jenen Rück-Halt aus, der den Unterschied zwischen einer guten und einer sehr guten Mannschaft ausmacht. Nicht zufällig haben die überraschenden Heimpleiten der Kieler, sie verloren jetzt zum ersten Mal seit 1978 zwei Heimspiele in Folge, auch mit der Formkrise ihres Torstehers zu tun, des französischen Olympiasiegers, Welt- und Europameisters Thierry Omeyer. "Ein überragender Torhüter", sagt HSV-Trainer Martin Schwalb, "ist im Handball nun mal die halbe Miete."

Für die andere Hälfte sorgten zuletzt die beiden Kroaten Igor Vori, 30, und Domagoj "Dule" Duvnjak, 22, der Ältere Kreisläufer, groß und bullig, der Jüngere Spielmacher und Abwehrchef, dynamisch und durchsetzungsstark. Ihre Wurfquote betrug in Flensburg - wie öfter zuvor - 100 Prozent, ihr Zusammenspiel reißt momentan jede Deckung auseinander. "Wir verstehen uns fast blind", schwärmt Vori.

Noch im vergangenen Jahr, nach dem knapp verpassten Titelgewinn, plagten HSV-Präsident Andreas Rudolph Bedenken, ob der Verein denn überhaupt die richtigen, körperlich und nervlich robusten Spieler für den Meisterschaftskampf verpflichtet habe. Er hat. "Meister wird man nicht im Handumdrehen. Das ist ein Prozess. Auch der THW Kiel hat Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre lange gebraucht, um den Titel nach drei Jahrzehnten Abstinenz wieder zu gewinnen", sagt HSV-Trainer Schwalb. Seine Mannschaft zeichne aus, dass sie lernwillig und lernfähig sei, dass jetzt jeder seine Rolle im Team gefunden habe. Daraus resultiere diese Stabilität, die Jahr für Jahr zugenommen habe. "Jeder Spieler hat inzwischen verinnerlicht, welchen Beitrag er zum Gesamterfolg zu leisten hat, dass er stets hoch konzentriert sein muss, um seine Qualitäten in die Mannschaft einzubringen." Ein Team sei ein fragiles, störanfälliges Gebilde, sagt Schwalb, der Teufel Schlendrian spiele immer mit. "Wenn wir aber alle unsere Fähigkeiten ausschöpfen, werden wir nur schwer zu bezwingen sein, jetzt und in Zukunft." Das könnte dann der Beginn einer neuen Ära im Handball sein.

HSV-Vizepräsident Dierk Schmäschke, 53, hat seinen Wechsel zum Bundesligakonkurrenten SG Flensburg-Handewitt offiziell bekannt gegeben. Er ist dort vom 1. Juli an Geschäftsführer der Spielbetriebsgesellschaft. Der HSV sucht nun einen neuen Marketingfachmann und zudem einen neuen Präsidenten. Schmäschke hätte HSV-Chef Andreas Rudolph, 56, der im Sommer sein Amt abgibt, beerben sollen.