Das erste Jahrzehnt der HSV-Handballer ist eine Erfolgsgeschichte. Nun muss sich der Klub von der Vaterfigur und großen Stütze lösen.

Hamburg. Der 17. August 2002 war ein herrlicher Sommertag in Hamburg, viel zu schön eigentlich, um ihn in einer Sporthalle zu verbringen. Lediglich 98 Zuschauer konnte das Abendblatt damals auf den Tribünen in Wandsbek zählen. Der erste Auftritt des Handball-Sport-Vereins Hamburg - ein Blitzturnier mit der SG Flensburg-Handewitt und dem damaligen dänischen Spitzenklub Gudme - fand praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Freundschaftsspiele, so schloss der damalige HSV-Manager Werner Nowak, würden "von unserer Gesellschaft offenbar nicht angenommen".

Heute weiß man es besser. Wenn der HSV am 16. August, fast auf den Tag genau zehn Jahre nach der Premiere, den französischen Vizemeister Chambéry zum sportlich bedeutungslosen Saisoneröffnungsspiel empfängt, wird die Sporthalle Hamburg vermutlich ausverkauft sein. Die stimmungsvolle Arena am Nordrand Winterhudes reicht mit ihren 4400 Plätzen längst nicht mehr aus, um auch nur die treuesten Anhänger zu fassen.

An der Zuschauerentwicklung lässt sich der Aufstieg des HSV, der aus der SG Bad Schwartau-Lübeck hervorging, am eindrucksvollsten dokumentieren. Besuchten in der Premierensaison 2002/03 durchschnittlich 6275 Menschen die Bundesliga-Heimspiele, waren es in der abgelaufenen zehnten Spielzeit schon 10 383. Gemessen daran waren die Hamburger im dritten Jahr hintereinander der gefragteste Handballverein der Welt. Allein bei den Dauerkartenkunden konnte der HSV von anfangs 800 auf zuletzt 6589 zulegen.

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Kein Zweifel: Der Handball kommt an in dieser Stadt, die jahrzehntelang keine Spitzenmannschaft beheimatet hatte. Und er hat sich auch als Werbe- und Sympathieträger etabliert. Laut einer internen Aufstellung konnte der HSV seine Sponsoring-Einnahmen zuletzt auf 4,8 Millionen Euro steigern. Das entspricht fast einer Verdopplung gegenüber 2005/06 - aus den turbulenten Gründerjahren, als der HSV stets am Rande der Insolvenz wirtschaftete, liegen keine verlässlichen Angaben vor. Der Etat hat sich seit den Anfängen von 3,8 auf neun Millionen Euro erhöht.

Ihn könnte der Verein nach eigener Kalkulation inzwischen auch ohne die Sonderzuwendungen Andreas Rudolphs bewältigen. Der schwerreiche Mehrheitsgesellschafter sponsert den HSV über seine Medizinfirmen mit schätzungsweise 1,8 Millionen Euro. Darüber hinaus ließ er bisher schon mal großzügige Einladungen springen, verpflichtete zusätzliche Spieler und stopfte Löcher, wie sie etwa durch die Abfindung für den im Dezember entlassenen Trainer Per Carlén gerissen wurden.

Nun, knapp acht Jahre nach Rudolphs Einstieg, steht der HSV vor einer Zäsur. Er muss sich langsam, aber sicher von seiner Vaterfigur emanzipieren - ein Schritt, den viele Führungskräfte im Verein seit Langem fordern. Rudolph will sein Engagement beim HSV offenbar reduzieren, schon weiler künftig für jeden zusätzlichen Euro 50 Cent Steuern abführen müsste.

Das Präsidentenamt hatte der einstige Retter bereits nach dem Gewinn der deutschen Meisterschaft im Vorjahr abgegeben. Da sein Nachfolger Martin Schwalb künftig wieder als Trainer gebraucht wird, möchte Rudolph nun seinen Bruder Matthias, 54, an der Vereinsspitze installieren. Der Aufsichtsrat, dem der Kandidat selbst angehört, dürfte diesem Wunsch entsprechen.

Es ist beileibe nicht die einzige Personalie, die es in den kommenden Wochen zu klären gilt. Der siebenköpfige Aufsichtsrat steht vor einem Neuanfang. Sharp-Vertreter Maximilian Huber ist bereits ausgeschieden. Der Elektronikkonzern wird sein HSV-Sponsoring wohl im kommenden Jahr beenden und die Option für 2014 nicht ziehen, weil die Europazentrale von Hamburg nach London umgezogen ist. Andreas Ernst und Thomas Poullain haben sich de facto zurückgezogen. Christoph Drewes will aufhören, Hamburgs Handballlegende Fritz Bahrdt will in den Ehrenrat wechseln.

Der Aufsichtsrat hat die eigenen Befugnisse selbst Zug um Zug per Satzungsänderungen beschnitten. Die Mitglieder sahen keine Informationsgrundlage mehr gegeben, um ihre Kontrollfunktion wahrnehmen zu können. Zwischen dem Vorsitzenden Uwe Wolf und Andreas Rudolph herrscht Funkstille. Schon Wolfs Vorgänger Rüdiger Heß war einst aus Verdruss über die mangelnde Kommunikation mit Rudolph in den Ehrenrat gewechselt. Ihn zieht es nun zurück in den Aufsichtsrat. Für Volker Kuntze-Braack, der seinen Ehrenratssitz aus gesundheitlichen Gründen niedergelegt hat, könnte André van de Velde nachrücken.

Der 41 Jahre alte Rechtsanwalt ist in der Fanszene verwurzelt und soll die Bindung zur Basis stärken. Die Anhänger könnten im zweiten Vereinsjahrzehnt zur wichtigsten Stütze des HSV Hamburg werden.