Bertrand und Guillaume Gille haben dem Handball in Hamburg auf die Sprünge geholfen. Am Sonnabend endet ihre HSV-Ära nach zehn Jahren.

Hamburg. An diesem Sonnabend in Göppingen tritt der HSV Hamburg offiziell als deutscher Handballmeister ab (16.30 Uhr). Die Schale bekommt der THW Kiel überreicht, der mit einem Sieg gegen Gummersbach die Saison ohne Minuspunkt abschließen würde. Für den HSV endet zugleich eine Ära: Guillaume und Bertrand Gille, die letzten Gründungsmitglieder, kehren nach zehn Jahren nach Chambéry zurück.

Hamburger Abendblatt: Guillaume, Sind Sie froh, dass es am Sonnabend sportlich um nichts mehr geht?

Guillaume Gille: Im Gegenteil. Wäre es essenziell, würde man keine Gedanken daran verschwenden, dass es das letzte Spiel ist. Man wäre voll bei der Sache. Leider ist dieses Spiel für beide Mannschaften irrelevant. So wollen wir uns nur gut präsentieren.

Wird nach dem Spiel die Vorfreude überwiegen oder die Wehmut?

Bertrand Gille: Vorfreude sicherlich nicht. Wir wissen schon seit einiger Zeit, dass das Ende unserer HSV-Zeit immer näher rückt. Jetzt ist es da. Es wird sich schon komisch anfühlen.

Es heißt, man soll dann aufhören, wenn es am schönsten ist. Ist es das?

Guillaume Gille: Man kann sich seinen Abgang nicht immer aussuchen. Der Saisonverlauf war nicht befriedigend. Wir haben schlecht gespielt, vieles war kompliziert. Aber das muss man davon trennen, dass wir den Verein verlassen.

Können Sie trotzdem mit dem Gefühl gehen, Ihre Mission erfüllt zu haben?

Bertrand Gille: Ja, wenn man das Gesamtpaket HSV betrachtet. Wenn man bedenkt, welche Strukturen wir hier vor zehn Jahren vorgefunden haben und welche wir jetzt zurücklassen, dann können wir sagen: Mission erfüllt. Vielleicht hätte man noch mehr erreichen können. Aber insgesamt können wir mit der Entwicklung des Vereins sehr zufrieden sein.

Der HSV steckte anfangs in großen finanziellen Schwierigkeiten, 2004 wurde Gründungsgeschäftsführer Winfried Klimek verhaftet. Gab es einen Zeitpunkt, an dem Sie sich fragten, worauf Sie sich da bloß eingelassen haben?

Guillaume Gille: Mehrere sogar. Wir hätten nie gedacht, dass der Unterschied zwischen dem Projekt, das uns vorgestellt wurde, und der Realität so groß sein könnte. Das war eine böse Überraschung für uns.

Bertrand Gille: Es war im Grunde ein Rückschritt für uns. Die Strukturen des HSV, die Trainingsinhalte, die Professionalität waren anfangs schlechter als das, was wir aus Chambéry kannten. Zum Glück hat sich die Tendenz ziemlich schnell geändert, alles hat sich strukturiert. Eins darf man nicht vergessen: Hier ist ein Verein, der vorher noch gar nicht existiert hat, innerhalb von neun Jahren deutscher Meister geworden. Das ist verdammt schnell. Schauen Sie sich nur einmal die Rhein-Neckar Löwen an!

Hätten Sie damals nicht gedacht, dass es ein bisschen schneller geht?

Bertrand Gille: Ich hatte damals keinen Zeitplan. Uns ging es nicht darum, Titel zu sammeln, sondern etwas aufzubauen, um erfolgreich Handball zu spielen. Deshalb war ich nicht enttäuscht, auch wenn sich die neun Jahre natürlich gerade für uns als Sportler lange angefühlt haben. Aber ich bereue nichts.

Sie haben sehr viel in den HSV investiert, körperlich und emotional. Wiegt das, was Sie dafür zurückbekommen haben, diesen Einsatz auf?

Guillaume Gille: Wir haben viel mehr gekriegt, als wir gegeben haben. Wir haben mit dieser Mannschaft, diesen Fans so viel erlebt - das kann man nicht zurückzahlen.

Ist das für Sie wertvoller als Titel?

Guillaume Gille: Es macht uns schon stolz zu sehen, dass die Mannschaft in Hamburg angekommen und die Resonanz des Handballs gigantisch geworden ist - trotz aller Möglichkeiten, die so eine Megastadt bietet. Das ist schon Wahnsinn. Denn wir haben wirklich bei null angefangen.

Für Sie war der Anfang besonders schwierig: Sie haben sich im zweiten Spiel die Achillessehne gerissen.

Guillaume Gille: Das ist wohl die schlechteste Erinnerung. Die Verletzung hat mich sportlich weit zurückgeworfen. Es war auch schlimm, dem Projekt nicht auf die Sprünge helfen zu können. Hinzu kam die Angst, selbst nie wieder richtig auf die Beine zu kommen.

Bertrand Gille: Damals brach auch für mich eine Welt zusammen. Wir waren zu zweit in dieses Abenteuer gestartet und hatten gewusst, dass gerade der Anfang schwierig werden würde, schon wegen der Sprache. Und auf einmal war er nicht mehr da.

Sie sind sportlich immer einen gemeinsamen Weg gegangen. Wären Sie ohne den jeweils anderen dort, wo Sie jetzt sind?

Bertrand Gille : Es ist schwer, sich das vorzustellen, denn wir haben nie gegeneinander gekämpft. Es kann unter Brüdern ja den Ergeiz beflügeln, wenn man sich aneinander reibt und sich hochpusht. Aber so war es bei uns nie. Anscheinend sind wir unzertrennlich.

Guillaume Gille: Das bedeutet aber nicht, dass wir jede Entscheidung gemeinsam treffen müssen. Die Überlegung, nach Chambéry zurückzugehen, hat jeder für sich mit der Familie angestellt. Solche wichtigen Fragen kannst du als Bruderpaar nicht so leicht beantworten.

Könnten Sie sich vorstellen, gegeneinander zu spielen?

Bertrand Gille: Heute nicht mehr. Zum Glück sind wir in der Champions League nie auf Chambéry getroffen, wo unser Bruder Benjamin spielt. Das wäre sehr unangenehm geworden.

Guillaume Gille: Ich bin mir aber sicher, dass wir uns nächste Saison, sollte sich der HSV qualifizieren, in der Champions League wiedersehen. Schicksal!

Wie haben Sie Ihren Kindern die Rückkehr beigebracht?

Guillaume Gille: Wir haben sie damals schon mit dem Wechsel nach Deutschland in Schwierigkeiten gebracht, und jetzt wartet wieder eine neue Herausforderung auf sie. Das ist nicht leicht, denn sie sind hier zu Hause und in der deutschen Gesellschaft voll integriert. Trotzdem ist dieser Schritt aus unserer Sicht auch für ihre Zukunft wichtig. Mir lag immer daran, dass unsere Kinder mehr von unserer französischen Kultur mitbekommen. Hätten wir diese Entscheidung nicht jetzt gefällt, wäre sie uns später noch schwerer gefallen.

Sie kam für viele überraschend, weil Sie zuvor sehr um einen Vertrag bis 2013 gekämpft und ihn auch bekommen haben.

Guillaume Gille: Ich gebe zu, dass es ein bisschen komisch aussieht. Aber als das Angebot von Chambéry kam, haben sich plötzlich viele Fragen ergeben, die wir uns zuvor nicht gestellt hatten. Eine Rückkehr zu unserem früheren Verein war eigentlich nie vorstellbar.

Sie hinterlassen einen HSV im Umbruch. Mäzen Andreas Rudolph will sein Engagement reduzieren, sportlich läuft es nicht gut. Machen Sie sich Sorgen?

Guillaume Gille: Was wir über Jahre aufgebaut haben, kann man nicht einfach wegwerfen. Aber man muss auch sagen, dass Andreas Rudolph den Verein geprägt hat. Wenn er jetzt sein Engagement reduzieren will, ist das ein maßgeblicher Vorgang. Wichtig ist, dass sich der Verein dann neu sortiert und sein Konzept entsprechend anpasst. Dass das Zeit braucht, ist normal.

Kann der HSV den THW Kiel noch einmal angreifen?

Guillaume Gille: Das werden wir sehen. Sicher ist, dass die Mannschaft genügend Qualität hat, um weitere Schritte nach vorn zu machen.

Welchen Plan haben Sie mit Chambéry?

Bertrand Gille: Die Mannschaft ist in Frankreich gut etabliert und spielt seit Jahren in der Champions League. Das Niveau in der Liga steigt kontinuierlich. Wir würden gern unseren Teil dazu beitragen, die Dominanz von Montpellier zu brechen. Unser Ziel ist, erfolgreich zu sein. Uns ging es nicht darum, sich einen gemütlichen Verein zu suchen, um die sportliche Karriere ausklingen zu lassen.

Guillaume Gille: Der Verein hat eine tolle Entwicklung genommen und schlaue Strukturen geschaffen, es wurde eine schöne Halle gebaut. In diesem Projekt stimmt alles.

Was werden Sie vermissen?

Bertrand Gille: Alles. Das hier ist jetzt unser Zuhause. Es ist im Grunde wie vor zehn Jahren, nur andersherum. Mit dem Unterschied, dass wir immer noch Französisch können.

Wenn der HSV irgendwann einmal einen Trainer brauchen sollte, darf er sich bei Ihnen melden?

Bertrand Gille: Bei mir nicht. Ich finde den Job bescheuert. Ein Trainer hat dauernd Stress und kann ihn nicht ableiten. Er ist für alles verantwortlich. Wenn es gut läuft, ist es den Spielern zu verdanken, wenn es schlecht läuft, ist er schuld.

Guillaume Gille: Ich habe schon Interesse, einmal diesen Weg einzuschlagen. Aber noch ist es nicht so weit. Ich will noch ein paar Jahre Spaß auf dem Feld haben. Danach würde ich den Trainerjob gern irgendwann irgendwo ausprobieren. Und über den Anruf eines guten Kumpels aus Hamburg würde ich mich sowieso immer freuen.

Wollen Sie denn später gar nichts mehr mit Handball zu tun haben, Bertrand?

Bertrand Gille: Ich tue alles, um mir diese Freiheit zu erarbeiten. Ich will eine Doktorarbeit in Politikwissenschaft anfertigen. Das Thema wird Leadership sein. Um im Handball zu arbeiten, musst du zu einem Verein gehören, sonst findest du keinen Job. Darauf habe ich keinen Bock.