Trotz nur sieben Minuspunkten muss der HSV den Titel Kiel überlassen. Die Abschlusszeugnisse der Hamburger.

Balingen. Die Fernsehbilder, die über den Monitor in der Balinger Sparkassen-Arena flimmerten, taten weh, aber Matthias Flohr konnte nicht anders als hinzuschauen. Er sah also, die Hände in die Hüften gestemmt, wie die Handballer des THW Kiel feierten, und wunderte sich ein wenig: "Also ich würde mich mehr freuen, wenn ich deutscher Meister würde." Es wäre das erste Mal gewesen für den Linksaußen des HSV Hamburg. Doch dazu hatte auch der 35:25-Sieg am letzten Bundesligaspieltag bei HBW Balingen-Weilstetten nicht mehr gereicht, weil die Kieler zeitgleich mit 27:24 beim TV Großwallstadt gewannen. Zum 16. Mal, zum sechsten Mal in Serie, hatte sich der THW den Titel geschnappt.

Es war die Situation eingetreten, auf die sich die Hamburger seit der Heimniederlage gegen den THW vor zwei Wochen hatten einstellen können: Sie waren mit nur sieben Minuspunkten Zweiter geworden, das hat es seit Einführung der eingleisigen Bundesliga 1977 noch nicht gegeben. Die Abschlusszeugnisse für den besten deutschen Vizemeister aller Zeiten.

Johannes Bitter: Parierte trotz einer Ellenbogenblessur alle Angriffe auf seinen Stammplatz im Tor des HSV und der Nationalmannschaft. Verlor allerdings in den entscheidenden Spielen gegen Ciudad Real und Kiel die Fernduelle mit Arpad Sterbik und Thierry Omeyer.

Per Sandström: Die Nummer zwölf war zwischenzeitlich die Nummer eins. Hielt den HSV mit herausragenden Leistungen im Titelkampf. Wurde nach Bitters Genesung wieder zurückgestuft, aber mit einem neuen Vertrag zufriedengestellt.

Igor Vori: Der kroatische Neuzugang spielte, als sei er nie woanders gewesen. Ließ den verletzten Bertrand Gille daher nicht vermissen. Konnte aber in der Rückrunde seine Überspieltheit kaum noch überspielen.

Bertrand Gille: Der einstige Welthandballer war aufgrund einer hartnäckigen Fersenverletzung leider kein Faktor.

DEUTSCHER MEISTER FÜR EINE VIERTELSTUNDE

Torsten Jansen: Hm, warum fällt einem zu seiner Saison bloß nichts ein? Vielleicht weil sie so stark war wie eigentlich immer.

Matthias Flohr: Hat in der Abwehr nach wie vor alles und jeden im Griff, kann inzwischen aber auch vor das gegnerische Tor losgelassen werden. Ebendeshalb wurde der HSV-Dauer(b)renner auf seine mittelalten Tage zum Nationalspieler befördert.

Blazenko Lackovic: Schraubte sich kraft seiner Sprunggewalt in seinem zweiten Hamburger Jahr auf sein früheres Niveau hoch. In den entscheidenden Spielen allerdings flügellahm.

Pascal Hens: Laut einer Umfrage der populärste Handballer Deutschlands, was kaum mit seinen jüngeren Auftritten zu tun haben kann. Sein siebtes HSV-Jahr war ein verflixtes. Hat aber dank eines neuen Vertrages weitere fünf Jahre Zeit, diesen Eindruck zu korrigieren. Stellte seine Arbeitsweise in der Nationalmannschaft auf Teilzeit um.

Guillaume Gille: Der Kapitän spielte so gut wie lange nicht und wurde in der Kommandozentrale trotzdem von Neuling Duvnjak überstrahlt. Zumindest seine Titelausbeute kann sich sehen lassen: Pokalsieger, Europameister und Hamburgs Sportler des Jahres. Könnte 2011 nach neun Jahren dem HSV Au revoir sagen.

Domagoj Duvnjak: Kam, sah und sägte an der Spielmacherhierarchie. Sein Wechsel aus Zagreb war ein Wechsel auf die Zukunft des HSV, der Kroate zahlte die Rekordablöse (angeblich eine Million Euro) mit beherzten Vorstößen zurück. Führte den No-Look-Pass ins Hamburger Spielrepertoire ein.

Marcin Lijewski: Warf den HSV ins Pokalfinale, wurde ansonsten aber auch in seinem zweiten Jahr nicht richtig warm in Hamburg. Das dritte dürfte sein letztes Jahr in Deutschland werden, bevor er nach Polen zurückkehrt, wo seine Familie schon auf ihn wartet.

Krzysztof Lijewski: Auch er wird Hamburg spätestens nach der kommenden Saison verlassen, weil ihm die Rhein-Neckar-Löwen ein seinen Weltklasseleistungen angepasstes Gehalt angeboten haben. Der Halbrechte geht deshalb nicht nur als Pokalfinal-Matchwinner in die Vereinsgeschichte ein, sondern auch als erster Profi, den der HSV wider Willen zu einem Konkurrenten ziehen lassen muss.

Hans Lindberg: Einziger HSVer, der die Saison an der Tabellenspitze beendet: Mit 257 Toren, 135 davon per Siebenmeter, wurde der Däne erstmals zum besten Schützen der Bundesliga. Wirft nach dem Motto: 60 Minuten, 1000 Variationen. Liebäugelt trotzdem mit einem Wechsel zum FC Barcelona.

Stefan Schröder: Ihm klebt das Pech weiter wie Harz an den Händen. Ein Trommelfellriss, zwei Bänderdehnungen, ein Mittelhandbruch und nun auch noch ein Riss des hinteren Kreuzbands lassen seine Krankenakte allmählich zum Wälzer werden. Und wenn er mal ausnahmsweise spielen konnte, durfte er oft nicht. Gute Besserung!

Marcel Schliedermann: Der Youngster ist auf dem Sprung in die Bundesliga, wäre für dieses Vorhaben allerdings bei einem anderen Verein besser aufgehoben - erst recht, wenn ihm bald auch noch Nationalspieler Michael Kraus auf Halblinks vor die Nase gesetzt wird. Die Verhandlungen laufen.