Morgen beginnt für Martin Schwalb seine sechste Saison bei den HSV-Handballern. 2011 wird er Geschäftsführer. Vorher will er Meister werden.

Hamburg. Der Mann an der Seitenlinie vibriert vor Anspannung, hüpft von einem Fuß auf den anderen, tippelt erst nach links, dann nach rechts, und als die Schlusssirene ertönt, reißt er beide Arme hoch, springt auf der Stelle auf und ab, wie es Kinder tun, wenn sie den Hampelmann spielen, bis er sich entschließt, das Spielfeld zu stürmen.

Martin Schwalb, 47, ist der Trainer der HSV-Handballer, und wer ihn am vergangenen Dienstag in München beim Supercupsieg seiner Mannschaft gegen den THW Kiel in den letzten Spielminuten leiden sah, der kann ihn verstehen, dass er nach insgesamt 14 Jahren als Coach in zehn Monaten einen vorläufigen Schlussstrich zieht. Am 1. Juli 2011 wird Schwalb Geschäftsführer der Betriebsgesellschaft des Vereins. Morgen beginnt mit dem Auswärtsspiel des HSV bei Frisch Auf Göppingen (20.15 Uhr, live bei www.sport1.de ) die letzte Bundesligasaison für Hamburgs derzeit erfolgreichsten Sportlehrer. Keiner ist länger im Amt als er, die Fußballer des HSV, siehe Grafik, wechselten seit Schwalbs Dienstantritt in Hamburg am 21. Oktober 2005 gleich vier ihrer Trainer aus, letztlich ohne Fortune.

Beim Handball Sport Verein nebenan setzt Präsident Andreas Rudolph, 55, beim Personal auf Kontinuität. Das mag ihm nicht immer leichtgefallen sein, wenn wieder eines der von ihm hoch angesetzten Ziele verfehlt wurde, die Meisterschaft, der Pokalsieg oder der Einzug ins Finale der Champions League. Aber Rudolph, der sich in einem Jahr auf die Tribüne zurückziehen will, hat verstanden, dass dieser junge Klub, der erst seit 2002 besteht, vor allem eins braucht: Verlässlichkeit nach innen und nach außen. Schwalb ist in den nun fast fünf Jahren seines Wirkens neben Spielern wie Pascal Hens und den Gille-Brüdern Bertrand und Guillaume zum Gesicht des Vereins aufgestiegen, er ist beliebt, er wird geachtet und respektiert. Einer, der Identität stiftet, bei den Fans, bei den Sponsoren, bei den Medien. Einen wie ihn tauscht man nicht aus.

Schwalb, der Umsteiger. Vor anderthalb Jahren, erzählt er, sei ihm das erste Mal diese Idee gekommen, etwas anderes zu machen. Er sei (National-)Spieler gewesen, Trainer, nur Manager eben noch nicht. Der Job fehle im irgendwie zur Abrundung seines Handballer-Lebens. Der Gedanke habe zunehmend von ihm Besitz ergriffen, und Rudolph fand schließlich Gefallen an der genialen Vorstellung - den Trainer loszuwerden, vielleicht, vor allem aber diesen Typ zu behalten, das zweite Alpha-Tier im Verein neben ihm.

Als der HSV im vergangenen Jahr im Halbfinale des deutschen Pokals schmählich 27:35 gegen den VfL Gummersbach verloren hatte, stand für Rudolph nach einigen Tagen des Nachdenkens fest, dass er Schwalbs Trainervertrag nicht über den 30. Juni 2011 hinaus verlängern würde - trotz des Europapokalsiegs 2007, inzwischen zwei deutschen Pokalsiegen 2006 und 2010 und drei zweiten Plätzen in der Bundesliga, der stärksten Liga der Welt. Eine Erfolgsbilanz, keine Frage. Meister aber wurde immer wieder der THW Kiel, zuletzt sechsmal in Folge, 2010, nach dem Auswärtssieg in Hamburg, einen Punkt vor dem HSV. Rudolph ist niemand, der das als unumstößlich hinnimmt. Er will Titel, die ganz großen.

Schwalb weiß, dass ihm dieser Zacken in der Krone fehlt und er ahnt auch, warum. "Bei uns geht immer noch die Welt unter, wenn wir ein Spiel verlieren. In Kiel dagegen strahlt der gesamte Verein eine unglaubliche Gelassenheit aus. Die hat sich der THW mit seinen Erfolgen erarbeitet. Denen scheint es egal zu sein, ob sie nun dieses Jahr Meister werden oder nicht. Und wenn zu dieser Souveränität in den entscheidenden Situationen der Wille kommt, den Ball reinzuwerfen, dann wirfst du ihn auch ins Tor - und nicht an den Pfosten so wie wir am Ende der vergangenen Bundesligasaison gegen Kiel beim Stand von 24:25 zehn Minuten vor Schluss. Vier Monate lang waren wir vorher Tabellenführer. O Gott, o Gott, haben da einige gedacht, diesmal muss es doch endlich was werden mit dem verdammten Titel." Das sei wie bei einer Familie, die unbedingt ein Kind wolle, solange dieser Wunsch heiß ersehnt sei, werde es häufig damit nichts. Erst wenn man dieses Vorhaben abgehakt habe, klappe es plötzlich doch.

Schwalb will das Ziel Meisterschaft nicht aufgeben, seine Mannschaft hat schließlich die Qualität zum großen Wurf, er fordert jedoch "ein bisschen mehr Gleichmut, dass wir nicht die Koordinaten verlieren, dass wir lernen, das Ganze im Leben einzuordnen, dass wir an das nächste Spiel denken und nicht daran, was wäre wenn". Dann folge automatisch das, "was wir alle wollen, vielleicht schon in dieser Saison". Schwalb lächelt bei diesen Worten. Er weiß, dass er als Erster diese Gelassenheit auszustrahlen hat. Er arbeitet daran. "Handball", sagt er, "bleibt für mich Leidenschaft pur. Die werde ich nie ablegen."